Berlin steht vor der Aufgabe, nicht nur neuen Wohnraum zu schaffen, sondern auch funktionierende Nachbarschaften zu ermöglichen. Während vielerorts ganze Stadtquartiere neu entstehen, rückt zunehmend die Frage in den Fokus, wie soziale Strukturen von Beginn an mitgedacht werden können. Mit „QOMUNITY“ liegt ein Ansatz vor, der Stadtentwicklung als gemeinschaftlichen Prozess versteht.

Marienhöfe in Tempelhof

Große Neubauquartiere wie die „Marienhöfe“ in Tempelhof bieten günstige Voraussetzungen, um Wohnungsbau, Nachbarschaft und soziale Teilhabe von Beginn an miteinander zu verbinden. Auf dem rund zehn Hektar großen Areal an der Attilastraße entstehen rund 900 Wohnungen sowie Flächen für Gewerbe, Dienstleistungen und Gastronomie, die eine vielfältige Nutzung und soziale Durchmischung ermöglichen. / © Visualisierung: Goldbeck GmbH

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© Foto Titelbild: ENTWICKLUNGSSTADT

 

Berlin wächst weiter – räumlich, gesellschaftlich und strukturell. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass neue Gebäude allein keine lebendigen Quartiere hervorbringen. Wohnraum, Infrastruktur und Energieversorgung lassen sich planen, soziale Dynamiken hingegen entstehen oft erst nachträglich oder bleiben dem Zufall überlassen. Genau an diesem Punkt setzt das Konzept „QOMUNITY“ an und versteht Stadtentwicklung konsequent vom sozialen Miteinander her.

Ziel des Konzeptes, welches im Rahmen der Neustart-Konferenz eingereicht wurde, ist es, Gemeinschaft nicht als weichen Zusatz, sondern als festen Bestandteil von Quartiersentwicklung zu etablieren. „QOMUNITY“ reagiert damit auf Herausforderungen wie soziale Fragmentierung, Nutzungsdruck und steigende Anforderungen an Nachhaltigkeit. Stadt wird nicht primär als Ansammlung von Gebäuden verstanden, sondern als Netzwerk von Beziehungen, in dem Begegnung, Beteiligung und lokale Verantwortung eine tragende Rolle spielen.

Warum Begegnungsorte für neue Stadtquartiere entscheidend sind

Inhaltlich knüpft „QOMUNITY“ an das Konzept des „Dritten Ortes“ an, das der Soziologe Ray Oldenburg in den 1980er-Jahren prägte. Neben Wohnung und Arbeitsplatz braucht es Orte des freiwilligen Aufenthalts, die Austausch und Zugehörigkeit ermöglichen. Solche Räume tragen zur Identitätsbildung von Nachbarschaften bei und können soziale Stabilität fördern.

Diese Orte sollen gezielt in Neubau- und Bestandsprojekte eingebunden werden – nicht nur baulich, sondern auch organisatorisch. Im Fokus steht dabei weniger die einzelne Maßnahme als vielmehr der dauerhafte Betrieb gemeinschaftlicher Angebote, etwa von Nachbarschaftsräumen oder lokalen Initiativen, um soziale Prozesse frühzeitig zu begleiten.

Was braucht es, damit Nachbarschaft in Berliner Quartieren funktioniert?

Zentrales Element des „QOMUNITY“-Ansatzes ist eine digitale Plattform, die Information, Beteiligung und Organisation im Quartier bündelt. Sie soll Bewohnerinnen und Bewohner, lokale Akteure und Dienstleister miteinander vernetzen und den Austausch unterstützen, ergänzt durch analoge Formate wie Workshops oder Fokusgruppen. Ziel ist es, Nachbarschaft und soziale Teilhabe strukturell zu fördern und langfristig zu begleiten.

Wie solche Prozesse auch jenseits digitaler Strukturen funktionieren können, zeigt das Beispiel Alt-Buckow. Dort entsteht Nachbarschaft vor allem über konkrete Orte der Begegnung wie den Nachbarschaftstreff am Gensweg, der Austausch, Beratung und gemeinschaftliche Aktivitäten ermöglicht. In Verbindung mit Kooperationen lokaler Initiativen wächst so ein soziales Netzwerk, das den Alltag im Quartier prägt und soziale Teilhabe praktisch erfahrbar macht.

Von Tegel bis Buch: Neue Anforderungen wie „QOMUNITY“ an Berlins Stadtentwicklung

Ein zentrales Element von „QOMUNITY“ ist der Anspruch, soziale Effekte systematisch erfassbar zu machen. Vorgesehen sind dafür ein Social Impact Status Check sowie die Berechnung eines Social Return on Investment. Auf diese Weise sollen Entwicklungen wie eine veränderte Mieterfluktuation, die Nutzung gemeinschaftlicher Angebote oder die Stabilität von Nachbarschaften nachvollziehbar bewertet werden. So wird soziale Nachhaltigkeit nicht nur beschrieben, sondern in einen überprüfbaren Zusammenhang mit Quartiersentwicklung gestellt.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich bei aktuellen Großprojekten wie dem Schumacher-Quartier in Tegel, dem „Neuen Gartenfeld“ in Spandau oder dem Quartier „Am Sandhaus“ in Buch, dass Berlin zunehmend in größeren Quartiersdimensionen plant. Wenn mehrere tausend Wohnungen, soziale Infrastruktur und neue Mobilitätsangebote parallel entstehen, stoßen klassische Planungsansätze jedoch an ihre Grenzen.

Diese Fragestellung stellt sich auch in langfristig angelegten Entwicklungsgebieten wie Neulichterfelde oder dem Segelflieger Quartier in Johannisthal, wo unter anderem die DEGEWO bis 2030 umfangreichen öffentlich geförderten Wohnraum realisieren wollen. Mit zunehmender Projektlaufzeit rückt dabei weniger die Errichtung einzelner Gebäude, sondern vielmehr der dauerhafte Betrieb funktionierender Nachbarschaften in den Fokus.

Neubauquartier „Marienhöfe“ in Tempelhof als mögliches Anwendungsbeispiel

Ein möglicher Anwendungsfall für einen solchen Ansatz ließe sich im Neubauquartier „Marienhöfe“ in Tempelhof denken. Dort entstehen rund 900 Wohnungen sowie soziale Infrastruktur, ergänzt durch gemeinschaftlich nutzbare Freiräume und ein zentrales Quartiershaus. Diese Strukturen bieten Ansatzpunkte, um soziale Prozesse frühzeitig zu begleiten und gemeinschaftliche Nutzung bereits im Aufbau des Quartiers zu verankern.

Organisatorisch ist „QOMUNITY“ als Genossenschaft angelegt. Damit wird ein Modell gewählt, das Mitsprache ermöglichen und langfristige Interessen verschiedener Akteure bündeln soll. Berlin dient dabei als Erprobungsraum. Ob und in welcher Form sich ein solcher Ansatz auch auf andere Städte übertragen lässt, dürfte maßgeblich davon abhängen, wie tragfähig sich die Verbindung aus sozialer Begleitung und Quartiersentwicklung im Berliner Kontext erweist.

 

Quellen: QOMUNITY, Neustart-Konferenz, STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbH, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen