Wien, 1896. Während in den Prunkbauten der Ringstraße noch die Fresken trocknen, entstehen nahe dem Prater strohgedeckte Hütten. Unter dem Titel „Der König von Aschanti und sein Dorf“ präsentiert ein privater Tiergarten siebzig Menschen aus Westafrika als Attraktion einer Völkerschau. Ein Gruppenfoto zeigt Familien in traditionellen Gewändern, die einen Sommer lang wie exotische Tiere begafft werden. Unter ihnen ist ein junger Mann, als „Prinz“ tituliert, dessen Porträt von Gustav Klimt mehr als hundert Jahre später eine kunsthistorische Sensation auslöst (F.A.Z. vom 19. Juli und 15. März).

Wer war der Prinz von der Goldküste?

Wo befand sich Klimts „Bildnis eines Afrikaners“, das zuletzt 1928 in der Secession ausgestellt wurde? Und wer war der Prinz von der Goldküste, den der Maler so sensibel dargestellt hat? Die Suche nach seiner Identität zählt zu den packendsten Passagen der TV-Dokumentation „Kunst Krimi Klimt“, einer Koproduktion von ORF und ZDF in Zusammenarbeit mit Arte. Hauptperson ist der Kunsthistoriker Alfred Weidinger, der vor zwanzig Jahren die Fährte des verschollenen Gemäldes aufnahm. Noch als Kurator des Museums Belvedere, wo auch Klimts berühmter „Kuss“ hängt, stieß er auf eine erste Notiz zum Bild; später förderte der Experte in einem Auktionskatalog eine Werkabbildung zutage.

Neben Klimt zählt Afrika zu Weidingers Passionen. Der Linzer Museumsmanager und Fotograf bereist den Kontinent regelmäßig, unter anderem für seine Porträtserie „Die letzten Könige Afrikas“. 2017 entstand dazu eine dreiteilige Fernsehdokumentation der Wiener Produktionsfirma Interspot Film. Vor zwei Jahren rief Weidinger aufgeregt den Interspot-Gründer Rudolf Klingohr an. „Ich solle schnell mit meinem Kamerateam in die Akademie der bildenden Künste kommen, es gebe eine Überraschung“, erinnert sich Klingohr. Dank seiner raschen Reaktion konnten im Labor der Restauratoren die ersten Aufnahmen des wiederentdeckten Bildes entstehen.

In der Kunsthandlung erschien ein Paar aus Ungarn

Der gemeinsam mit Judith Doppler gestaltete Dokumentarfilm stellt jene Szene nach, die den Fall ins Rollen brachte: Im Frühjahr 2023 erschien in der Kunsthandlung Wienerroither & Kohlbacher ein ungarisches Paar und zeigte den Galeristen ein Foto des Gemäldes. Die Leinwand war stark verschmutzt, es fehlte die Signatur, und der Nachlass-Stempel erwies sich später als gefälscht, dennoch stand die Echtheit des Gemäldes für Weidinger schnell fest. So seien etwa die Blütenornamente im Hintergrund ein typisches Stilmittel des frühen Salonmalers Klimt. Am Beginn seiner Karriere stattete der Künstler gemeinsam mit seinem Bruder Ernst und Franz Matsch Repräsentationsbauten aus. Interessanterweise existiert auch von Matsch ein Porträt des Afrikaners, das erst 2021 von einem Luxemburger Museum bei Sotheby’s ersteigert wurde. Vielleicht handelte es sich um einen Auftrag, der die beiden Maler in Konkurrenz setzte, mutmaßt Weidinger.

DSGVO Platzhalter Externe Inhalte aktivieren

Für kolportierte fünfzehn Millionen Euro wollten Wienerroither & Kohlbacher den Klimt 2024 auf der Maastrichter Kunstmesse TEFAF anbieten. Aber das Bild musste im Lager bleiben, denn die an dem Verkauf beteiligten Erben der jüdischen Vorbesitzerin Ernestine Klein konnten sich nicht einigen. Die Weinhändlerfamilie Klein wohnte seit 1923 in einer neobarocken Villa auf dem Gelände von Klimts letztem Atelier.

In Tonaufnahmen erinnert sich eine Tochter der Familie an das Afrikaner-Bild im elterlichen Schlafzimmer. Ausschnitte aus Amateurfilmen zeigen jene Profiteure, die 1939 in die „Klimt-Villa“ einzogen. Laut Provenienzforschung befand sich das Porträt damals bereits in Budapest. Ernestine Klein hatte es einem Diplomaten anvertraut, der es nach dem Krieg nicht mehr herausgab. Mitte der Sechzigerjahre verliert sich die Spur des Bildes; erst 2022 entdeckte es ein junger Kunsthistoriker in Privatbesitz wieder. Seit vergangenem Herbst beschäftigt sich die ungarische Staatsanwaltschaft mit der Causa: Der Klimt sei ungarisches Kulturgut und habe das Land nur durch eine erschwindelte Ausfuhrgenehmigung verlassen können. Mittlerweile wurde das Bild in Wien beschlagnahmt und der Verkäufer angezeigt.

Der „Kunst Krimi Klimt“ umschifft aktuelle Fragen und konzentriert sich lieber auf historische Antworten. Nachdem Weidinger bereits in Archivmaterial zu den Völkerschauen einen Namen zum Porträt fand, erforschte er in Ghana dessen wahre Herkunft. Prinz William Nii Nortey Dowuona war kein Aschanti, sondern zählte zum Stamm der Osu oder Ga. Einer seiner adeligen Nachfahren spricht mit Weidinger darüber, dass seine Vorfahren den Europäern ihre Kultur zeigen wollten. Im Norden hätten sie aber vor allem Rassismus erlebt. Zumindest gelang es Klimts würdevollem Porträt, den ghanaischen Prinzen von der Strohhütte in den Kunsttempel zu heben.

Der Kunst Krimi Klimt läuft am 22. Dezember um 22.30 Uhr bei ORF2.