Es ging um nur knapp einen Millimeter: Ein Flansch am Fahrwerk des 54 Meter langen Großraumflugzeugs Tristar war 0,47 statt 0,49 Zoll stark. Das kostete kurz vor Weihnachten 1980 zwei Menschen das Leben.

Alles war normal an Bord von Flug Saudi Arabian Airlines 162 von Dschidda am Roten Meer über Dhahran am Persischen Golf nach Karatschi in Pakistan. Mit 244 Passagieren sowie 20 Besatzungsmitgliedern war die Lockheed L-1011 am 22. Dezember 1980 um 22.30 Uhr Ortszeit im Osten Saudi-Arabiens gestartet und hatte um 0.29 Uhr ohne Zwischenfälle die Zwischenlandung in Dhahran absolviert. Während dort 60 Passagiere ausstiegen und 87 hinzukamen, wurde der dreistrahlige Großraumjet mit der Kennung HZ-AHJ aufgetankt. Gegen 1.51 Uhr hob die Maschine wieder ab und bekam das „Flight level 330“ zugewiesen, also eine Flughöhe von zehn Kilometern. Die geschätzte Flugdauer zum Ziel betrug eine Stunde und 52 Minuten.

Doch genau um 2.12 Uhr kam es zu einem in der zivilen Luftfahrt sehr seltenen Vorgang: Schlagartig sank der Druck in der Kabine – in einer Höhe von fast neun Kilometern. Metall- und Gummistücke schossen beschleunigt von der explosionsartigen Dekompression durch die Kabine und verletzten mehrere Menschen. Schlimmer noch: In den Fußboden wurde ein längliches Loch von knapp einem halben Quadratmeter Größe gerissen.

Durch dieses Loch wurden ein 14-jähriges Mädchen und ein anderthalbjähriger Junge aus dem Rumpf gezogen; offenbar waren beide nicht (mehr) angeschnallt, obwohl das Flugzeug noch im Steigflug war. Sie stürzten in die internationalen Gewässer des Golfs von Bahrain, über denen Saudi Flug 162 gerade auf „Flight level 290“ (etwa 8800 Meter) flog; ihre Leichen wurden nie gefunden.

Die Cockpitbesatzung (in der Tristar außer Pilot und Copilot noch ein Flugingenieur) löste sofort die Sauerstoffmasken für die Passagiere aus und leitete den Notsinkflug ein; dann entschied Kapitän Fouad Zaghabah, eine Notlandung auf dem Flughafen Doha zu versuchen. Doch als die Cockpitcrew versuchte, die Maschine vorzubereiten, zeigte sich: Die Landeklappen, die (zulasten des Luftwiderstandes) den Auftrieb erhöhen und damit die notwendige Landegeschwindigkeit reduzieren, wollten nicht ausfahren. Also musste auch die Hydraulik der Maschine schwer beschädigt sein.

Zaghabah ließ 16 Tonnen Treibstoff ab, um das Landegewicht zu reduzieren. Immerhin konnten sein Kollege und er die Querruder und das Fahrwerk regulär bedienen. Um 2.48 Uhr setzte die L-1011 auf und bremste, dann lenkten die Piloten das Flugzeug auf das leere Vorfeld, stoppten, schalten die Triebwerke aus und befahlen der Kabinenbesatzung, die Passagiere über die Notrutschen zu evakuieren.

Doch – der nächste Schreck: Die Notrutschen konnten nicht aufgeblasen werden, es fehlte der notwendige Druck. Eiligst fuhr die Bodencrew Treppen an die Türen der Tristar heran, über die 284 Menschen unverletzt und fünf weitere leicht verletzt evakuiert werden konnten. Das Mädchen und der kleine Junge blieben die einzigen Todesopfer.

Das war eine Erleichterung, denn nur vier Monate zuvor war eine Tristar nach einer geglückten Notlandung wegen Feuers an Bord am Boden total ausgebrannt; alle 301 Menschen an Bord starben. Daraufhin hatte die Fluglinienleitung alle Mitarbeiter durch ein hartes Trainingsprogramm geschickt und sie die Sicherheitsvorschriften pauken lassen. Das bewährte sich an diesem frühen Morgen des 23. Dezember 1980: Cockpit- und Kabinencrew reagierten vorschriftsmäßig und vermieden dadurch (noch) Schlimmeres.

Sofort begannen die technischen Untersuchungen, um die Ursachen des Unfalls aufzuklären. Dabei stellte sich heraus, dass weder der Stimmenrekorder im Cockpit noch der Flugdatenschreiber funktioniert hatten; die Gründe für das Versagen blieben ungeklärt. Beides war schlecht, aber nicht lebensgefährlich.

Die US-amerikanische Behörde für die Untersuchung von Verkehrsunfällen aller Art, das National Transportation Safety Board (NTSB), übernahm die Leitung; das war selbstverständlich, weil es sich um ein technisches Versagen eines in den USA hergestellten Flugzeuges handelte. Trotz der Weihnachtstage und des Jahreswechsels fanden die eingeflogenen Experten binnen kurzem heraus, was geschehen war; ihre Empfehlungen datierten vom 6. Januar 1981.

Die NSTB-Analyse zeigte, wie es zum Unfall gekommen war. Verantwortlich war ein Teil des inneren Radflansches des Hauptfahrwerks im Flug, der beim Start gebrochen und in den Rumpf eingeschlagen war. Dadurch kam es zu erheblichen Schäden an den Flugsteuerungs-, Elektro- und Hydrauliksystemen sowie der Flugzeugstruktur. Die explosionsartige Dekompression der Kabine während des Steigfluges war die Folge.

Schnell hatte sich herausgestellt, dass Materialermüdung bei Rädern aus der Produktionsserie P/N 3-1311 im Fahrwerk von Tristar-Maschinen bekannt waren, weshalb alle US-Fluggesellschaften auf Räder aus der an sich stärker dimensionierten Serie P/N 3-1365 umgestiegen waren. Jedoch gab es eine frühe Charge von Rädern mit der Teilenummer P/N 3-1365, die hinsichtlich Abmessungen und Material mit den Rädern mit der Teilenummer P/N 3-1311 identisch waren. Erst spätere Änderungen an den technischen Spezifikationen führten zur Verstärkung der Räder mit der Teilenummer 3-1365 durch dickere Außenflansche – offiziell ab der Baunummer 165.

Das gebrochene Rad der Ende März 1979 ausgelieferten, nur anderthalb Jahre später also fast neuen Tristar HZ-AHJ trug die Seriennummer P/N 3-1365-185, hätte also eigentlich den neuen Spezifikationen entsprechen sollen. Tatsächlich aber war der Flansch etwas weniger als 0,47 Zoll stark, hätte aber mindestens 0,49 Zoll haben sollen. Nur ein winziger Unterschied (11,938 zu 12,446 Millimeter), aber offenbar entscheidend.

Das NTSB empfahl der US-Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA), die weitere Nutzung der L-1011 abhängig zu machen von einer Überprüfung der Räderflansche auf Ermüdungsbrüche. Beim nächsten regulären Reifenwechsel, spätestens aber innerhalb der nächsten 20 „Zyklen“ (also Starts und Landungen) sollten zudem alle Flansche mit weniger als der Mindeststärke von 0,49 Zoll aussortiert werden. Wie üblich folgte die FAA der Empfehlung und informierte alle Luftfahrtbehörden, in deren Ländern das Muster im Einsatz war.

Das war eine pragmatische Entscheidung: Das gebrochene Rad der Tristar HZ-AHJ war 28 „Zyklen“ vor dem Bruch untersucht und für einwandfrei befunden worden – wobei allerdings nicht die Dicke des Flansches gemessen worden war, weil die Teile aus der Serie P/N 3-1365 als hinreichend dimensioniert galten.

Die beim Unfall schwer beschädigte L-1011 wurde übrigens zunächst provisorisch geflickt und dann zu Lockheed nach Kalifornien geflogen, wo man sie grundlegend reparierte. Anschließend kehrte das Flugzeug zurück in den Dienst bei Saudi Arabian Airlines und blieb in Nutzung bis zur Ausmusterung 1999; vielfach landete sie auch auf europäischen Flughäfen. 2008 verschrottete man das zwischenzeitlich eingemottete Flugzeug.