Die Europäische Union stellt der Ukraine für die nächsten zwei Jahre ein zinsloses Darlehen von 90 Milliarden Euro zur Verfügung, damit sie den Krieg gegen Russland fortsetzen und weiter aufrüsten kann. Darauf einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten am 19. Dezember nach einer stundenlangen Nachtsitzung.

Bundekanzler Friedrich Merz und die US-Sondergesandten Steve Witkoff und Jared Kushner am 15. Dezember 2025 in Berlin [Photo by Bundesregierung/Jesco Denzel]

Der ursprüngliche Plan, das in Europa eingefrorene russische Staatsvermögen von 210 Milliarden Euro zur Finanzierung der Ukraine heranzuziehen, auf den insbesondere der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gedrängt hatten, scheiterte am Widerstand mehrerer EU-Mitglieder.

Nun nimmt die EU selbst Kredite auf, um den Ukrainekrieg zu finanzieren, und schafft damit durch die Hintertür sogenannte Eurobonds, gemeinsame europäische Schulden, was Deutschland stets zu verhindern versucht hatte. Die Ukraine muss die Kredite erst zurückzahlen, wenn es von Russland für den Krieg entschädigt wird. Zu diesem Zweck bleiben die russischen Staatsgelder eingefroren. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass Moskau, das militärisch im Vorteil ist, sich auf eine derartige Reparationsregelung einlassen wird. Die EU dürfte also auf den Schulden sitzen bleiben.

Dass die EU derart hohe Summen in den Ukrainekrieg investiert, bestätigt, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland handelt. Ohne finanzielle Unterstützung von außen wäre die Ukraine in wenigen Woche bankrott. Seit Beginn des Krieges sind rund 400 Milliarden Euro an Militär- und Finanzhilfen nach Kiew geflossen, und die zusätzlichen 90 Milliarden der EU decken den Finanzbedarf der nächsten beiden Jahre nur zum Teil. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt ihn auf 136 Milliarden Euro.

Politiker, Generäle und Journalisten begründen die Milliarden für die Ukraine und die gewaltige Aufrüstung der eigenen Armeen mit Europas Sicherheit. „Wir haben eine einfache Wahl: entweder heute Geld oder morgen Blut,“ sagte Polens Regierungschef Donald Tusk. Werde Putin auf den Schlachtfeldern der Ukraine nicht gestoppt, werde er andere Länder überfallen und ganz Europa unterwerfen.

Diese tausendfach wiederholte Propaganda entbehrt jeder realen Grundlage. Russland, das gerade einmal über ein Drittel der Einwohnerzahl und über ein Neuntel der Wirtschaftsleistung der EU verfügt, hat weder die Mittel noch das Interesse, Europa zu erobern. In der Ukraine hat es in vier Jahren Krieg trotz hunderttausender gefallener Soldaten nur einige Zehntausend Quadratkilometer Gelände erobert.

Die russischen Oligarchen, die durch die Plünderung des gesellschaftlichen Eigentums der Sowjetunion reich geworden sind und deren Interessen Putin vertritt, haben Unsummen in westliche Luxusimmobilien, Jachten, Fußballklubs und ähnliches investiert. Sie sehnen sich nach einem gleichberechtigten Platz an der Seite der westlichen Oligarchen.

Das Putin-Regime selbst hat widerstandslos hingenommen, dass sich die NATO auf ganz Osteuropa ausdehnte, obwohl sie sich bei der Auflösung des Warschauer Pakts 1991 zum Gegenteil verpflichtet hatte. Erst als das westliche Militärbündnis seine Hände auch noch nach der Ukraine und Georgien ausstreckte und damit Russland einzukreisen drohte, reagierte Moskau. Unfähig an die Solidarität der Bevölkerung zu appellieren, griff es die Ukraine militärisch an, trieb damit einen tiefen Keil zwischen die russische und ukrainische Bevölkerung und lieferte der NATO willkommene Kriegspropaganda.

Rivalität zwischen der EU und den USA

Inzwischen wird der Ukrainekrieg von der wachsenden Rivalität zwischen dem amerikanischen und europäischen Imperialismus überlagert. Frustriert von den militärischen Misserfolgen und dem schleichenden Kollaps des Selenskyj-Regimes hat Washington seine finanzielle Unterstützung weitgehend eingestellt und versucht, auf Kosten der Europäer einen Deal mit Moskau zu schließen.

Präsident Trump bringt den gewaltigen amerikanischen Militärapparat gegen den Hauptrivalen China in Stellung und bemüht sich, unter Berufung auf die Monroe-Doktrin von 1823 die Vorherrschaft der USA über Süd-, Mittel- und Nordamerika einschließlich Grönland wiederherzustellen. Europa ist dabei nicht Partner, sondern Rivale.

Das ist der wesentliche Inhalt von Trumps neuer Nationaler Sicherheitsstrategie, die in den europäischen Hauptstädten Schockwellen ausgelöst hat. Sie bezeichnet Russland nicht mehr als Gegner, greift stattdessen die Europäische Union an und unterstützt rechtsextreme Parteien, die die EU ablehnen. In einer unveröffentlichten, längeren Fassung der Strategie, die inzwischen an die Öffentlichkeit durchgesickert ist, werden Polen und drei weitere Länder, die es aus der EU „herauszubrechen“ gelte, namentlich identifiziert.

Für den europäischen und insbesondere den deutschen Imperialismus wird die Fortsetzung des Kriegs gegen Russland mit dem Kurswechsel der USA noch wichtiger. Das hat sowohl ökonomische wie strategische Gründe.

Deutschland hat wie kein anderes europäisches Land von der Osterweiterung der Europäischen Union profitiert. Deutsche Konzerne können in einer Distanz von wenigen Fahrstunden und ohne Zollschranken auf Arbeitskräfte zugreifen, die oft nur ein Drittel oder halb so viel kosten wie in Deutschland. Die Einverleibung der Ukraine mit ihren Hungerlöhnen und wertvollen Rohstoffen ist die konsequente Fortsetzung dieser Expansion.

Deutschland bleibt auch auf das preiswerte Erdgas und Erdöl aus Russland angewiesen, auf das es mit dem Ukrainekrieg widerwillig verzichten musste und die es nun gewaltsam zu erobern versucht. Russland mit seinen gewaltigen Landmassen und seinem großen Militär bildet außerdem ein Hindernis für die Ausdehnung des deutschen Imperialismus, der als Kontinentalmacht vor allem Richtung Osten zielt. Das war bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg der Fall, als Deutschland die Ukraine besetzte, um Russland zu erobern – beide Male ohne Erfolg.

Dies – und nicht die Sorge um „Freiheit“, „Unabhängigkeit“ und „europäische Sicherheit“ – sind die Gründe für die gigantische Aufrüstungsoffensive Deutschlands und der anderen europäischen Mächte.

Seit sich Trump und Putin im Sommer in Alaska trafen und erste Schritte zu einem Ukraineabkommen vereinbarten, haben die europäischen Führer alles unternommen, um ein Abkommen zu sabotieren. Als dann Trumps Sondergesandte Steve Witkoff und Jared Kushner Ende November mit einem 28-Punkte-Plan aus Moskau zurückkehrten, der zahlreiche Forderungen Putins berücksichtigte, schrien sie „Verrat“.

Seither haben zahlreiche Verhandlungsrunden in unterschiedlicher Zusammensetzung stattgefunden, bei denen sich die Europäer bemühten, die 28 Punkte soweit zu verändern, dass Moskau ihnen nicht zustimmen kann. Sie forderten „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine, die einer NATO-Mitgliedschaft gleichkommen, auch wenn Kiew dem Militärbündnis nicht offiziell beitritt. Und sie versuchten, so weit wie möglich zu verhindern, dass die Ukraine Gebiete an Russland abtritt.

Einen offenen Bruch mit den USA konnten sie allerdings nicht riskieren, da die Ukraine – insbesondere bei der Aufklärung und Munitionsbeschaffung – weiterhin auf deren militärische Unterstützung angewiesen ist.

Mitte Dezember trafen sich die US-Unterhändler Witkoff und Kushner, der ukrainische Präsident Selenskyj sowie mehrere europäische Regierungschefs in Berlin und revidierten die 28 Punkte. Die europäische Presse jubelte hinterher, nun hätten auch die USA „Sicherheitsgarantien“ zugestimmt.

Die Regierungschefs von acht EU-Mitgliedsländern, Großbritannien und Norwegen veröffentlichten eine Erklärung, die der Ukraine Unterstützung beim Aufbau permanenter Streitkräfte im Umfang von 800.000 Soldaten, den Einsatz einer „multinationalen Truppe“ mit Unterstützung der USA, umfangreiche Sicherheitsgarantien sowie „nachdrückliche Unterstützung des Beitritts zur Europäischen Union“ zusagen.

Inzwischen verhandeln Witkoff und Kushner mit Vertretern Russlands und der Ukraine in Miami. Von den europäischen Vorschlägen dürfte dort wenig übrigbleiben.

Wachsende Konflikte in Europa

Der Konflikt mit den USA schweißt die europäischen Mächte nicht zusammen, sondern treibt sie weiter auseinander. Die Überwindung der Rivalität zwischen Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Mächten, die 1914 und 1939 zu zwei Weltkriegen führte, war eng mit der Vorherrschaft der USA in Europa und der NATO verbunden. Nun brechen diese Konflikte wieder auf.

Das gilt nicht nur für ultrarechte Regierungschefs wie Viktor Orbán (Ungarn), Andrej Babiš (Tschechien) und Robert Fico (Slowakei) sowie den polnischen Präsidenten Karol Nawrocki, der im Gegensatz zu Regierungschef Donald Tusk auf Trumps Seite steht und diesen kürzlich im Weißen Haus besuchte, sondern auch für die europäischen Führungsmächte Deutschland, Frankreich und Italien.

David North

30 Jahre Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990–2020

Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.

Der aggressive Ton, mit dem deutsche Leitmedien das Scheitern von Merz‘ Versuch kommentierten, die eingefrorenen russischen Staatsgelder zur Finanzierung des Ukrainekriegs zu rauben, gibt einen Vorgeschmack darauf, mit welcher Arroganz der deutsche Imperialismus seinen Führungsanspruch in Europa wieder geltend macht.

F.A.Z.-Herausgeber Berthold Kohler denunzierte Tschechien, die Slowakei und Ungarn als „Trittbrettfahrer“ und „Schande“ für die EU. Sie nähmen „alle wirtschaftlichen und politischen, auch sicherheitspolitischen Vorteile der EU in Anspruch“, verfolgten „in der epochalen Auseinandersetzung mit Putins imperialistischem und revisionistischem Russland aber einen egoistischen Appeasementkurs, der die Entscheidungskraft der ganzen EU schwächt“.

Frankreich warf Kohler vor, es habe Merz zu einem Kompromiss gezwungen, für den er „einen unangenehmen Preis zahlen musste: das Ausweichen auf eine Kreditlösung, die auf eine gemeinsame europäische Verschuldung hinausläuft“.

Kohler stellte auch ungeschminkt klar, worum es im Ukrainekonflikt geht: Nicht um Frieden und Demokratie, sondern um Europas Großmachtanspruch. „Geschlossenheit und Entschlossenheit muss die EU aber nicht nur demonstrieren, um Putin abzuschrecken,“ schreibt er. „Auch in Washington und Peking wird sehr genau verfolgt, ob das vereinte Europa ein Machtfaktor ist, mit dem Amerika und China bei der Neugestaltung der Welt nach ihren zunehmend autoritären Vorstellungen zu rechnen haben – oder ob man mit den Europäern umspringen kann, wie es den Autokraten und Diktatoren gefällt.“

Die herrschende Klasse Frankreichs verfolgt den deutschen Führungsanspruch in Europa mit Misstrauen. Präsident Macron und Kanzler Merz können noch so oft die europäische Einheit beschwören, geht es um konkrete Fragen, häufen sich die Konflikte. Das gilt nicht nur für die Aufnahme gemeinsamer europäischer Schulden, die Frankreich befürwortet und Deutschland ablehnt, sondern auch für gemeinsame Rüstungsprojekte und Handelsverträge.

So liegt Europas bedeutendstes Rüstungsvorhaben, das seit 2014 geplante Future Combat Air System (FCAS), in den letzten Zügen. Der französische Dassault-Konzern und Airbus, an dem Deutschland einen großen Anteil hält, können sich nicht darauf einigen, wer das neue Kampfflugzeug und andere Komponenten entwickelt und baut. Bei dem Streit geht es nicht nur darum, wer an dem Auftragsvolumen von über 100 Milliarden Euro verdient, sondern auch um die militärische Vorherrschaft in Europa. Weder Deutschland noch Frankreich sind bereit, sich bei wichtigen Militärtechnologien vom anderen abhängig zu machen.

Das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay, das EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen am vergangenen Samstag nach 26-jährigen Verhandlungen unterzeichnen wollte, wurde durch Frankreich, Italien und Polen in letzter Minute blockiert, nachdem Bauern in Brüssel lautstark dagegen protestiert hatten. Für die deutsche Wirtschaft bedeutet dies einen herben Rückschlag.

Auch Macrons jüngster Initiative, direkte Gespräche mit Putin aufzunehmen, begegnet Berlin mit Misstrauen. Offenbar war man vorher nicht informiert worden.

Die Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich werden sich weiter verschärfen, sollte Marine Le Pen oder Jordan Bardella vom rechtsnationalistischen Rassemblement National das Präsidentenamt übernehmen.

Ausgetragen werden die Konflikte mit Russland, den USA und innerhalb Europas auf dem Rücken der Arbeiterklasse. Die gewaltigen Summen für die Aufrüstung und den Ukrainekrieg erfordern Kürzungen bei den Renten und Sozialausgaben, die Folgen des internationalen Handelskriegs Massenentlassungen und Lohnabbau. Bei aller Abneigung gegen Trumps Außenpolitik imponieren den Mächtigen in Europa seine Jagd auf Migranten, seine Gleichschaltung der Medien, seine Hetze gegen linke Gegner und seine autoritären Herrschaftsmethoden.

Das ist der Grund, weshalb rechtextreme Parteien wie die deutsche AfD, das französische Rassemblement National und die italienischen Fratelli wachsende Unterstützung in der herrschenden Klasse finden und ihre rassistische Flüchtlingspolitik von der EU umgesetzt wird. Das Europa von heute erinnert mehr und mehr an jenes der 1930er Jahre, als der Kontinent in Faschismus und Krieg abglitt.

Nur eine unabhängige Bewegung der europäischen Arbeiterklasse kann einen Rückfall in die Barbarei verhindern. Sie muss den Kampf gegen Krieg, Sozialabbau, Entlassungen und Faschismus mit dem Kampf gegen ihre Ursache, den Kapitalismus, verbinden. Sie muss der Europäischen Union der Kriegstreiber, Konzerne und Banken die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegenstellen.