Auf Knien kauert Bernhard Kitt zwischen dem Stück nachmodellierter Stadtmauer und dem soliden schmiedeeisernen Gitter, das die Altarnische verschließt. Wie seit gut 40 Jahren bekommt die barocke Weihnachtskrippe des Münsters hier wieder ihren angestammten Platz. Eine Trittleiter erleichtert es dem Obstbauern, auf die Fläche zu klettern, auf der er nach und nach die 120 Figuren drapiert. „Wo sind die Gut-und-Böse-Geißböcke?“, fragt er sich – und seine Frau Antonia, die ihm von draußen zur Hand geht. „Antonia sag mir, wie ich die Figuren drehen muss – sonst müsste ich dauernd rein und rausklettern.“

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Jedes Jahr fertigt Bernhard Kitt einen neuen Apfelbaum für seine Lieblingsfigur, den Flötenspieler. Gemeinsam mit seiner Frau Antonia gestaltet er als Nachfolger von Hubert Regenscheit die barocke Weihnachtskrippe des Überlinger Münsters.
Foto: Baur, Martin
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Jedes Jahr fertigt Bernhard Kitt einen neuen Apfelbaum für seine Lieblingsfigur, den Flötenspieler. Gemeinsam mit seiner Frau Antonia gestaltet er als Nachfolger von Hubert Regenscheit die barocke Weihnachtskrippe des Überlinger Münsters.
Foto: Baur, Martin
Ein neuer Krippenbauer
Erstmals, seit Bernhard Kitt den Aufbau der Münsterkrippe von Hubert Regenscheit vor zwei Jahren übernahm, lässt er sich dabei über die Schulter schauen. Eineinhalb Tage hat es gedauert, bis alle Engel, Hirten, Bürgerfrauen, Kamele und Schäfchen rund um die Krippe mit dem Jesuskind ihren bewährten Platz gefunden haben. Nicht zu vergessen, das Moos, das Bernhard Kitt Tage zuvor gesammelt hat.

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Die eigentliche Krippenszene im Detail mit Ochs und Esel. Das Dach und die Fachwerkkonstruktion sind einem ortstypischen Schuppen – alemannisch Schopf – nachempfunden.
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Die eigentliche Krippenszene im Detail mit Ochs und Esel. Das Dach und die Fachwerkkonstruktion sind einem ortstypischen Schuppen – alemannisch Schopf – nachempfunden.
Foto: Baur, Martin
Es sind zwei Krippenlandschaften, die am Sonntag und Montag im Überlinger Münster entstanden sind. Während das Ehepaar Kitt die Barock-Krippe beim Schutzengel-Altar aufbauten, kümmerten sich Ulrich Schleindl und Andreas Martin um die andere Szenerie zu Jesu Leben, die in der Nische der Taufkapelle aus 171 Zizenhauser Tonfiguren entstand.
Religiöse Unterweisung
Entstanden waren die Krippen nach der Reformation, wie Museumskustos Peter Graubach erläutert: „Im Zuge der Gegenreformation wollte man unbelesenes Volk wieder in die Kirchen holen“. Dazu nutzte man die bildlichen, figürlichen Darstellungen des Weihnachtsevangeliums. In seinen Führungen sei es ihm wichtig, so Graubach, das kursierende Halbwissen zu den Krippen zu beseitigen. „Viele junge Leute wissen gar nicht mehr, dass solche Krippen der religiösen Unterweisung dienten und nicht etwa bloße Dekoration wie ein Weihnachtsbaum.“ Die Münsterkrippen bleiben bis Ende Januar 2026 aufgebaut.
Warum nicht alle Figuren zur Krippe schauen
Das Credo Hubert Regenscheits lautete: „Man kann Figuren hinstellen – oder aufstellen, das ist wie die Inszenierung eines Theaterstücks.“ Bernhard Kitt setzt es konsequent um. Deshalb gibt es nur wenige Figuren, die ihren Blick nicht aufs zentrale Geschehen gerichtet haben, das Jesuskind in der Krippe. „Der Herold mit der Standarte, der muss rausgucken“, sagt Kitt. Er verkünde dem Betrachter die Geburt des Heilands. Hinter jeder Figur gebe es eine Geschichte, die erzählt werden wolle. So steht vorne rechts eine Marketenderin mit tiefem Dekolleté, die drei Soldaten für sich begeistert. „Lustbarkeit gehört auch dazu“, meint Kitt verschmitzt.
Tonfiguren aus der Barockzeit
Die Krippe aus Zizenhauser Terrakotten war bis Anfang der 1980er-Jahre die einzige im Münster, sie war der Kirche von einer Familie vermacht worden. Die Tonfiguren sind Schöpfungen des Kirchenmalers Anton Sohn (1769 bis 1840), der sie in der kleinen Hegaugemeinde anfertigte. Von dort aus eroberten sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Wohnraumschmuck halb Europa. Heute sind die Figuren gesuchte – museale – Sammelobjekte.

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Die Terrakotten aus Zizenhausen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, zeigen teils drastische Darstellungen: Hier der nach Matthäus überlieferte, von Herodes befohlene bethlehemitische Kindermord.
Foto: Baur, Martin
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Die Terrakotten aus Zizenhausen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, zeigen teils drastische Darstellungen: Hier der nach Matthäus überlieferte, von Herodes befohlene bethlehemitische Kindermord.
Foto: Baur, Martin
Die barocke Krippe, um die sich heute das Ehepaar Kitt kümmert, kam erst 1982 ins Münster, zuerst als Leihgabe der Familie Flach-Krug. Sie entstanden um 1780 und waren höchstwahrscheinlich für eines der Überlinger Klöster angefertigt worden. Typisch für diese frühen Krippen: Die hölzernen Figuren sind beweglich und mit Stoffkleidern angezogen.
Werke überstanden kaiserliches Krippenverbot
Das verbindet die Münsterkrippe mit der historisch und künstlerisch bedeutenden Krippe im Überlinger Museum, bei der es sich um eine der ganz seltenen noch erhaltenen „Simultankrippen“ handelt, die das Krippenverbot von Kaiser Josef II. von 1785 überstanden. Die aus dem Franziskanerkloster stammenden Figuren zeigen Jesu Leben von der Geburt bis zur Kreuzigung.

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Die bedeutende Simultankrippe im Überlinger Museum zeigt Stationen aus dem gesamten Leben Jesu. Hier „Ecce homo“ – „sehet, der Mensch“ nach dem Johannesevangelium. Für die meisten Szenen entwarf Victor Mezger sen. Überlinger Kulissen, diese allerdings verlegte er auf den Balkon eines schwäbischen Rathauses.
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Die bedeutende Simultankrippe im Überlinger Museum zeigt Stationen aus dem gesamten Leben Jesu. Hier „Ecce homo“ – „sehet, der Mensch“ nach dem Johannesevangelium. Für die meisten Szenen entwarf Victor Mezger sen. Überlinger Kulissen, diese allerdings verlegte er auf den Balkon eines schwäbischen Rathauses.
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Museumsgründer Victor Mezger senior, Künstler und Restaurator, entwarf 1929 Kulissen für die Figuren und holte Jesu Leben in die ehemalige Reichsstadt Überlingen. Der damalige Kustos Paul Wachter setzte die Pläne derart perfekt um, dass sie heute ihrerseits historische Quellen sind. Das Pfingstwunder des Heiligen Geistes etwa ist in die Zunftstube der 1945 abgebrannten Löwenzunft verlegt. Nur durch die Krippenkulisse wissen wir heute noch, wie sie aussah.

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Das Pfingstwunder: Jesus segnet die Jünger mit dem Heiligen Geist. Für diese Szene wählte Victor Mezger die Zunftstube der später, 1945, abgebrannten Löwenzunft. Nur so wissen wir, wie sie in etwa ausgesehen hat.
Foto: Baur, Martin
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Das Pfingstwunder: Jesus segnet die Jünger mit dem Heiligen Geist. Für diese Szene wählte Victor Mezger die Zunftstube der später, 1945, abgebrannten Löwenzunft. Nur so wissen wir, wie sie in etwa ausgesehen hat.
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Jesu Geburt in Überlingen
Auch Hubert Regenscheit verlegte die Heilsgeschichte in seine Heimatstadt, um sie den Betrachtern nahe zu bringen. Aus Holz und Kork fertigte er eine der Überlinger Stadtbefestigung nachempfundene Kulisse mit Turmruine an, die Krippe selbst steht in einem ortsüblichen Schopf, der an die Stadtmauer angebaut ist.

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Bernhard Kitt in der engen Altarnische: Die Kulisse der Krippe ist einem Fragment der Überlinger Stadtbefestigung mit Turm nachempfunden.
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Bernhard Kitt in der engen Altarnische: Die Kulisse der Krippe ist einem Fragment der Überlinger Stadtbefestigung mit Turm nachempfunden.
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Martin Baur
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