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Was wünscht sich jemand, der bereits alles hat?
… ist eine Frage, die den Autor dieser Zeilen zum Glück nicht betrifft. Zu wünschen gibt es vieles – auch vom Profisport. Schön wären zum Beispiel weniger Taktik-Blabla, mehr gute WM-Songs und die Wiedergeburt des Hauptstadt-Derbys. Eine hoffnungsvolle Aufzählung.
Weniger Regelfixierung, bitte
Ich wünsche mir weniger Regelfetisch im Fußball. Minutenlange Video-Überprüfungen, absurde Schnürsenkel-wedelte-ins-Abseits-Entscheidungen, endlose Handspiel-Diskussionen. Abgesehen vom umstrittenen VAR hat sich ganz allgemein eine Besessenheit vom sogenannten „Regelwerk“ eingeschlichen: In Interviews und Podcasts werden Schiedsrichterleistungen seziert, Referees sind längst mediale Erscheinungen.
Die Regelhüter verdienen Würdigung, nicht falsch verstehen. Aber die zunehmende Fixierung auf Richtlinien geht an der eigentlichen Sache – dem Fußballspiel – vorbei. Die mittlerweile absurden Nachspielzeiten von drölf Minuten resultieren aus einer peinlich-buchhalterischen Bilanzierung der Spielereignisse und offenbaren ein fehlendes Gespür für den tatsächlichen Spielverlauf. Regeln sind dafür da, den Fluss des Spiels, das wir lieben, zu schützen (klingt pathetisch, aber man muss der kalten Pedanterie ja etwas entgegensetzen). Ist das Spiel durch den Regelfetisch gerechter geworden? Vielleicht. Ist es fairer? Keinesfalls.
Eine Wiedergeburt des Hauptstadt-Derbys
Ich wünsche mir ein Hauptstadt-Derby. Der große Chronist Honoré de Balzac soll 1847 in sein Tagebuch notiert haben, Berlin werde „immer die Stadt der Langeweile“ sein (wegen Protestantismus oder so). Zumindest zu Balzacs Zeiten dürfte es tatsächlich öde zugegangen sein – immerhin gab es noch kein Hauptstadt-Derby zwischen Union Berlin und Hertha BSC. Und damit auch keinen Ankerpunkt im Berliner Jahresterminkalender, kein bundesweit beachtetes, emotional aufgeladenes Kult-Duell zweier grundverschiedener Fußballklubs, samt knisternder Spannung in den Tagen zuvor und wochenlangen Nachwirkungen.
Durch den Abstieg von Hertha BSC im Jahr 2023 wurde die Hauptstadt zurückgeworfen in die Tristesse der Balzac-Epoche. Das darf sich gerne ändern (aber bitte nicht durch einen Union-Abstieg).
„Far away in a merry car“
Ich wünsche mir einen WM-Song der Nationalmannschaft. Wer den Clip zum Lied „Far away in America“ von der DFB-Auswahl gemeinsam mit den Village People gesehen hat, braucht sich nicht mehr fürchten. Karl-Heinz Riedle zeigt sein Blendax-Lächeln, Jürgen Klinsmann wippt den Body zum Beat, Icke Häßler grinst verschmitzt.
Eine musikalische Wiederauflage zur WM 2026 in den USA drängt sich förmlich auf. Die K.I. schlägt den dadaistischen Titel „Far away in a merry car“ vor. Genial! Ein Homophon aus dem Ursprungstitel „Far away in America“. Also klingt gleich, bedeutet aber etwas völlig anderes, nämlich: „Weit entfernt in einem fröhlichen Auto“. Und im Musikvideo (feat. Nicki Minaj, wer sonst) cruist Waldemar Anton in einem quietschgelben Volkswagen-Beetle durch den Nebel der Appalachen. VW-Marketingabteilung, bitte melden.
Fußball ohne aufgeblasenen Fachjargon
Ich wünsche mir weniger Pseudo-Analysen und mehr Sachlichkeit in den Fußball-Übertragungen. Wer als Fußballfan vor, sagen wir, zehn Jahren ins Koma fiel und nun wieder erwacht, wird sich wundern. Denn nun schwirren seltsame Begriffe durch die TV-Übertragungen, bei denen früher von Pass, Schuss und Flanke die Rede war.
Hier eine kleine Auswahl der neuen Begriffsmarotten: Aktivposten, Anlaufverhalten, agieren, Momentum, Positionsspiel, Restverteidigung, Standardsituation, Schienenspieler, Vorwärtsbewegung, zweite Bälle – und am allerwichtigsten: kompakt. Fraglich, ob solche Analysen Zuschauern dabei helfen, das Spiel nachzuvollziehen.
Sportwettenwerbung, wirklich?
Ich wünsche mir eine breite Diskussion um Sportwetten-Werbung. Wenn fast kein Fußballspiel geschaut werden kann, ohne dass es flankiert wird von einer männlichen Stimme, die in tiefstem Timbre für eine suchtfördernde Aktivität wirbt, dann ist das ein Problem. Darf jeder und jede machen, was er oder sie will – aber das ist genau der Punkt: Können minderjährige Fußballfans das wirklich frei entscheiden, wenn sie dieser Werbung ausgesetzt sind?
Sendung: rbb|24, 23.12.2025, 07:12 Uhr