Brüssel/Antwerpen. Militärdocks an Europas größten Handelshäfen: vier bis fünf Militärschiffe pro Jahr, wo bislang Containerriesen festmachten, dazu Landungsübungen der Nato und Truppenverlegungen. Rotterdam und Antwerpen, die beiden wichtigsten Häfen Europas, bereiten sich auf einen Krieg vor.
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Für Europas Häfen markiert diese Entwicklung eine Zäsur. Nach Angaben der Rotterdamer Hafenbehörde reservieren beide Häfen inzwischen Flächen für Nato-Militärschiffe und stimmen ihre Abläufe eng ab, um im Ernstfall Militärgüter schnell verlegen zu können. Dabei schlagen Rotterdam und Antwerpen eigentlich mehrere Hundert Millionen Tonnen Güter pro Jahr um. Gemeinsam sind sie die wichtigsten Tore für Waren nach Europa – und zunehmend auch für Truppen und Waffen.
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„Nicht jeder Bereich des Hafens ist dafür geeignet“, so Rotterdams Hafenchef Boudewijn Siemons. Deshalb teilen sich Rotterdam und Antwerpen die militärische Verantwortung, vor allem bei Lieferungen aus den USA, Großbritannien und Kanada. Rotterdam richtet erstmals ein eigenes Dock für Militärschiffe ein und rechnet mit bis zu fünf Schiffen pro Jahr, die hier über Wochen liegen, sowie mehreren Landungsübungen. Antwerpen erhält bereits regelmäßig Nachschub für US-Truppen in Europa, von denen rund 100.000 Soldaten auf dem Kontinent stationiert sind.
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Dass der militärische Teil des Hafengeschäfts angesichts der geopolitischen Spannungen wachsen wird, davon ist Antwerpens Hafenchef Jacques Vandermeiren überzeugt. „Ganz sicher“, sagt er bei einem Treffen mit dem RedaktionsNetzwerkDeutschland. „Das ist leider die neue Realität, und wir sind als Nato-Häfen stark in diese neue Realität involviert.“ Seit Jahren nutzen die USA Bremerhaven, Rotterdam und Antwerpen für Truppen- und Ausrüstungsverlegungen bis an die Ostflanke.

Das belgische Verteidigungsministerium hat eine Ausschreibung gestartet, um Terminalbetreiber zu finden, die im Bedarfsfall kurzfristig Kapazitäten frei machen können. Im konkreten Szenario gehe es laut Vandermeiren möglicherweise um 2000 US-Fahrzeuge, die ankommen. Anders als Rotterdam will Antwerpen dafür keine festen Flächen dauerhaft dem zivilen Hafenbetrieb entziehen. Vandermeiren setzt auf „die berühmte duale Nutzung der Hafenkapazität“, also zivile Terminals, die im Ernstfall vorübergehend militärisch genutzt werden. Der Hafenchef rechnet damit, 20 bis 30 Tage im Voraus von der US-Armee über einen solchen Transport informiert zu werden. Diese Zeit sei für Terminalbetreiber ausreichend, sagt er. „Die größte Herausforderung ist, den Hafen zu verlassen und das ganze Material nach Osten zu bringen.“ Schon heute trainiere man Transporte quer durch Deutschland bis zur polnischen Grenze.
Die größte Herausforderung ist, den Hafen zu verlassen und das ganze Material nach Osten zu bringen.
Jacques Vandermeiren,
CEO vom Antwerpener Hafen
Genau hier setzt die EU-Kommission an. „Unser Ziel ist es, bis 2027 einen militärischen Schengen-Raum zu schaffen, der eine wirksame Beförderung militärischer Güter, die gemeinsame Nutzung entsprechender Einrichtungen durch die Mitgliedstaaten und gegenseitige Hilfe in Notsituationen ermöglicht“, so Verteidigungskommissar Andrius Kubilius. Häfen, Flughäfen und Eisenbahnknotenpunkte sollen für überdimensioniertes militärisches Gerät ertüchtigt werden. „Je schneller wir Streitkräfte bewegen können, desto stärker sind wir bei der Abschreckung und Verteidigung“, sagt EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. Kubilius nennt Geschwindigkeit den „Eckpfeiler der Kriegsführung“.
Unser Ziel ist es, bis 2027 einen militärischen Schengen-Raum zu schaffen, der eine wirksame Beförderung militärischer Güter, die gemeinsame Nutzung entsprechender Einrichtungen durch die Mitgliedstaaten und gegenseitige Hilfe in Notsituationen ermöglicht.
Andrius Kubilius,
EU-Verteidigungskommissar
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Geplant sind Genehmigungen für alle Grenzübergänge in nur drei Tagen. Im Kriegsfall soll eine bloße Benachrichtigung ausreichen und das Militär vorrangigen Zugang zu Infrastruktur erhalten. Heute ist oft das Gegenteil der Fall: Wegen Routenauflagen, Gewichtsbeschränkungen und brüchiger Brücken kann es bis zu sieben Wochen dauern, einen Panzer ans Ziel zu bringen.
Das neue Maßnahmenpaket der EU soll die Mitgliedstaaten verpflichten, Routen für Truppen- und Ausrüstungsverlegungen auszuarbeiten und zu prüfen, ob Straßen, Schienen, Tunnel oder Brücken den notwendigen Anforderungen genügen. Vier grenzüberschreitende Militärkorridore sind geplant. Brüssel hat bereits 500 Nadelöhre identifiziert, deren Beseitigung rund 100 Milliarden Euro kosten dürfte.
Längst rüsten auch deutsche Häfen auf: Im Hamburger Hafen fand im September die dreitägige Militärübung „Red Storm Bravo“ statt, die größte dieser Art in der Hansestadt seit dem Ende des Kalten Krieges. Trainiert wurde die zivil-militärische Zusammenarbeit bei großangelegten Truppenverlegungen an die Nato-Ostflanke. Soldaten kommen mit ihrer Ausrüstung und ihren Waffensystemen per Schiff am Hamburger Hafen an und müssen dann über Straße und Schiene weiter Richtung Osten.
Die Häfen sehen sich für militärische Transporte gut gerüstet. 4000 Container, wie sie die USA nach Antwerpen bringen, seien im Vergleich zum Tagesgeschäft überschaubar, sagt Vandermeiren. Sein Hafen fertigt rund 30.000 Container pro Tag ab. Was sich jedoch grundlegend verändert, ist die Rolle von Europas Häfen. Sie sind nicht mehr nur Motoren des Welthandels, sondern rücken zugleich immer stärker in den Dienst der europäischen Sicherheit.