Frieden – Schalom – Wohnen: Diese drei Worte stehen im Zentrum der Predigt von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger, gehalten in der Christvesper an Heiligabend in der Reformationskirche. Bernhard Seiger verbindet darin die biblischen Verheißungen der Weihnachtsgeschichte mit den Erfahrungen aus unserer Gegenwart. Sie lädt dazu ein, über die Sehnsucht nach Geborgenheit, Gemeinschaft und Frieden nachzudenken – und darüber, was es bedeutet, dass Gott selbst unter den Menschen wohnen will.

 

Hier können Sie die Predigt von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger nachlesen: 

Ich beginne mit einem Gebet: „Gott, schenke uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für dein Wort.“

Liebe Gemeinde! „Einsam wacht nur das traute hochheilige Paar.“ (Joseph Mohr, aus Stille Nacht) „Und das Wort wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.“ (Johannes 1,14)

Wohnen, einsam sein und in Gemeinschaft sein: Das sind die Themen der Heiligen Nacht. In den letzten Wochen bin ich schon mal im Dunklen durch die Straßen gegangen. Frühmorgens oder abends. Hier in unserer Nachbarschaft in Bayenthal. Aber auch in Chorweiler und am Bahnhof.

Ich sehe dann auf die Wohnhäuser, manche Wohnungen mit Licht, andere ohne Licht. Manche mit Sternen und Lichterketten geschmückt, andere nicht.

Ich frage mich dann: wie wohnen die Menschen dort? Wer wohnt alleine, wer wohnt mit anderen zusammen? Wie ist das Zusammenwohnen? Oder das alleine Wohnen? Wie fühlt es sich an?

Meine Frau und ich stimmen uns in diesen Monaten auf einen Umzug ein, dann ist das Thema Wohnen konkreter als sonst. Aber wir kennen es alle. Wie wohnen wir?

Menschen, die zu „Gulliver“ kommen, das ist die Obdachlosenanlaufstelle am Bahnhof, wohnen nirgendwo so richtig. Nachts ist es hier dunkel, die Tür ist zu. Die Gäste des Tages, die sonst dort essen und Sachen waschen können, suchen sich für die Nacht einen geschützten Platz unter einem Bahnbogen oder in einem Hauseingang. Auch diese Nacht.

Die Frage, „Wer kann sich Wohnen leisten und wo?, liegt auf der Hand und beschäftigt viele in unserer Stadt. Beim Wohnen geht es aber nicht nur um die Frage des Hauses, in dem wir wohnen, sondern auch mit wem. Und wir ziehen alle in unserem Leben wohl mehrfach um. In verschiedenen Lebensphasen steht etwas anderes an. Immer hat ein Umzug etwas mit Veränderung zu tun, oft auch mit einem Status. Und es ist ein hohes Gut, wohnen zu können. Beim Propheten Jeremia (Jer. 23,6) wird diese elementare Sehnsucht und Hoffnung beschrieben: „Zu jener Zeit wird Israel sicher wohnen.“

Wie aktuell sind diese Worte! Wir haben den schrecklichen Anschlag bei einer Chanukkafeier in Sydney am 14. Dezember und den wachsenden Antisemitismus in unserem Land vor Augen. Das Volk Israel hat die Sehnsucht nach Sicherheit und Frieden. Seit Jahrhunderten und jetzt.

Wir wohnen hier in einem sicheren Lande. Dank eines Bündnisses und seiner Verteidigungsfähigkeit. Auch jüdische Menschen, dank einer aufmerksam handelnden Polizei. Aber wir wissen, wie fragil die Sicherheit werden kann. In der Ukraine und in Israel und Palästina ist das sichere Wohnen jede Nacht von Raketen bedroht.

Gerade an Weihnachten spüren viele die Sehnsucht, „nach Hause“ zu kommen.  Deswegen so viele Reisen. Der Dichter Christian Morgenstern hat einmal geschrieben: „Man ist nicht dort zuhause, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern dort, wo man verstanden wird.“

Wohnen ist im Letzten nicht ein Ort, wir bleiben ja auf der Wanderschaft, sondern ein Gefühl von Geborgen-Sein. Manche sind erschöpft von der Schnelllebigkeit unserer Zeit und den rasanten Veränderungen, die um uns her geschehen. Und auch wir selber verändern uns, oft ohne es sofort zu merken. Dann fühlt man sich manchmal sogar fremd in eigenen Leben.

Wundert es da, wenn wir Sehnsucht nach Sicherheit haben? Sehnsucht nach einem sicheren Ort, nach Geborgensein?

Maria und Joseph suchen eine sichere Stätte. Und das Jesuskind sucht einen Platz zum Wohnen. Überall das gleiche Bedürfnis. Ja, auch Gott sucht einen Platz zum Wohnen. Davon handeln die Weihnachtsgeschichte und der Predigttext für heute,

Hesekiel/Ezechiel 37,24-28 – Textverlesung

Wir hören im Abschnitt des Ezechiel jenes Schlüsselwort: Wohnen. Viermal kommt es vor. „Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen“, schreibt der Prophet Hesekiel. „Wohnen“ – wenn es irgendein weihnachtlich-wärmendes Wort gibt, dann ist es wohl dieses: Wohnen – bleiben dürfen – zu Hause sein.  „Gott wird bei uns wohnen.“ Hier kann ich sein, hier kenne ich mich aus. Hier sind wir zusammen geborgen.

An wen ist das Wort gerichtet, für den König David „der Hirte“ sein soll? Der Prophet spricht im 6. Jahrhundert vor Christus das Trostwort Menschen zu, die weit weg von ihrem Heimatland sind. Er spricht zu Menschen im Exil. Das Exil ist eine extreme Form des Verlustes von Wohnen, Heimat und Geborgen-Sein.

Die Worte des Propheten sprechen zu denen in der Fremde. Viele in Jerusalem hatten damals aufgrund der Verfügung der babylonischen Machthaber ihre Heimat verlassen müssen und lebten oder „überlebten“ in der Fremde: „An den Wassern Babels saßen wir und weinten.“ ist so ein berühmtes Zitat aus der Zeit. „Warum ist es so weit mit uns gekommen?“ fragen und klagen die Menschen.

Was tut der Prophet? – – – Er hat nichts als Worte. Er setzt der Unzufriedenheit Gottes Verheißung entgegen: „Sie sollen wieder im Lande wohnen. Es wird eine Rückkehr geben – ‚für immer‘. Und mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte für sie alle.“ Da berührt sich die Geschichte mit der vertrauten Weihnachtsgeschichte: Maria und Joseph und das Kind unterwegs, ohne feste Bleibe.

Der Stall als Geburtsort: Ein Ort des Exils, weit weg von irgendeiner Ortsmitte und einer Form von äußerer Sicherheit. Aber: Gottes Gegenwart wird unerwartet spürbar in dieser verletzlichen Situation.

„Sie sollen wieder im Lande wohnen. Es wird eine Rückkehr geben – ‚für immer‘. Und mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte für sie alle.“

Das sind Sätze in Überschwang. So als würde Gott sein ganzes Volk umarmen: „Ihr werdet alle Zukunft haben, es kommen alle frei, ihr kommt alle nach Hause! Keiner geht verloren, ihr seid alle wichtig.“ „Und Gott wird unter ihnen wohnen.“ (Vers 27)

Wo hat Gott denn seinen Raum unter uns Menschen? Er sucht sich zuerst Maria als Ort zum Wohnen. Eine Frau, die bereit ist, ihn aufzunehmen.

Und es ist interessant: Er will in der Mitte der Menschen wohnen. Unter ihnen. Zwischen ihnen. Das geht also nur in Gemeinschaft. Er spricht sie im Plural an. Gott lebt nicht neben einem einzelnen Menschen, das tut er sicher auch, dann er steht einem Einzelnen zur Seite, sondern er lebt „in der Mitte“. In der Mitte ist er nur in der Gruppe, bei mehreren, zweien, dreien oder zehn, je nachdem, wie groß die Familie ist, oder in der Mitte von 500 Menschen wie jetzt bei uns heute. Das ist ein Lob auf die Gemeinschaft.

Und weiter sagt das Gotteswort „Ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen‘ (Vers 26). „Frieden, Schalom, Wohnen“, diese wunderbar weihnachtlich-glänzenden Worte, bringen eine gemeinsame Lebenswelt mit sich. In eine „Welt in Bewegung“ wird Hoffnung auf das Verlässliche gebracht.

Wir wollen die Friedenszeichen dieses Abends und dieser Tage achten! Jedes Licht im Fenster, jeder Weihnachtsbaum spricht doch die Botschaft vom Frieden aus. Die Zeilen sagen an, was uns Menschen aufgetragen ist und weiterbringt: Nicht dumpfen Tönen das Feld überlassen, sondern Gottes Verheißung des Friedens vor Augen haben. Und diese auszubreiten. Gott spricht im Kind in der Krippe und in den Trostworten.

‚Ich will unter ihnen wohnen‘, diese alte, zuallererst Israel gehörende Verheißung, wird durch die Weihnachtsbotschaft ausgeweitet auf alle Menschen: Gottes Glanz und sein Schalom sind schon spürbar in diesem Kind. Wer immer dieses Kind aufnimmt, kann mit ihm Frieden finden! Und dann „wohnt es bei uns“. Es wird dadurch vorstellbar, dass diese Erde ein Lebensraum für alle wird und bleibt, wenn wir das Ganze im Blick haben. Unser missbrauchter Planet soll auch künftigen Generationen noch ein gutes Wohnen ermöglichen können.

In der Nähe des Kindes finden wir Frieden. Frieden und eine Wohnung, die bestehen bleiben in allem Wandel. Und die Freude über das wunderbare Geschenk des Lebens.

Hannah Arendt, die kluge jüdische Philosophin, Geflüchtete und Überlebende in den mörderischen Wirren des 20. Jahrhunderts, hat auf das Kind in der Krippe geblickt. Sie hat im Wissen um all das, was war, von der Möglichkeit des Vertrauens geschrieben. Sie schreibt: „Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten …. „Uns ist ein Kind geboren.“ Amen.

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Text: APK/Bernhard Seiger
Foto(s): Archiv / Engelbert Broich