Fleischgenuss ohne Tierleid – was vor wenigen Jahren noch nach Science-Fiction klang, wird in Stuttgart immer realistischer. Ein Team um Professorin Petra Kluger arbeitet dort daran, Fleisch im Labor zu züchten – mit ganz neuen Methoden. Besonders zur Weihnachtszeit, wenn viele ans Festtagsmenü denken, zeigt die Forschung, wohin die Reise beim Fleisch der Zukunft gehen könnte.

Ganz ohne tierische Produkte kommt auch Fleisch aus dem Labor nicht aus. Ein Forschungsteam in Stuttgart gewinnt aus Schlachtabfällen lebende Zellen und vermehrt sie anschließend.

Um echtes Fleisch möglichst gut nachzuahmen, benötigen die Forschenden verschiedene Arten von Zellen – unter anderem Fettzellen, erklärt die Doktorandin Ioanna Brenner. „Fett ist wichtig als Geschmacksträger und auch für die Konsistenz von Fleischprodukten. Später kommen dann die Muskelzellen dazu.“

Weihnachtsgans aus dem Labor: Aus diesen Fleischabfällen entnimmt das Stuttgarter Forschungsteam wichtige Zellen zur Herstellung des Laborfleischs.

Aus den Fleischabfällen entnimmt das Stuttgarter Forschungsteam wichtige Zellen zur Herstellung des Laborfleischs.

Um den Zellen optimales Wachstum zu ermöglichen, arbeiten die Forschenden ständig an Verbesserungen. Beispielsweise müssen der Nährlösung noch spezielle Proteine hinzugefügt werden. Bislang konnten die nur aus Rinderblut gewonnen werden. Doch auch hier gebe es schon Lösungen, so die Arbeitsgruppenleiterin Professor Petra Kluger.

„Wir arbeiten auch in der Biomedizin schon seit Jahren an der Entwicklung eines tierfreien Ersatzes. Die Resonanz am Markt ist gering, weil das [tierische Produkt] ein paar Vorteile hat. Aber natürlich ist da das Tierleid – also die Gewinnung – nicht schön. (…) Aber inzwischen gibt es da sehr gute Alternativen, die komplett ohne tierische Komponenten sind.“

Kluger treibt bereits seit Jahren die Forschung an kultiviertem Fleisch voran – zuerst in Reutlingen, mittlerweile in Stuttgart. Dass ein im Labor gezüchtetes Produkt nicht immer an echtes Fleisch heranreicht, ist für sie nicht entscheidend.

„Ich kann natürlich eine Gänsebrust herstellen, die so aussieht wie eine Gänsebrust und vielleicht auch ähnlich schmeckt“, sagt sie. Neben dem Geschmack sei auch ein „gewisses Mundgefühl“ wichtig. „Ob das jetzt wirklich noch an dieser ganzen Gans hängt, ist für mich zweitrangig.“

Podcast-Cover von "Das Wissen": Frau schaut durch Fernglas


SWR Science Talk
Das Fleisch der Zukunft

Künstlich, im Labor hergestelltes Fleisch gilt als Nahrungsmittel der Zukunft. Doch ist es auch gesund und schmeckt? Professorin Petra Kluger entwickelt mit ihrem Team Laborfleisch.

So.6.11.2022
8:30 Uhr

SWR2 Wissen

SWR2

Mit einem 3D-Drucker testet das Team verschiedene Kombinationen aus gezüchteten Zellen und weiteren Bestandteilen, die für eine bessere Struktur sorgen sollen. So wollen die Forschenden echtes Fleisch besser nachahmen – vielleicht irgendwann sogar eine Gänsekeule.

Laborfleisch: Der 3D-Drucker am Fraunhofer-Institut in Stuttgart druckt eine Gänsekeule.

Der 3D-Drucker am Fraunhofer-Institut in Stuttgart druckt eine Gänsekeule aus gezüchteten Zellen.

Die Forschenden tüfteln aber nicht nur an Gänsefleisch aus dem Labor. Sie forschen an Zellen verschiedener Tierarten. Es gibt sogar ein Projekt mit Fischzellen – „weil ja auch die Ozeane überfischt sind“, erklärt Institutsleiterin Petra Kluger.

Noch ist Fleisch aus dem Labor in Deutschland nicht erhältlich. Erste Anträge zur Zulassung von Laborfleisch durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit werden aktuell bearbeitet. In Italien ist Fleisch aus dem Labor unabhängig davon aber schon komplett verboten.

Außerhalb Europas sieht die Lage anders aus. Singapur war 2020 das erste Land, das den Verkauf von Fleisch aus dem Labor zuließ. Weitere Länder zogen in den Folgejahren nach. In Australien ist seit diesem Jahr ein Wachtelparfait aus dem Labor erhältlich – ab umgerechnet 8,50 Euro pro 180 Gramm. In Zukunft könnte der Preis für Fleisch aus dem Labor mit steigender Produktion aber noch runtergehen, so Kluger.

Fleisch günstiger zu machen ist aber nicht die Hauptmotivation der Forschenden. Da gebe es viele andere Anreize, so Kluger. „Mit dem Klimawandel ist es einfach wichtig, dass wir hier neue Systeme betrachten und die nicht von vornherein schlechtreden. Weil wir dann auch unabhängig von Lieferketten wären und wir könnten auch nach Naturkatastrophen, wenn Böden verseucht sind, hier Nahrungsmittel herstellen.“

Eine weitere Herausforderung sei das Bevölkerungswachstum, so die Biotechnologin. „Wenn sich die Weltbevölkerung so entwickelt wie vorhergesagt, dann gibt es einfach nicht genug Kapazitäten auf der Erde, um alle Menschen mit so viel Fleisch, wie gerade gegessen wird, zu versorgen.“ Auch hier könnte Fleisch aus dem Labor eine Lösung sein.

Auch wenn wir auf die Weihnachtsgans aus dem Labor vielleicht noch etwas warten müssen, könnte die Forschung aus Stuttgart echte Vorteile bringen – für Mensch und Tier.