Tom Bertram (38) ist Stadionsprecher bei Rot-Weiß Erfurt und ehemaliger Zweitligaprofi (Greuther Fürth, SC Paderborn). Wie schon sein Vater Thomas (61), der in der DDR-Oberliga für RWE auflief, schlug auch er den Weg als Profifußballer ein. BILD traf Vater und Sohn zum Doppelinterview.

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BILD: Herr Bertram, was machen Sie heute?

Thomas Bertram: „Seit vier Jahren bin ich EU-Rentner, nachdem ich einige gesundheitliche Probleme hatte. Ansonsten helfe ich Tom in seinem Sportartikelgeschäft mit – da gibt es immer gutzutun. Davor war ich 25 Jahre bei Obi in der Logistik.“

Wie war es für Sie, als Tom Stadionsprecher wurde?

Thomas: Er hat mich vorher gefragt. Ich fand es gut und bin sehr stolz auf ihn.

Tom Bertram: Ich bin jetzt im zwölften Jahr. Damals durfte Lars Sänger nicht weitermachen, danach wurden einige ausprobiert, die bei den Fans nicht ankamen. Schließlich hat Lars meinen Namen ins Spiel gebracht.

Tom Bertram (l.) mit seinem Stadionsprecher-Vorgänger Lars Sänger

Tom Bertram (l.) mit seinem Stadionsprecher-Vorgänger Lars Sänger

Foto: Bild13

Papa Bertram erfuhr im Radio von Schock-Diagnose

Da waren Sie als Spieler schon raus?

Tom: Ich hatte eine Umschulung gemacht und war auf der Geschäftsstelle. Ex-Geschäftsführer Torsten Traub musste extra einen Schein machen, um mich zum Industriekaufmann ausbilden zu dürfen.

Ihre Karriere endete sehr früh.

Tom: Das Tragische ist: Schon in Fürth habe ich mich direkt am Anfang verletzt – bei einem Showtraining den Knöchel zertrümmert. In Paderborn habe ich Pavel Dotchev selbst zu dem Training überredet, in dem ich mich dann schwer verletzt habe. Es war Spielersatztraining, wir wollten kicken und nicht nur laufen.

Tom Bertram 2012 im Testspiel gegen den BVB im Zweikampf mit Kevin Großkreutz

Tom Bertram 2012 im Testspiel gegen den BVB im Zweikampf mit Kevin Großkreutz

Foto: picture alliance / dpa

Das war das Karriere-Aus?

Tom: Danach hatte ich noch eine gute Zeit in Erfurt. Aber Außenband, Kreuzband und Meniskus waren gerissen, das Knie ist einfach weggeglitten. Die Versicherungssumme, die ich bekommen hätte, hätte über eine Million Euro betragen. Und Knie-Spezialist Dr. Ullmann hatte Zweifel, ob das wieder wird. Mit 22 denkst du nicht ans Karriereende – ich wollte spielen und kein Sportinvalide sein.

Thomas: Als ich Tom in Paderborn abgeholt habe, wurde im Radio gerade seine Diagnose verkündet.

Papa und Sohn Bertram im November 2002

Papa und Sohn Bertram im November 2002

Foto: Christian Fischer

„Ich habe mir fünf Glühweine reingeknallt“

Tom: Daran denke ich oft. Aber ändern kann ich es nicht. An dem Tag, an dem wir entschieden haben, dass ich doch operiert werde und es noch einmal mit Fußball versuche, bin ich um 11 Uhr auf den Weihnachtsmarkt gefahren und habe mir fünf Glühweine reingeknallt. Kurz danach kam Jens Möckel vorbei, und wir haben Cuba Libre auf der Couch getrunken.

Welche Rolle spielt RWE heute noch für Sie?

Thomas: Ich bin zahlendes Mitglied der Traditionsmannschaft, gehe zu den Spielen und verfolge den Fußball intensiv.

Tom: Ich bin ebenfalls in der Traditionsmannschaft – und eben Stadionsprecher.

Gibt es dafür Geld?

Tom: Nein. Ich bekomme zwei VIP-Karten. Ganz am Anfang gab es mal 300 Euro, noch in der dritten Liga.

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Wer wird Meister in der Regionalliga Nordost?

Thomas: Lok Leipzig.

Tom: Es ist sehr eng.

Fabian Gerber ist als Erfurt-Trainer aber eine Erfolgsgeschichte.

Thomas: Absolut, ich finde ihn sehr gut.

Tom: Ich würde mir eher Sorgen machen, dass er irgendwann weg ist, weil ein besseres Angebot kommt.

Erfurt-Trainer Fabian Gerber (l.) neben Lok-Sportchef Toni Wachsmuth

Erfurt-Trainer Fabian Gerber (l.) neben Lok-Sportchef Toni Wachsmuth

Foto: dpa

Tom Bertram über RB Leipzig: „Sie wildern extrem“

Zum Beispiel von RB Leipzig?

Thomas: Ich habe kein Problem mit der „Büchse“. Andere Vereine werden auch von Firmen unterstützt – man sieht es nur weniger.

Tom: Ich mag es nicht. Ich bin Traditionalist. Erfolgreich, ja – aber es tut keinem Ostverein gut. Sie wildern extrem, schon im Nachwuchs. Das ist legitim, aber die Durchlässigkeit nach oben ist katastrophal.

Wie war das zu DDR-Zeiten?

Thomas: Ich war Profi und bekam mein Gehalt von der Umformtechnik.

Gab es Neid, weil Tom später mehr verdienen konnte?

Thomas: Nein, das war einfach eine andere Zeit.

Tom: In Paderborn habe ich, glaube ich, drei Gehälter bekommen – dann war ich verletzt.

Bertram (Nr. 4) war U21-Nationalspieler, lief u.a. gemeinsam mit Mats Hummels (Nr. 5) auf

Bertram (Nr. 4) war U21-Nationalspieler, lief u.a. gemeinsam mit Mats Hummels (Nr. 5) auf

Foto: imago/MIS

Sie haben mit Mats Hummels gespielt.

Tom: Ja, das war damals ein starker Jahrgang in der Junioren-Nationalmannschaft, auch die Boateng-Brüder waren dabei. Hummels wusste erstaunlich viel über meine Karriere. Als Borussia Dortmund in Erfurt war, sagte er zu mir: ‚Du bist also der Dickel von Erfurt‘.

Das schlimmste Erlebnis als Stadionsprecher?

Tom: Der Platzsturm von Lok Leipzig, als sie bei uns den Aufstieg verpasst haben. Für mich war es nicht gefährlich, aber Mario Basler bekam ordentlich auf die Fresse.

Thomas: Ich saß auf der Tribüne – da wurden die Fans richtig angestachelt.

Im Juni 2015 kam es zum Abbruch des RWE-Heimspiels gegen Lok Leipzig. Mario Basler (3.v.l. im weißen T-Shirt), damals Sportchef bei Lok, konnte die Chaoten nicht aufhalten

Im Juni 2015 kam es zum Abbruch des RWE-Heimspiels gegen Lok Leipzig. Mario Basler (3.v.l. im weißen T-Shirt), damals Sportchef bei Lok, konnte die Chaoten nicht aufhalten

Foto: imago/Karina Hessland

„Leute hatten von 3. Liga die Schnauze voll“

Wie sehen Sie die Fans – als Spieler oder Sprecher?

Tom: Das ist tatsächlich ein Problem. Viele kennen mich nur noch als Sprecher oder als ‚Gesicht der Kabine38‘. Ich würde lieber als Ex-Spieler wahrgenommen werden.

Gefällt Ihnen das Stadion?

Thomas: Ich brauche keine Laufbahn.

Tom: Nein, nicht wirklich. Wenn die Fans näher dran wären, gäbe es viel mehr Potenzial.

Nach dem Abriss des Steigerwald-Hauses fehlt RWE ein Zuhause.

Tom: Das war eine Frechheit. Das war Kult. Als Kind bin ich von dort zur Holztribüne gelaufen, um meinen Vater spielen zu sehen. Als Spieler habe ich dort nach den Spielen mit Rudi Zedi und Alexander Schnetzler im Keller geraucht – später habe ich dort sogar gearbeitet.

Startet RWE noch einmal durch?

Thomas: Ich wünsche es mir sehr. Das Umfeld hätte es verdient.

Tom: In der dritten Liga waren wir jahrelang der Dino, immer dasselbe. Die Leute hatten irgendwann die Schnauze voll. Du musst in der Liga oben mitspielen – dann kommen auch die Fans zurück.