Thomas von Künsberg Sarre übergibt seine Fellbacher Stadt-Apotheke sowie seine drei weiteren Apotheken nach fast zwanzig Jahren. Wir haben mit ihm über die Nachfolge gesprochen und warum bundesweit die Zahl der Apotheken schwindet.
Herr von Künsberg Sarre, welche Rolle haben Apotheken aus Ihrer Sicht in einer Stadt?
Apotheken stellen für jeden einen niederschwelligen Zugang zu verlässlichen Informationen zu allen Gesundheitsfragen dar und sind unerlässlich. In welchem Lebensbereich sonst hat jeder spontan und sogar in der Nacht Zugang zu einem akademisch-ausgebildeten Fachmann?
Was führt dazu, dass es bundesweit immer weniger Apotheken gibt?
Als ich mich 2006 selbstständig machte, gab es in Deutschland fast 22.000 Apotheken in der Hand von mehr als 19.000 Apothekern. Heute gibt es nur mehr rund 17.000 Apotheken. Was aber viel dramatischer ist, ist der Rückgang der Zahl der Apotheker, die die Apotheken betreiben, nämlich um 7000 weniger auf nur rund 12.000. Wir haben in zwanzig Jahren mehr als ein Drittel der unternehmerischen Apotheker verloren! Es gibt 7000 Apotheker weniger, die es heute wagen, als eingetragener Kaufmann ihre Apotheken selbstständig zu führen und mit ihrem Privatvermögen für die Güte ihrer Arbeit zu haften. Dafür gibt es nur einen Grund: Die gesetzliche Vergütung für die Arzneimittelabgabe, die seit 2004 – also vor mehr als zwanzig Jahren – nicht nennenswert erhöht worden ist. Gleichzeitig sind Gehälter, Mieten, Energie und allgemeine Kosten dramatisch gestiegen. Als Kompensation für den Ertragsverfall wurden „Nebelkerzen“ gezündet wie „irgendwelche pharmazeutische Dienstleistungen erbringen“.
Stellen Sie sich vor, der Staat würde einem Tankstellenbesitzer im Jahr 2025 ausschließlich den Benzinpreis von 2004 erlauben. Er weiß, dass er damit eigentlich nicht überleben kann und vergütet dafür als Kompensation das Luftdruckmessen und das Wischwassernachfüllen. Das braucht der Kunde aber nicht. Stattdessen muss er weiter fahren, weil es immer weniger Tankstellen gibt. Für die kostenlosen Zusatzleistungen muss er nun Termine vereinbaren, Formulare ausfüllen, Protokolle unterschreiben etc. Auf so einem Niveau machen „Gesundheitsexperten“ aller politischen Parteien Gesundheitspolitik, blasen die Bürokratie auf, zerstören wohnortnahe Versorgung und schaffen keinen Nutzen für ihre Wähler.
Die Stadt-Apotheke in Fellbach ist zentral in der Bahnhofstraße 52 ansässig. Foto: Gottfried Stoppel
Welche Rolle spielen dabei die Online-Apotheken?
Wenn sich jemand die Mühe macht und die Geschäftsberichte der Versandhandels-Apotheken liest, erkennt er, dass die großen Versand-Apotheken defizitär sind. Bei Amazon ist es im Übrigen nicht viel anders. Die Versandhandelssparte von Amazon macht Milliardenumsätze und entweder keinen oder fast keinen Gewinn. Im Handel ist die letzte Meile zum Kunden die teuerste. In Niedriglohnländern kann man die letzte Meile günstig organisieren, aber nicht in einem Hochpreisland wie in Deutschland. Mich erinnert die Situation an Schlecker. Über Jahrzehnte hat Schlecker mit niedrigen Preisen kleine Drogerien kaputt gemacht, die „Schleckerfrauen“ ausgebeutet und am Ende hat der Insolvenzverwalter festgestellt, dass man nicht erfolgreich sein kann, wenn man unterm Einkaufspreis verkauft. Resultat ist, dass es halt keine kleinen Drogerien in jeder kleineren Stadt mehr gibt.
Was macht das Besondere einer stationären Apotheke aus?
Ich kann nicht allgemein für die stationäre Apotheke sprechen. Das Besondere unserer Apotheken ist, die besten Mitarbeiter an uns zu binden. Wir brauchen die besten Mitarbeiter mit Problemlösungskompetenz und mit der Bereitschaft, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Wenn es einen Fachkräftemangel gibt, dann geben wir ausländischen Mitarbeitern eine Perspektive. Wir kaufen möglichst regional ein und versuchen, den Handel beziehungsweise die Vereine vor Ort zu stärken. Wenn es Lieferengpässe gibt – dann agieren wir überregional und nutzen die Digitalisierung. Dann importieren wir lebensnotwendige Antibiotikasäfte aus Polen oder Coronatests aus China. Wir denken an die Umwelt und verwenden nur Ökostrom – sowohl für den Betrieb der Apotheken als auch für die Botenfahrzeuge. Jede Bestellung bis 13 Uhr wird innerhalb von vier Kilometern am gleichen Tag ausgeliefert. Mit den Elektro-Botenfahrzeugen sind wir schneller und umweltfreundlicher als jeder Versandhandel.
Welche Gründe haben dazu geführt, dass Sie die Apotheke abgeben?
Ich betrachte es als großes Glück, dass ich in knapp zwanzig Jahren aus der Stadt-Apotheke Fellbach mit drei Mitarbeitern eine Apothekengruppe bestehend aus vier Apotheken – Fellbach, Backnang, Kirchheim, Nürtingen – und einem Spezialversand mit 72 Mitarbeitern aufbauen durfte. Wir konzentrieren uns auf den sekundären Gesundheitsmarkt und sind damit ein Stück weit von den Rezepten mit der miserablen Vergütung unabhängig. Wirtschaftlich betrachtet macht es für mich keinen Sinn, dass ich verkaufe. Aber ich habe ja noch ein Leben neben den Apotheken. Parallel dazu habe ich vor zehn Jahren einen Herstellungsbetrieb gegründet und mich vergangenes Jahr an einem spannenden Start-up beteiligt.
Darüber hinaus bin ich an weiteren Firmen in der Pharmabranche beteiligt und gestalte bei der einen oder anderen als Beiratsmitglied mit. Ich habe die QP-Qualifikation und werde immer wieder angefragt, bei der Organisation von Herstellprozessen beratend zu unterstützen. Das alles habe ich bislang abgelehnt oder nur so nebenbei gemacht, weil mein Fokus stets die Apotheken waren. Vergangenes Jahr kam ein Apotheker-Ehepaar auf mich zu, das seit vielen Jahren für mich arbeitet und einen erheblichen Anteil unseres Erfolgs verantwortet. Es teilte mir mit, dass sie sich selbstständig machen wollen. Ich dachte mir, dass die beiden die idealen Nachfolger seien – auch wenn es eigentlich ein wenig zu früh für mich ist. Nachdem man als Apotheker in Deutschland nicht mehr als vier Apotheken betreiben darf, hatte ich das Gefühl, dass meine Mission erfüllt sei und ich zu neuen Ufern aufbrechen darf. Darauf freue ich mich mit meinen 56 Jahren wie ein Uniabsolvent, der gerade ins Berufsleben startet.
Wann übergeben Sie die Fellbacher Apotheke und die drei weiteren?
Der Kaufvertrag wurde im Oktober 2024 unterschrieben, die Mitarbeiter wurden im November 2024 informiert. Familie Raichle und ich haben das Jahr 2025 als Übergangsjahr gestaltet. Damit ich mich von meinen geschätzten Mitarbeitern und Kunden entwöhnen kann und damit Familie Raichle in ihre neuen Rollen als „Chefs“ wachsen können. Am 31. Dezember ist Schluss für mich. Tobias Raichle hat ein paar spannende Ideen entwickelt und wird die Apothekengruppe weiterhin innovativ halten.