Läuft noch nicht (ganz) nach Plan: Hertha-Kapitän Fabian Reese. / imago images/Contrast

Stand: 26.12.2025 11:25 Uhr

Nach einem schwachen Start hat sich Hertha BSC zu einem guten Zweitligisten gemausert. Die Aufstiegsränge liegen dennoch in mittelweiter Ferne. Die Berliner müssen sich 2026 strecken, um oben anzugreifen.

  • Hertha-Trainer Stefan Leitl ist es gelungen, die Mannschaft zu stabilisieren
  • Die Berliner sind eines der defensivstärksten Teams der 2. Liga
  • Im Offensivspiel fehlt es jedoch an Wucht, Tempo und Präzision

„Schlecht gestartet, überragend in der Mitte, nicht gut geendet – ich würde eine 3- oder 3 geben“, resümierte Kapitän Fabian Reese nach dem 1:1 gegen Arminia Bielefeld am „Sky“-Mikrofon die Hinrunde von Hertha BSC. „Jetzt gilt es, kurz abzuschalten und sich dann gut vorzubereiten, um direkt von Anfang an in der Rückrunde da zu sein. Dann können wir viele Punkte holen.“
 
Und viele Punkte wird Hertha auch holen müssen, wollen die Blau-Weißen noch bis zum Ende mitten im Aufstiegsrennen bleiben. 28 Punkte nach 17 Spielen – sechs Zähler mehr als zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr unter Cristian Fiél, drei mehr als zum Ende 2023 unter Pal Dardai. Doch definitiv nicht genug, um lockerleicht auf das Aufstiegsziel zu blicken. Schließlich trennen Hertha derzeit vier Tabellenplätze und sechs Punkte von Platz zwei in der 2. Bundesliga.

Hertha hat eine der besten Defensivabteilungen der Liga

Doch nicht nur die reine Punkteausbeute zeigt, dass Hertha sich in der Rückrunde wird steigern müssen, um auf die Aufstiegsplätze zu springen. Auch die tieferliegenden Zahlen offenbaren recht klare Defizite im Berliner Spiel.
 
Positiv ist jedoch festzuhalten, dass es dem Trainerteam um Stefan Leitl gelungen ist, Hertha zu einer der defensivstärksten Mannschaften der Liga zu formen. Maßgeblich dafür war der Systemwechsel am fünften Spieltag. Das vorher einstudierte 3-5-2 wollte einfach nicht greifen, das neue 4-2-3-1 gab den Spielern sichtlich Halt.
 
Hertha kassierte in den darauffolgenden 15 Pflichtspielen nur 13 Gegentore, blieb zwischenzeitlich 1.000 Spielminuten ohne Gegentreffer. Mit insgesamt 16 Gegentreffern stellt die „alte Dame“ die aktuell drittbeste Abwehr der Liga.

Faktor Tjark Ernst

Dem Trainerteam ist es gelungen, dass die Mannschaft als absolute Einheit auftritt, gemeinschaftlich gegen den Ball arbeitet und der Fehler des einen leidenschaftlich von seinem Teamkollegen bereinigt wird.
 
Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass Torhüter Tjark Ernst eine bislang herausragende Saison spielt und Hertha so vor allem zu Saisonbeginn vor weitaus Schlimmerem bewahrt hat. Er ist der ligaweit beste Keeper bei den prozentual gehaltenen Bällen. Zudem hat Ernst bislang statistisch 8,4 Gegentore verhindert – Platz zwei in der 2. Liga.

Hertha muss nach vorne gefährlicher werden

Hinten hui, vorne pfui? So drastisch muss es womöglich nicht formuliert werden, aber: Herthas Offensive stottert in der laufenden Spielzeit. Nur fünf Zweitligisten haben weniger Tore erzielt als Hertha (21 nach 17 Spielen). Die Blau-Weißen belegen bei den abgegebenen Torschüssen Platz zwölf, bei den erspielten Großchancen Rang sieben.
 
Hertha wird vor allem dann gefährlich, wenn das Team auf Umschaltmomente lauern darf, doch im ruhigen Ballbesitzspiel offenbaren sich viele Probleme. Hertha hat große Schwierigkeiten damit, einen tiefstehenden Gegner zu bespielen und Lösungen für enge Räume zu entwickeln. Es fehlen oftmals spielerische Lösungen und Präzision. Hertha belegt bei der Passquote ligaweit nur Platz zehn, hat zudem die viertwenigsten Ballkontakte im gegnerischen Strafraum.
 
Es mangelt teilweise an einem stringenten Plan, durch klare Abläufe gesichert in die entscheidenden Angriffszonen hervorzudringen – allen voran, wenn Spielmacher Michael Cuisance vom Gegner unschädlich gemacht wird.

Der Kader: Nicht Fisch, nicht Fleisch

Hier ist der Blick jedoch auch auf die Transferabteilung zu legen, denn: Der Kader von Hertha – das hat diese Hinrunde gezeigt – ist unrund. Defensiv fehlt es dem Aufgebot merklich an Geschwindigkeit. Einzig Außenverteidiger Deyovaisio Zeefuik durchbricht die 35-Stundenkilometer-Marke, ansonsten verfügen die Berliner kaum über schnelle defensivdenkende Spieler.
 
Daraus ergeben sich zwei Probleme. Zum einen hat Hertha keinen dynamischen Abräumer, der den zentralen Bereich vor der Abwehr schützt. Diego Demme und Paul Seguin fehlt hierfür das Tempo, Kennet Eichhorn noch die Erfahrung. Hertha wird im Sechserraum immer wieder überrannt, zu oft laufen Gegenspieler direkt auf die eigene Viererkette zu.
 
Zum anderen ist es Hertha kaum möglich, hoch zu pressen. Hertha wird schlichtweg überrannt, würden sie mit Spielern wie Marton Dardai, Toni Leistner, Demme und Seguin oft hoch pressen. So aber fehlt Hertha ein wichtiges Werkzeug, um im Spiel Druck auf spielerisch schwache Gegner auszuüben und diese zu Fehlern zu zwingen.

Hertha hat ein Flügel-Problem

So mag es eine Aufgabe des Trainerteams sein, die Trainingszeit in der Winterpause dafür zu nutzen, das Ballbesitzspiel noch facettenreicher und dominanter zu gestalten. Doch auch Leitl kann sich gewisse Spielerprofile nicht backen, er kann seine Schützlinge kaum schneller machen.
 
Und er kann ihnen auch nicht das Dribbeln beibringen. Hertha hat große Defizite im eins gegen eins. Es fehlen die Spieler, die sich im direkten Duell durchsetzen und so wichtige Lücken reißen. Cuisance belegt hier ligaweit noch Platz 20, Maurice Krattenmacher immerhin noch Platz 33 – doch Reese (Platz 69) und Winkler (90) stellen hier kaum eine Gefahr da. Zudem setzen sich auch Herthas Außenverteidiger offensiv nahezu nie durch, einzig Michal Karbownik (Platz 107) sorgt für den ein oder anderen Durchbruch.
 
Leitls Spiel verlangt nach durchsetzungsfähigen Außenspielern (Hertha spielt die drittmeisten Flanken der Liga), offensiv wie defensiv. Doch aufgrund einer Fehlplanung im vergangenen Sommer müssen meist positionsfremde Spieler auf den defensiven Außenbahnen aushelfen – und offensiv fehlt hinter Reese und Winkler die Kaderbreite, um weniger ausrechenbar zu agieren.

In allem ordentlich, in wenigen Dingen wirklich herausragend

Trainer Leitl ist es gelungen, Hertha gegen den Ball zu stabilisieren, zahlreiche individuelle Formtiefs zu beenden und so die Mannschaft zu stabilisieren. Hertha ist exzellent darin, das Spiel des Gegners herunterzukühlen. Die Basis ist somit gelegt.
 
Hertha ist in nahezu jeder Disziplin eine ordentliche, aber in nur sehr wenigen eine sonderlich herausragende Mannschaft. Ein wenig Pressing, ein wenig Ballbesitz, ein wenig Umschaltspiel – es fehlt noch die klare Richtung im eigenen Spiel. Es wird in der Rückrunde vor allem klarere Antworten im Spiel mit dem Ball geben müssen – womöglich auch durch die ein oder andere Neuverpflichtung im Winter.
 
Sollte Hertha hier weitere Entwicklungsschritte gehen und so den ein oder anderen Punkt mehr holen als noch in der Hinrunde, wird die „alte Dame“ auch bis zum Saisonende ein Wörtchen im Aufstiegsrennen mitreden können.

Sendung: rbb|24, 26.12.2025, 11:20 Uhr

Rundfunk Berlin-Brandenburg