Quasi in Rekordzeit – nur ein Jahr nach „Liminal Animals“ – jagen die norwegischen Wölfe ein neues Vollzeitscheibchen durch den Äther. ULVER beglücken ihre Fans mit neuem Material, das auf den verheißungsvollen Namen „Neverland“ hört. Und wer der Synthpop-Phase der Band kritisch gegenüber stand, darf sich freuen, denn anno 2025 schlagen Kristoffer Rygg und Co. einen neuen Weg ein. Man verweilt natürlich in den elektronisch-ambienten Klanggefilden, aber damit dürften sich Anhänger der Norweger mittlerweile abgefunden haben. Statt DEPECHE MODE-Huldigungen gibt es auf dem neuen Album jedoch einen weitestgehend instrumental gehaltenen Sound, der zwar noch einige Winke aus der Synth Pop-Phase mitgenommen hat, zugleich aber auch den Blick zurück zu Werken wie „Blood Inside“ oder „Perdition City“ wagt – in instrumentaler Hinsicht natürlich.

ULVER präsentieren sich anno 2025 weitestgehend instrumental

Das heißt in anderen Worten, dass die Norweger wieder auf die eigentümliche, vielfach gelayerte Stimmungsmache setzen, die organische und elektrische Instrumentierung in eine faszinierende Melange bindet. Und auch wenn man sich längst nicht auf so kompromisslose Weise krautig-experimentell präsentiert wie seinerzeit auf „ATGCLVLSSCAP“, gibt es durchaus Kabinettstückchen zu bewundern wie ganze Chord-Folgen, die wie in ihre Einzelteile zerlegt und im luftleeren Raum verteilt wirken und trotzdem ein großes Ganzes beschreiben – man höre „Weeping Stone“. „Neverland“ zeigt sich in seiner Gesamtheit generell etwas bombastischer und zugänglicher als „ATGCLVLSSCAP“, vor allem auch tanzbarer. Die Komplexität und Tiefe von „Neverland“ verbirgt sich oftmals eher in den Klangtexturen und Arrangements.

Es gibt hier so ein seltsam nostalgisches Neunziger-Feeling, das bei „Neverland“ immer wieder hochkommt. Zwar gibt es auf der Platte keine direkten Anspielungen und ULVER bleiben bei ihrem eigentümlichen Geflecht aus vielschichtigen, stimmungsvollen Elektro-Klängen mit Klavier-Tupfern und zum Teil peppigen Beats, aber immer wieder hat man das Gefühl, als wollten sich Trance-Standards der Mitt- bzw. Spätneunziger durch den Sound kämpfen – ganz besonders in „Horses Of The Plough“ oder „Rivers In The Marrow“. In der Presseinfo ist von einem Punk-Spirit die Rede und man kann hier natürlich Folianten darüber voll philosophieren, inwiefern dies auf die Platte zutrifft. Die Band gibt selbst einen passenden Interpretationsansatz: „Mehr Träumen, weniger Disziplin – freier, schlicht und ergreifend“.

Haben die Norweger hiermit ihre Synth Pop-Phase abgeschlossen?

Dass man sich anno 2025 nicht um traditionelle Liedstrukturen kümmern muss, erlaubt den Norwegern, ihre Hörerschaft mehr in die Vibes ihrer Klanggeflechte eintauchen, ja: förmlich darin marinieren zu lassen. Die Webkunst der Herren in Sachen Electronica wird vollumfänglich zur Schau gestellt, wobei „Neverland“ weniger eine durchgehende Komposition ist. Die elf Stücke der Platte wirken wie in sich geschlossene Studien der Lautmalerei, kommen dabei jedoch zackig auf den Punkt, ohne übers Knie gebrochen zu klingen. Die Effizienz, mit der ULVER hier ans Werk gehen, ist beeindruckend. Die Norweger stecken die intensive Stimmungsmache, für die sich ein COSMIC GROUND beispielsweise 15 Minuten Zeit lassen würde, in bekömmliche Vier-Minuten-Häppchen hinein, ohne das auch nur eine Unze an Geschmack hierbei verloren geht.

Neben den kompetenten, alchemischen Künsten, an denen Rygg und Co. praktisch seit ihrem Weggang von ihren Black Metal-Wurzeln gefeilt haben, ist diese Effizienz die große Stärke von „Neverland“. Teilweise hätte sich unsereins gewünscht, dass die einzelnen Stücke etwas fließender ineinander übergehen, da „Neverland“ teilweise einen fragmentarischen Charakter inne hat. Das tut der schieren Qualität der Veröffentlichen keinen Abbruch, dafür sind die Klanggeflechte einfach viel zu hochklassig in Szene gesetzt. Aber fließendere Übergänge hätten den faszinierenden Sog von „Neverland“ vielleicht noch weiter verstärkt und den Hörfluss weiter optimiert. Doch auch so ist „Neverland“ eine gelungene Veröffentlichung und möglicherweise der Startpunkt eines neuen, kreativen Kapitels von ULVER.