Unter einem Flugblatt stellt man sich eigentlich etwas anderes vor, einen Handzettel vielleicht, der kostenlos herumliegt und auf aktuelle Veranstaltungen hinweist oder auf politische Positionen. Nichts davon trifft auf die Revü zu. Trotzdem nennt sie sich „Flugblatt für Film“. Die Revü ist eine zweimal im Jahr erscheinende Zeitschrift mit Essays über das Sehen oder Machen von Filmen, die nicht tagesaktuell ist und in ausgesuchten Münchner und Berliner Kinos und Buchhandlungen verkauft wird. Online lesen kann man die Revü nicht.
Aber wie kommt man auf die Idee, heutzutage ein Printmagazin herauszubringen? In einer Zeit, in der viele Verlage ihre gedruckten Magazine loswerden wollen und auf Digital-Only-Strategien setzen? Vielleicht ist die Revü einfach der Gegentrend zum Trend: Wenn immer mehr im Netz verschwindet, sehnt man sich eben mehr nach haptischen Dingen. Nach schön gestalteten Druckerzeugnissen etwa, die man in die Hand nehmen, darin blättern und auch mal zur Seite legen kann. Die großen Massen erreichen solche Magazine nicht mehr, es scheint aber ein Publikum dafür zu geben. Zumindest registrierte man zuletzt wieder einige Neuerscheinungen aus den Bereichen Politik, Kultur oder Lifestyle.
Ganz allein mit der Print-Idee ist die Revü also nicht. Es steckt auch kein Verlag dahinter und keine wirtschaftlichen Interessen. Für die Herausgeberinnen ist ihr Film-Flugblatt eine Herzensangelegenheit, die erste Ausgabe erschien Ende 2020. Ziemlich genau fünf Jahre später wurde Anfang Dezember im Theatiner Kino das Erscheinen der zehnten Ausgabe gefeiert. Diese sogenannten Release-Partys in dem vor zwei Jahren von jungen Betreibern übernommenen Traditionskino haben sich mittlerweile etabliert: Es gibt Vorführungen von Filmen, über die in der Revü geschrieben wurde, sowie Lesungen der entsprechenden Texte.
In München fanden auch schon Veranstaltungen in Kooperation mit dem Filmfest oder im Habibi Kiosk der Kammerspiele statt. Der Austausch mit den Leserinnen und Lesern sei ihnen wichtig, erzählt Sarah Ellersdorfer, die die Filmzeitschrift gemeinsam mit Carlotta Wachotsch gegründet hat. Die beiden jungen Frauen haben sich beim Regiestudium an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) kennengelernt. Dort gingen sie oft zu einem hochschulinternen Filmclub zum Filmeschauen und Debattieren.
„Dann kam Corona“, erzählt Ellersdorfer bei einem Videotelefonat kurz vor Weihnachten. Mit dem Filmclub sei es da erstmal vorbei gewesen. Da sie und ihre Kommilitonin gerne Filmzeitschriften wie Revolver, Ray oder Cargo lesen, entschlossen sie sich kurzerhand, selbst eine herauszugeben. Es sollte kein Service-Magazin werden, in dem über neu angelaufene Kinofilme geschrieben wird, auch keine wissenschaftliche Publikation mit Filmanalysen. Ihr Flugblatt sollte eine ganz und gar subjektive Liebeserklärung ans Kino werden. So ist die Revü zeitlos und beschäftigt sich essayistisch mit Film als Kunstform oder mit Räumen, in denen wir Filme auf uns wirken lassen.
Die Form der Texte sei ihnen wichtig, sagt Sarah Ellersdorfer. „Wir wollen etwas dazu beitragen, dass sich Menschen wieder mehr mit Filmen auseinandersetzen.“ Dass sie Film und Bewegtbild nicht ausschließlich mit reiner Unterhaltung verbinden würden. Derzeit setzt sich die Redaktion aus acht Mitgliedern zusammen. Die Auflage ist klein, Geld verdienen sie mit ihrem Flugblatt nicht. Finanzielle Unterstützung erhalten sie unter anderem vom Freundeskreis der HFF München.
Jede Ausgabe steht unter einem bestimmten Motto, die erst vor Kurzem erschienene Nummer 10 vereint auf 88 Seiten Texte zum Thema „Souvenir“. In einem davon geht es um das erste Sehen von Joanna Hoggs 2019 erschienenem Festivalliebling „The Souvenir“, in einem anderen über den Geldbeutel in Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“. Man liest ein Interview mit dem Editor des indischen Filmwunders „All We Imagine As Light“ oder eine Beschreibung darüber, wie Filme zu Gefäßen werden, in denen sich Erinnerungen sammeln lassen.
Es sind Texte über das Sehen, das Machen und das Zeigen; mit einigen davon kann man wenig anfangen, andere berühren einen sehr. „Wir einigen uns zuerst auf ein Thema, dann kommen die Texte“, sagt Sophia Hubel, die als Autorin und Szenenbildnerin arbeitet – und als Einzige im Team keinen HFF-Background hat. Es gebe fluide Strukturen im Team, erzählt sie, die Aufgaben würden immer wieder neu verteilt. Das sieht man den einzelnen Ausgaben an: Die Revü ist eine Art Wundertüte, die ständig neu befüllt wird. Sie würden sich das ganze Jahr über treffen und über gesehene Filme sprechen, sagt Hubel. Am Ende landen manche dieser Filme in einem Flugblatt, das man aber auf keinen Fall mit einem Handzettel verwechseln sollte.