Mannheim – Die Fahrt nach Hause, die Rückkehr ins Elternhaus, wo nicht selten alte Konflikte wieder aufreißen, aber auch neue Emotionen aufflammen, kennen insbesondere zwischen den Jahren Millionen Menschen auf der ganzen Welt. So auch der Filmproduzent Nico Hofmann („Ku’damm 77“), der über Weihnachten Jahr für Jahr direkt in seine Vergangenheit reist.
Mannheim, Stadtteil Lindenhof. Wir sitzen im Wohnzimmer seiner Mutter. An der Wand hängt ein von Helmut Kohl (1930–2017) signiertes Foto. Der Kanzler der Einheit, ein alter Freund der Familie, war oft zu Gast in Hofmanns Haus. Unter dem gerahmten Foto Kohls steht die alte Schreibmaschine von Ulla Hofmanns Vaters (eine Triumph Adler Universal), als trotze sie, ebenso wie die Hausherrin, der Zeit. Die renommierte Wirtschaftsjournalistin hat bis zu ihrem 70. Geburtstag für die FAZ geschrieben und auch danach weiter als Autorin und außerdem ehrenamtlich gearbeitet.
Nico Hofmanns Karriere begann im Wohnzimmer
Nebenan in der Garage hat Nico Hofmann als Teenager das erste und wohl bis heute auch einzige Kino in der ansonsten ruhigen Nachbarschaft betrieben. „Das ganze Haus ist im Grunde meine begehbare Vergangenheit“, sagt er. „Wir gehen besser nicht in den Keller, aber dort klafft immer noch ein großes Loch in der Wand für meinen damaligen Filmprojektor.“
1971: Nico Hofmann (damals 11) an der Kamera für sein Frühwerk „Kapitän Frisell operiert“
Foto: Repro Frank Zauritz Frank Zauritz
Wir sitzen auch in dem Wohnzimmer, in dem Nico Hofmanns Karriere begonnen hat. Ohne große Stars, ohne große Leinwand und ohne großes Budget: mit der filmischen Aufarbeitung der Scheidung seiner Eltern. „In diesem Wohnzimmer habe ich meinen ersten Film gedreht“, erinnert er sich. „Jetzt sitze ich 46 Jahre später wieder hier und überlege mir, wie ich meinen Weg weitergehen kann. Das ist schon ein komisches Gefühl.“
Nico Hofmann hat in einem Alter, in dem andere aufhören, noch einmal ganz neu angefangen – und nach vielen Jahren an der Spitze der Ufa seine eigene Firma gegründet. „Der Geist meiner Mutter ist sicher auch ein Motor“, sagt er. „Inhaltlich, moralisch und auch durch ihren Antrieb, einfach immer weiterzumachen.“
50. Geburtstag 2009: Nico Hofmann mit „seinen“ Stars Anna Loos, Iris Berben, Hannelore Elsner (1942–2019), Veronica Ferres, Maria Furtwängler und Bettina Zimmermann (v. l.)
Foto: imago images / Tinkeres
Für sie selbst, sagt Ulla Hofmann, sei die Arbeit immer selbstverständlich gewesen. „Ich halte nichts davon, möglichst früh mit der Arbeit aufzuhören. Was machen die Leute denn die nächsten zwanzig oder dreißig Jahre? Ohne Aufgabe? Sich über seine Zukunft erst dann Gedanken zu machen, wenn man in Rente ist, ist viel zu spät. Ich hatte immer etwas zu tun.“
„Ich merke das Älterwerden sehr stark“
Nico Hofmann sagt, er spiegele sein eigenes Leben gelegentlich im Leben seiner Mutter. „Und dann bewundere ich immer deine Lebensenergie. Du bist ja 30 Jahre weiter als ich. Ich betrachte mich oft und frage mich: Wie geht es mit mir weiter? Ich merke das Älterwerden, seitdem ich über 60 bin, sehr stark. Seit meinem 60. Geburtstag spüre ich eine komplexe Veränderung. Ich denke, in meiner Generation ist es viel schwieriger, zu definieren, was man eigentlich noch will.“
Welche Ziele und Wünsche hat Ulla Hofmann mit 94? „Ich habe eigentlich nie darüber nachgedacht, wie es weitergeht. Ich mache einfach weiter. Aber ich denke auch, dass mein Leben nicht mehr so lange dauert.“
In der Garage seines Elternhauses in Mannheim fanden die ersten Filmvorführungen statt
Foto: Frank Zauritz
Warum nicht? Ulla Hofmann wirkt keine Sekunde wie eine Frau ihres Alters, eher 15 Jahre jünger. Und sie wirkt auch wie eine Frau, die in den unterschiedlichsten Variationen in den Filmen ihres Sohnes aufgetaucht ist. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich eigentlich alles schon erlebt habe, was ich erleben wollte. Ich würde natürlich gerne erleben, dass Nico noch einen guten Film macht. Es müssen nicht immer 100 Prozent sein. 95 Prozent reichen doch auch. Aber ich weiß nicht, ob ich für mich selbst unbedingt noch lange leben muss. Das Leben wird schließlich von Jahr zu Jahr mühsamer. Ich weiß beispielsweise, dass ich in Bewegung bleiben muss. Aber manchmal ist es im Vergleich zu vor vier Wochen heute schon mühsamer, einfach nur die Füße zu heben.“
Ulla Hofmann überlebte den Zweiten Weltkrieg
Woher nimmt sie dennoch die Kraft? „Ich glaube, das sind die Gene. Ich denke oft an die Frauen in meiner Familie zurück, was die früheren Generationen durchmachen mussten. Dagegen ist mein Leben eigentlich ein Mumpitz.“
Man merkt, dass sie untertreibt. Ulla Hofmann überlebte den Zweiten Weltkrieg in der Kinderlandverschickung. Bis heute berührt sie die Erinnerung daran sehr stark, vielleicht immer stärker. „Das war eine Mischung aus Landschulheim und Kaserne. Wir standen morgens in Reih und Glied, bekamen die Wehrmachtsberichte vorgelesen, mussten ein Durchhaltelied singen, und erst dann begann der Unterricht. Noch 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, wurden wir an seinem Geburtstag auf Adolf Hitler vereidigt. Gehorsam bis in den Tod, das haben wir alle geschworen, mit 14 Jahren. Das kann sich heute niemand mehr vorstellen.“
Nico Hofmann war von 2015 bis 2023 Geschäftsführer der Ufa, einer der größten deutschen Firmen im Bereich Fernsehfilm- und TV-Produktionen
Foto: People Picture/Willi Schneider
Den Krieg hat sie auch deshalb unversehrt überlebt, weil die Bäuerin auf dem Schwarzwälder Bauernhof, auf den es Ulla Hofmann nach der Auflösung des Lagers verschlagen hatte, sie in einem ausgewaschenen Futtertrog im Stall versteckte. Hat sie, die durch den Krieg so jung und so unmittelbar mit dem Tod konfrontiert war, Angst vor der eigenen Endlichkeit? Ulla Hofmann schüttelt den Kopf.
Ullas Energie trägt Nico Hofmann
Nico Hofmann weiß umso mehr, dass es ein Privileg ist, in seinem Alter noch mit seiner Mutter Weihnachten feiern zu können. Beide wissen, dass jedes Jahr das letzte Mal sein könnte. „An Weihnachten und an meinen Geburtstagen sehe ich meine Kinder“, sagt Ulla Hofmann zu BILD. „Diese Feiertage sind auch heute noch wichtig für mich. Deshalb hat Weihnachten auch in meinem Alter den Zauber noch nicht verloren.“
Nico Hofmanns Vater starb 2021 im Alter von 96 Jahren. „Die Endlichkeit der Eltern ist für mich immer sehr präsent gewesen, und der Gedanke daran hatte immer ganz massive Auswirkungen. Aber wann immer ich bei meiner Mutter bin, wenn wir diskutieren, nehme ich ihre Energie mit. Und genauso trage ich die Energie meines Vaters weiter in mir. Und zwar egal, ob er noch lebt oder nicht. Das gibt mir Hoffnung.“