Wie geht das zusammen, Jürgen Habermas und der Tanz? Eine Frage wie geschnitzt für die KI. Die Antwort fällt erwartbar fantasielos aus: „Es gibt keine prominenten Berichte oder Bilder, die ihn beim Tanzen zeigen, seine öffentliche Persona ist die eines ernsten Denkers, der über Politik und Philosophie reflektiert, was eher zu Diskussionen in Bibliotheken und bei Kaffee als zu Partys passt.“ Dieser umfassende Mangel an Vorstellungskraft erklärt sich wohl damit, dass die Künstliche Intelligenz in den Siebzigerjahren noch nicht auf der Welt war und auch niemals in einer Disco zu Donna Summers „I feel love“ getanzt hat.
Anders Micha Purucker, Jahrgang 1958. Am 9. Januar eröffnet der ewig neugierige Münchner Choreograf – als Uraufführung im Schwere Reiter – seine Habermas Disco. Zumindest drei Tage lang (bis 11. Januar) macht er in einer „choreografischen Jam Session“ den Clash zweier Phänomene möglich, die man so noch nie zusammen gedacht hat. Dabei lagen sie aber damals, in den Siebzigern, keine Lichtjahre weit auseinander, sondern Luftlinie gerade mal 30 Kilometer.
Philosoph mit Schreibmaschine: Jürgen Habermas im August 1981 im Arbeitszimmer seines Hauses in Starnberg. (Foto: Roland Witschel/dpa)
In Starnberg grübelt der streitbare Großdenker Habermas an seiner Theorie des kommunikativen Handelns, während im Keller des Münchner Arabellahauses Giorgio Moroder den Hot Stuff der Stunde produziert. Die Musicland Studios spülen den Sound of Munich mit treibenden Synthesizer-Beats ins Nachtleben von New York bis Sydney.
Micha Purucker, dieser Zeitdiagnostiker des Tanzes, ist fasziniert von der Geschichte des Arabellahauses, das wohl 2030 endgültig aus der Silhouette der Stadt verschwinden wird. Die große Glitter-Sause sieht er als egalitäre, integrative Bewegung im Post-Olympia München. Öffnung und Diskurs, das wollten auch Habermas und seine Philosophen am Voralpensee mit ihren Gesellschaftstheorien.
Emma Portners Uraufführung am Staatsballett
:„Ich fühle mich wie das Poster-Girl of Change“
Immer noch eine Ausnahme in der männlich geprägten Tanzwelt: Am Bayerischen Staatsballett bringt Emma Portner ein eigenes Stück zur Uraufführung. Die junge, queere Choreografin hadert damit, dass ihre Arbeit immer wieder auf das Geschlechter-Thema reduziert wird.
Purucker spielt mit dieser Gleichzeitigkeit, fragt, was von der damaligen Euphorie des Aufbruchs übrig geblieben ist, da heute kreatives Zuhören definitiv out ist und Ideale bröckeln. Verbindet uns vielleicht noch der Sound? Der Rhythmus? Hier abgemischt vom Komponisten Robert Merdžo, der schon mit dem legendären Aktionstheater „La Fura Dels Baus“ zusammengearbeitet hat. Das Publikum ist eingeladen, den sieben Tänzerinnen und Tänzern zu den Orten ihrer Auftritte im Schwere Reiter zu folgen (Infos unter www.schwerereiter.de).
Knapp 17 Minuten dauert der Longtrack von Donna Summers Hauch- und Stöhn-Welthit „Love To Love You Baby“ (1975). Zwischen 13 und 18 Minuten, je nach Interpretation des Dirigenten, steuert Maurice Ravels „Boléro“ im permanenten Crescendo auf seinen Höhepunkt zu. Ausgehend von dieser berühmten Endlosschleifen-Komposition begeben sich Carolin Jüngst und Lisa Rykena mit ihrer neuen Produktion Stripping Boléro auf eine spielerische und sinnliche Suche nach choreografischen Formen des Klimax’.
Wer diesen Performance-Abend am 16., 17. oder 18. Januar im HochX erleben möchte, sollte laut Pass mindestens 16 Jahre alt sein. Die Vorstellungen sind barrierefrei, rollstuhlgerecht und für Menschen mit Seh- oder Höreinschränkungen geeignet, zudem bietet das Theater einen Abholservice und Begleitung (www.theater-hochx.de).
Sinnlicher Tanz: Osiel Gouneo (Mitte) in „Boléro“, der Choreografie von Maurice Béjart, aktuell zu sehen im Triple-Abend „Waves and Circles“ des Bayerischen Staatsballetts. (Foto: Nicholas MacKay)
Ravels „Boléro“ dreht seine verführerischen Kreise auch im neuen Dreiteiler des Bayerischen Staatsballetts Waves and Circles, in der rauschhaften Version von Maurice Béjart aus dem Jahr 1961. Bei der Premiere am 21. Dezember tanzte Osiel Gouneo den ikonischen Part auf dem roten Tisch. Wer den Abend mit Choreografien von Béjart, William Forsythe und Emma Portner erleben möchte, muss nun allerdings bis April warten und am besten schon mal Karten vorbestellen. Die Vorstellungen Ende Januar und Anfang Februar sind ausverkauft.
Mit Premieren starten die anderen bayerischen Staatscompagnien ins neue Jahr. In Nürnberg spürt der neue Ballettdirektor Richard Siegal dem Geist keines Geringeren als Sergej Diaghilew und seiner Ballets Russes hinterher. Dabei geht es dem Amerikaner mit seinem New Ballets Russes nicht eine Neuinterpretation dieses Tanzerbguts aus dem frühen 20. Jahrhundert. Siegal fragt vielmehr nach der Relevanz, unter radikal anderen kulturellen und sozialen Bedingungen. Erste Einblicke in diese Neuproduktion gibt es am 28. Januar bei einer öffentlichen Probe im Nürnberger Opernhaus, Premiere ist dann am 21. Februar.
Am Staatstheater Augsburg steht am 31. Januar auf der Bühne des Martini-Parks die Uraufführung von Mozarts Requiem an. Der US-amerikanische Choreograf Peter Chu arbeitet zum dritten Mal mit dem Ballett Augsburg. Bei seiner spartenübergreifenden Interpretation der Totenmesse werden er und die Tänzer vom Opernchor, Gesangssolistinnen und -solisten sowie den Augsburger Philharmoniker unterstützt.
