Umverteilung durch Steuererhöhungen, Mietendeckel, mehr Sozialstaat: Das Wirtschafts-Programm, das Zohran Mamdani ins Bürgermeister-Amt von New York brachte, ähnelt dem der Linkspartei. Dominierte unter Linken hierzulande lange der Anti-Amerikanismus, werden nun neue Allianzen geschmiedet.

Ein Wolkenkratzer im Herzen Manhattans, wenige Blocks vom Central Park entfernt. Büroangestellte in Patagonia-Jacken hetzen über den Bürgersteig, die Straße herunter hat gerade eine Filiale des von Katar kontrollierten Fußballclubs Paris Saint-Germain eröffnet. Zwischen Versicherungskonzernen und Bankentürmen liegt das Büro von Stefan Liebich. Wenig – oder besser gesagt: gar nichts – deutet darauf hin, dass ausgerechnet in dieser Hochburg des Kapitalismus an Ideen für eine neue transatlantische Partnerschaft von linken Politikern gewerkelt wird.

Liebich, 52, Schnauzbart und langsam grau werdendes Haar, leitet das amerikanische Büro der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Von 2009 bis 2021 saß der in der DDR aufgewachsene Politiker für die Linkspartei im Bundestag. Es waren die bleiernen Wagenknecht-Jahre, die Partei stand durch ihre Selbstzerfleischung kurz vor der politischen Bedeutungslosigkeit. Seit der letzten Bundestagswahl jedoch spürt die Linke neuen Aufwind. Fast neun Prozent holte die Partei, die Vorsitzende Heidi Reichinnek erreicht durch ihre Social-Media-Präsenz bedeutende Teile der jungen Bevölkerung in Deutschland.

Und die Partei will noch mehr. Der Wahlsieg des selbsterklärten Sozialisten Zohran Mamdani in New York sorgt nicht nur unter den Demokraten in den USA für einen regelrechten Hype. Linken-Politiker wie Reichinnek zeigen sich geradezu begeistert vom schnellen Aufstieg des erst 34-Jährigen. „Seine Kampagne zeigt zahlreiche Parallelen zu dem, was auch der Linken im Bundestagswahlkampf zu neuer Stärke verholfen hat“, sagt Reichinnek. Von einer „Blaupause für die Wahlen im nächsten Jahr“ spricht gar Co-Chef Jan van Aken.

Tatsächlich sind die Gemeinsamkeiten bereits jetzt bemerkenswert, insbesondere bei Wirtschaftsthemen: Umverteilung durch breite Steuererhöhungen, Mietpreisbremse, mehr Auflagen für die Wirtschaft, ein Ausbau des Sozialstaats – mitunter lassen sich die Programmpunkte eins zu eins übertragen. Dazu kommt oftmals laute Israel-Kritik, unter den amerikanischen Linken ist der Ton dabei besonders schrill. Dominierte unter Linken hierzulande jahrzehntelang der Anti-Amerikanismus, werden nun neue Allianzen geschmiedet.

Einer der Architekten dieser ungewöhnlichen Partnerschaft ist Stefan Liebich. Von New York und Washington aus vermittelt er zwischen den Democratic Socialists of America (DSA) und deutschen Abgeordneten und Netzwerkern. Erst vor wenigen Wochen begleitete er eine Berliner Delegation nach Harvard zur „German-American Conference“. Heidi Reichinnek sei dort von linksorientierten, amerikanischen Studenten geradezu belagert worden, war in diversen Medienberichten zu lesen.

Auch Liebich gerät ins Schwärmen, als er von den Annäherungsversuchen beider Seiten berichtet. In seinem Büro über den Dächern Manhattans serviert er Automatenkaffee aus einer Tasse des abgesetzten Late-Night-Talkers Stephen Colbert – ein Trump-Kritiker. An seiner Bürotür hängt ein Wahlkampf-Poster von Zohran Mamdani, unter dem Schreibtisch liegt eine zusammengerollte Verdi-Flagge.

Mietendeckel, Gratis-Busse und „Tax the rich“

Ähnlich wie Parteichefin Reichinnek zeigt sich auch Liebich begeistert vom Wahlsieg des ugandisch-indischstämmigen Politikers bei den Bürgermeisterwahlen.„Mamdani hat sich im Gegensatz zu anderen Demokraten in der Vergangenheit in seiner Kampagne nicht vor allem auf Themen konzentriert, die hier als ‚woke‘ diffamiert werden, sondern auf das Thema Lebenshaltungskosten.“ Die eindeutige Verknüpfung personalisierter Kampagnen mit Schlagworten wie Mietendeckel, kostenlose Busse oder „Tax the Rich“ („Besteuert die Reichen“) – daran müsse sich auch Linke in Deutschland orientieren, findet er.

Inwieweit die Partei den Wahlkampf Mamdanis abkupfert, dürfte sich spätestens nächsten Herbst zeigen. Dann tritt die Linken-Abgeordnete Elif Eralp an, um Bürgermeisterin in Berlin zu werden. Und tatsächlich ist das „New-York-Szenario“ in der deutschen Hauptstadt nicht so unwahrscheinlich, wie es auf den ersten Blick scheint: Nach aktuellen Umfragen gibt es in Berlin eine rot-rot-grüne Mehrheit mit einer starken Linkspartei. „Wenn New York rot wird, schafft Berlin das auch“, sagte Parteichefin Ines Schwerdtner unlängst.

„Es sind die klaren Brot- und Butter-Themen, die die Leute interessieren“, sagt Liebich. Hier sieht er auch den Grund für das Scheitern der Präsidentschaftskampagne von Kamala Harris im vergangenen Jahr. „In den USA sind 40 Millionen Menschen arm. Sechzig Prozent kommen gerade so mit ihrem Lohn über die Runden und sind frustriert. Wenn man aber die ökonomische Frage als linkszentristische Kandidatin nicht anspricht, dann gewinnt man die Wähler auch nicht.“

Liebich sagt, dass sich der Fehler vieler Linker in der Vergangenheit nicht wiederholen dürfte: „Viele Vorschläge klingen gut, aber die Konzepte zur Umsetzung fehlten.“ Zohran Mamdani wiederum habe schlüssige Finanzierungskonzepte vorgelegt, findet Liebich.

Heruntergebrochen lassen die sich unter folgendem Stichwort zusammenfassen: Steuererhöhungen für Reiche und Unternehmen. Allein deshalb zeigen sich in den USA und Deutschland gleichermaßen Wirtschaftsvertreter besorgt über den momentanen Aufwind der linken Kandidaten.

Die umstrittenen Pläne in Sachen Mieten sind so ein Thema. Der Mietendeckel in Berlin habe „super funktioniert“, findet Liebich. Geplante Mieterhöhungen seien verhindert worden. Was Liebich allerdings ausspart: Sowohl in New York als auch in Berlin gilt linke Stadtplanungspolitik als Investorenschreck. Steigt das Angebot an Wohnungen bei stetig wachsender Nachfrage nicht, ist Verknappung die Folge – die wiederum in Preissteigerungen resultiert.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch New Yorks neuer Bürgermeister. „Die Frage wird sein: Schafft Mamdani es zu liefern?“, so Liebich. Sollte er seine hochtrabenden Wahlversprechen zu niedrigeren Lebenshaltungskosten – so wie aktuell Donald Trump – nicht umsetzen können, dürfte es das schnelle Ende einer vielversprechenden Karriere bedeuten. „Das ist ja schon vielen Linken weltweit so gegangen, auch in Deutschland“, sagt Liebich. „Dann wird er einer der vielen Sozialisten sein, die mit hohem Anspruch gestartet sind, aber dann Enttäuschungen produziert haben.“

Zwar sorgt der Wahlsieg von Mamdani und anderen „left-wing-candidates“ bei Lokalwahlen in den USA derzeit für Aufwind. Ob sich die linke Linie bei den Demokraten auch auf Bundesebene durchsetzen wird, ist allerdings offen. Innerhalb der Demokraten gibt es zwei stark unterschiedliche Lager. Auf der einen Seite Realos wie Nancy Pelosi, Chuck Schumer und Hakeem Jeffries. Auf der anderen Seite ein erstarkender linker Flügel mit Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez und Zohran Mamdani. Eine Umfrage der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt: Die linken Kandidaten sind unter den demokratischen Wähler um 20 Prozent beliebter.

Experten halten die Strategie des Linksrucks allerdings für ein Wagnis. Denn der Begriff „Sozialist“ verschreckt weite Teile der US-Wählerschaft. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Amerikaner Sozialismus kategorisch ablehnt, vor allem die ältere Generation. „Deshalb scheuen sich so viele führende Demokraten, Mamdani öffentlich zu unterstützen“, sagt Lanae Erickson, Expertin der sozialdemokratischen Denkfabrik Third Way. „Abgeordnete fürchten, dass sie bei zu großer Nähe zu ihm bei den nächsten Wahlen ihren Sitz verlieren könnten.“

Großen Teilen der demokratischen Wählerschaft, die die Partei zurückgewinnen muss, bleiben linke Kandidaten wie Mamdani suspekt, insbesondere außerhalb der liberalen Großstädte. „Er steht auch immer noch in Verbindung mit den Democratic Socialists of America und hat sich nicht von ihnen distanziert“, sagt Politikexpertin Erickson. „Deren Programm ist weitreichend und politisches Gift.“

Stefan Liebich sieht das naturgemäß anders. Er ist überzeugt: „Mit einer Politik der Mitte und der Zurückhaltung werden die Demokraten nicht ins Weiße Haus zurückkehren.“ Die Partei benötige einen Bruch mit der Vergangenheit, müsse sich kritischer mit der Präsidentschaft Joe Bidens auseinandersetzen, findet Liebich.

Zulauf findet die DSA vor allem im Zuge des Nahost-Konflikts. Die Organisation habe sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt, sagt Stiftungschef Liebich: Im 20. Jahrhundert „stark männlich, weiß, gewerkschaftlich organisiert und pro-Israel orientiert“, hätte sich die DSA während der Präsidentschaftskampagnen von Bernie Sanders neu erfunden, sagt er: Hin zu einer jungen und divers aufgestellten Truppe, die zu den lautesten Kritikern der Netanjahu-Regierung in den USA zählt. Beispielsweise unterstützt das Team um Mamdani die Boykott-Kampagne BDS, die viele Experten als klar antisemitisch einstufen.

Zwar sind die DSA eine Splittergruppe, aber ihr Einfluss ist nicht zu unterschätzen. In den vergangenen Jahren ist die Demokratische Partei im Vergleich zu den Jahren unter Barack Obama oder Bill Clinton ein ganzes Stück nach links gerückt sei. Heidi Reichinnek traut Liebich zu, ähnlich große Begeisterung hervorzurufen wie Mamdani.

Wobei die Parteichefin sich von Mamdani etwas abschauen könne: die dauerhaft freundliche, positive Anmutung. Und tatsächlich: Während Mamdani quasi ununterbrochen lächelt – Liebich spricht vom „freundlichen Linken“ – setzt Reichinnek in Talkshows oder Instagram-Videos meist auf Konfrontation, zeigt sich aufgebracht oder gar verbissen.

Reichinnek und Eralp stehen für ein neues Auftreten der Partei: Jünger, migrantische, weiblicher. Auch das ist eine Parallele zu den linken Demokraten in den USA. „Vor einigen Jahren hatte in der Partei noch eine andere Generation das Sagen“, erinnert sich Liebich.

„Die Linke ist eine andere Partei geworden.“ Nicht nur wegen des neuen Führungspersonals. „Es gab auch Linke, die ganz stolz gesagt haben, dass sie antiamerikanisch sind. Das hat sich total geändert.“ Gerade junge Mitglieder hätten überhaupt keinen Bezug zu den Zeiten des Kalten Krieges. Unter ihnen sei Anti-Amerikanismus keine große Rolle mehr.

Wenn man Liebich zuhört, wie er über die Entwicklung nachdenkt, klingt es fast so, als bahne sich da eine neue „Sozialistische Internationale“ an. Nach dem Aufstieg der Rechten in vielen Länder werden sich die etablierten Parteien Strategien überlegen müssen, um auch mit den Folgen dieser wachsenden Popularität fertigzuwerden.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.

Jan Klauth ist US-Korrespondent mit Sitz in New York.