Wegen satirischer Putin-Motive muss sich der deutsche Künstler Jacques Tilly in Moskau vor Gericht verantworten – in Abwesenheit. Die Verhandlung wurde dort wegen einer fehlenden Verteidigerin jetzt verschoben. „Da wird Rechtsstaatlichkeit noch nicht einmal simuliert“, sagt Tilly zu dem Prozess.

Die russische Justiz hat das umstrittene Strafverfahren gegen den deutschen Bildhauer Jacques Tilly wegen seiner Karnevalswagen mit Karikaturen von Kremlchef Wladimir Putin auf Ende Januar verschoben. Das Gericht in Moskau setzte die nächste Verhandlung für den 28. Januar, 15.00 Uhr (13.00 Uhr MEZ) an, wie auf der Internetseite zu lesen war. Richter Konstantin Otschirow begründete die Verlegung mit der Abwesenheit der Pflichtverteidigerin, die auf Dienstreise in Russland unterwegs sei. Der Prozess läuft in Abwesenheit des Angeklagten.

Der Richter setzte den nächsten Termin in der mündlichen Verhandlung zunächst auf den 28. Februar – zur Verwunderung Anwesender, weil das ein arbeitsfreier Samstag ist. Später erschien der 28. Januar in der Termindatenbank.

Zum Prozessauftakt waren gleich mehrere Vertreter der deutschen Botschaft als Beobachter im Gerichtssaal 920 des Bezirksgerichts im Stadtteil Basmanny. Laut Gericht muss sich Tilly wegen Verunglimpfung der russischen Staatsorgane verantworten, dazu gehört neben der russischen Armee auch Präsident Putin. Nach diesem sehr weit gefassten und schwammig formulierten Gesetz drohen dafür eine Geldstrafe oder Freiheitsentzug bis zu 10 Jahren.

Tilly kündigt aktuelle Wagen für Rosenmontag an

Tilly sagte der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf mit Blick auf den zunächst vom Richter genannten Februar-Termin, dass das Urteil nun erst nach Karneval fallen werde, habe einen Vorteil: „Dann können die aktuellen Wagen, die wir jetzt zu dem Thema bauen werden, noch mit in das Urteil einfließen.“ Rosenmontag ist diesmal am 16. Februar.

Tilly ist ein deutscher Bildhauer und Karnevalswagenbauer, der vor allem für seine bissig-satirischen Mottowagen im Düsseldorfer Rosenmontagszug bekannt ist. Seine Motive erscheinen in den Tagen nach Karneval regelmäßig auf Titelseiten der deutschen und internationalen Presse. Bereits mehrfach waren die Mottowagen Putin gewidmet.

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Kläger ist in dem Fall der russische Staat. Zur Verlesung der Anklage kam es aber nicht. Der Richter musste zudem anderthalb Stunden auf die Staatsanwältin warten, die mit Verspätung eintraf. Unklar war damit weiter, weswegen Tilly genau strafrechtlich verfolgt wird. Richter Otschirow verlas lediglich seine persönlichen Daten samt der Feststellung, dass der Angeklagte weder in Russland tätig noch vorbestraft sei.

Die Klage habe es schon in sich, sagte Tilly bei der „Aktuellen Stunde“ des WDR vor anderthalb Wochen. „Auf solche Vergehen, wie sie mir vorgeworfen werden, stehen viele Jahre Zuchthaus oder Straflager, das überlebt so mancher nur wenige Jahre“, so Tilly. Er sagte aber auch: „Ich habe ja noch nicht einmal eine Vorladung oder irgendeine Information aus Russland bekommen, es ist völlig lächerlich. (…) Es ist völlig lächerlich ein Verfahren gegen jemanden zu führen, der noch nicht einmal informiert wird. Da wird Rechtsstaatlichkeit noch nicht einmal simuliert.“

Auf die Frage, ob ihm bei der Sache nicht doch manchmal unwohl zumute sei, man wisse ja, Putin sei ein gnadenloser Mann, sagt er: „Ich freue mich, dass Humor doch so seine Wirkung hat und wohl doch weh tut. Das soll er ja auch.Das ist ja schon auch eine Waffe, eine humane Waffe. (…) Putin hasst freie Menschen und deshalb muss das jetzt wohl sein.“ Er mache weiter und mache seinen Job „so lange es gehe und so gut es gehe“.

Mehrere andere Urteile nach ähnlichen Vorwürfen

Nach solchen Vorwürfen sind in Russland schon viele Kriegsgegner der von Putin befohlenen Invasion der Ukraine verurteilt worden. Die Entscheidungen stehen international als Unrechtsurteile der russischen Willkürjustiz in der Kritik.

Tilly wird laut Anklage vorgeworfen, Fakes über die russische Armee verbreitet zu haben, weil seine Werke eine Beleidigung für Putin als Oberbefehlshaber in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine seien, hatte das russische Portal „Ostoroschno Nowosti“ berichtet. Tilly werde beschuldigt, aus eigennützigen Motiven und aus politischem Hass Falschdarstellungen über die Armee verbreitet zu haben.

Nach der nicht öffentlichen Voranhörung am 24. Dezember sagte Tilly, er sei Drohungen gewohnt. Angst habe er deshalb nicht. „Nur kann ich jetzt nicht mehr in bestimmte Länder reisen, die möglicherweise ein Auslieferungsabkommen mit Russland haben.“ Aber das sei nichts im Vergleich zu dem, was etwa inhaftierte russische Oppositionelle auf sich nehmen müssten.

dpa/coh