Was macht chronischer Schlafmangel mit unserem Gehirn?
Reimann und seine Kollegen haben nun in einer Metastudie untersucht, was bei chronischem oder aber kurzzeitigem, akuten Schlafmangel in unserem Gehirn passiert. Dafür werteten sie mithilfe eines Algorithmus Daten von Hirnscans aus 231 Studien aus, in denen mehrere Patientengruppen mit und ohne chronische Schlafstörungen sowie mit und ohne akuten Schlafentzug untersucht wurden. Insgesamt hatten 3.380 Personen an den Studien teilgenommen. Der Algorithmus suchte in diesem Datensatz nach sich überschneidenden Mustern.
Das Team fand klare neuronale Unterschiede zwischen den Gruppen. Bei Menschen mit chronischen Schlafstörungen traten demnach Veränderungen im vorderen cingulären Cortex, in der rechten Amygdala und im Hippocampus auf. Diese Regionen sind beispielsweise an der Verarbeitung von Argumenten, Emotionen, Erinnerungen, Entscheidungen sowie Geruch und Geschmack beteiligt. „Diese Abweichungen spiegeln häufige Symptome wider, etwa Erschöpfung, Gedächtnisstörungen, Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen“, so Reimann.
…und wie zeigt sich akuter Schlafentzug?
Im Gegensatz dazu war ein kurzfristiger Schlafmangel mit Veränderungen im rechten Thalamus verbunden. Diese Hirnregion ist für Temperaturregulierung, Bewegung und Schmerzempfinden verantwortlich. „Das deckt sich ebenfalls mit den Symptomen eines kurzfristigen Schlafentzugs: Man ist unaufmerksamer, in seinen Handlungsabläufen eingeschränkt und friert oftmals leichter“, so Reimann.
Die beiden verschiedenen Formen des Schlafmangels wirken sich zudem unterschiedlich auf die neuronalen Strukturen aus: Chronische Schlafstörungen lassen den vorderen cingulären Cortex schrumpfen und senken Aktivität und Vernetzung dieses Hirnareals. Auf Amygdala und Hippocampus haben sie hingegen einen umgekehrten Effekt, wie das Team feststellte. Akuter Schlafentzug erhöht hingegen Aktivität, Vernetzung und Volumen im Thalamus.
Klare neuronale Unterschiede
Demnach sind an langfristigen krankhaften Schlafstörungen und kurzfristigem Schlafmangel ganz unterschiedliche Strukturen an unterschiedlichen Orten im Gehirn beteiligt, obwohl sich manche Symptome ähneln. „Wir konnten damit erstmals zeigen, dass es keine überlappenden Gehirnregionen zwischen den beiden Gruppen gibt“, betont Reimann. „Das ist wichtig für zukünftige Studien. Man kann nun genau die strukturellen und funktionellen Regionen und Netzwerke in den Fokus nehmen, welche für die jeweilige Schlafstörung repräsentativ sind.“
„Zudem werden die einzelnen Schlafstörungen bisher getrennt voneinander betrachtet. Nun kann man Fragen zu chronischen Schlafkrankheiten auch in transdiagnostischen Studien angehen, also mehrere Befunde gleichzeitig untersuchen“, ergänzt Seniorautor Masoud Tahmasian vom Forschungszentrum Jülich. Die Folgestudien könnten dann auch klären, ob die Veränderungen im Gehirn die Ursache oder eine Folge der chronischen Schlafstörung sind.
Therapien auf dem Prüfstand
Die neuen Erkenntnisse könnten gezieltere Therapien und vorbeugende Maßnahmen gegen chronische Schlafdefizite ermöglichen. „Jetzt, da wir wissen, welche Hirnregionen beteiligt sind, können wir die Auswirkungen nicht-medikamentöser Therapien, wie der kognitiven Verhaltenstherapie oder der positiven Atemwegsdrucktherapie (CPAP), im Vergleich zu pharmakologischen Behandlungen bei verschiedenen Schlafstörungen genauer untersuchen“, erklärt Reimann. (JAMA Psychiatry, 2025; doi: 10.1001/jamapsychiatry.2025.0488)
Quelle: Forschungszentrum Jülich
29. April 2025
– Claudia Krapp