Es ist kalt. Nicht eisig, aber doch so, dass man den Kragen instinktiv ein Stück höher zieht. In der Halle, in der meterhohe Regale aus Metall stehen, gefüllt mit Boxen, herrscht eine Temperatur von vier Grad. Hier lagert das, was aus den allen Weltmeeren geborgen wurde: Sedimentkerne, konservierte Geschichte des Meeresbodens.
Kieler Forscher lagern Meeresboden
„Für die Forschung nehmen wir seit rund 60 Jahren Proben vom Meeresboden“, sagt Dr. Doris Maicher vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Sie ist die Kuratorin der Sammlung. „Damit das Material möglichst im Originalzustand erhalten bleibt, ist es hier ungefähr so kalt wie auf dem Meeresboden.“
Eine Übersicht der gelagerten Sedimentkerne gibt es im Internet. Die ältesten Proben stammen von 1964 und wurden vor der Küste Ägyptens entnommen. Der tiefste Kern wurde in 8.323 Meter Wassertiefe im Puerto Rico Graben am Südwestrand des Nordatlantiks geborgen. Wo sich diese in der 600 Quadratmeter großen Halle befinden, weiß Maicher auf Anhieb nicht. „Wir haben hier eine chaotische Lagerhaltung. Die Datenbank weiß, wo was ist“, sagt sie.
Circa 35.000 Kernsegmente werden im Lager aufbewahrt.
Foto: Jürgen Sieg
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Anfragen für Proben aus aller Welt
Für die Forschung ist die Sammlung ein Schatz. „Immer wieder gibt es neue Forschungsfragen oder -methoden. Dann greift man unter Umständen auf altes Material zurück“, sagt Maicher. Expeditionen, bei denen die Sedimentkerne geborgen werden, kosten schnell mehrere tausend Euro. „Der Wert der hier lagert, liegt im Millionenbereich“, sagt Maicher. Anfragen für Proben aus dem Lager kommen aus aller Welt, sie werden per Post an Institute und Universitäten verschickt.
In einem weißen Container lagern gekühlte Kleinproben.
Foto: Jürgen Sieg
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Die Sedimentkerne werden mit einem sogenannten Schwerelot entnommen. An Bord werden die Kerne in Meterstücke geschnitten, der Länge nach halbiert und wie ein Buch aufgeklappt. Eine Hälfte dient der Arbeit und darf beprobt werden, die andere bleibt für das Archiv erhalten und nur mit zerstörungsfreien Methoden wie beispielsweise Röntgen untersucht werden.
Kleine Fossilien, große Erkenntnisse
Die Forschungsthemen sind vielfältig: Klimawandel, Vulkanausbrüche, Hangrutschungen. „Für die Paläoklimaforschung untersuchen wir die Mikrofossilien, die in den Sedimentkernen sind. Die sind kleiner als ein Millimeter“, sagt Maicher und holt sogleich kleine, weißen Figuren hervor. „Weil man das nicht so gut sieht, haben wir die in einem 3D-Drucker größer ausgedruckt.“ Die Forscher untersuchen beispielsweise die Anzahl der unterschiedlichen Arten in den Sedimentkernen, den Kalk der Schale oder die Isotope.
3D-Modelle der in den Sedimenten enthaltenen Mikrofossilien.
Foto: Jürgen Sieg
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Am Eingang der Halle arbeitet Isabel Diercks in einem kleinen Labor gerade an einem rötlich gefärbten Sedimentkern. Konzentriert füllt sie Partikel in kleine Glasbehälter, mit dem bloßen Auge sind die Partikel kaum zu sehen. Die Doktorandin erforscht die Hydrothermalsysteme im Roten Meer. In fachlichen Worten erläutert sie ihre Arbeit, doch für Laien bleibt vor allem hängen: hier entsteht ein weiteres Kapitel im großen Buch der Ozeanforschung schreibt.
Konflikte und Kriege blockieren Forschung
Und, das gerade in Zeiten globaler Krisen und Kriege, Lager und Archive wie das am Ostufer in Kiel an Bedeutung gewinnen. „Seit einem Jahr versuche ich neue Proben aus dem Roten Meer zu bekommen, aber kein Forschungsschiff will dorthin“, sagt Diercks. Der Nahost-Konflikt und die Angriffe der jemenitischen Huthi-Miliz machen die Region für die Wissenschaft unzugänglich. Forscher müssen auf das zurückgreifen, was bereits geborgen und in Lagern wie in Kiel archiviert wurde.
Isabel Diercks untersucht ein Sediment aus dem Roten Meer.
Foto: Jürgen Sieg
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