Tausende Ukrainer wurden seit Kriegsbeginn entführt und nach Russland verschleppt. Eine von ihnen ist die Journalistin Viktoriia Roshchyna. Ihr Verschwinden und ihr Tod geben einen bestürzenden Einblick in das System der russischen Foltergefängnisse.

Die ukrainischen Ermittler sind von einer männlichen Person ausgegangen, als sie den Leichensack mit dem Schild „Roshchyna, V.V.“ öffnen. Doch es ist der entstellte Körper einer Frau, der am 14. Februar in Kiew eintrifft. Ohne Kehlkopf, ohne Augäpfel, das Gehirn größtenteils entfernt. Erst ein DNA-Abgleich ergibt: Es handelt sich um die sterblichen Überreste von Viktoriia Roshchyna.

So schreibt es die „Zeit“, die im Verbund mit 12 weiteren Medien – darunter die „Washington Post“, das ZDF, „Le Monde“ und das russische Exilmedium „iStories“ – zur Arbeit und dem Tod der ukrainischen Journalistin recherchierten. Und deren Recherchen zu den russischen Foltergefängnissen unter Leitung der Plattform „Forbidden Stories“ fortgeführt haben.

Hartnäckig und unerschrocken

Als Viktoriia Roshchyna im Juli 2023 über Lettland nach Russland einreist, genießt die zu dem Zeitpunkt 26-Jährige bereits großes Renommee. Sie gilt als hartnäckig und unerschrocken. Als Frau, die nur für ihren Beruf lebt und einzig der nächsten Geschichte verpflichtet zu sein scheint. Getrieben von dem Drang, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen, wie es in der „Zeit“ heißt.

2022 hat sie in New York den Preis für Mut im Journalismus von der International Women‘s Media Foundation verliehen bekommen. Im selben Jahr wird Roshchyna zum ersten Mal in von Russland besetztem Gebiet verhaftet, kommt jedoch nach einer Woche wieder frei. Der Sender, für den sie damals arbeitet, trennt sich nach ihrer Freilassung von der jungen Reporterin. Nicht wegen ihrer Arbeit, sondern weil Risiken, die Roshchyna bereit ist einzugehen, dem Sender zu groß sind.

Nach Russland verschleppt

Kurz nach ihrer Ankunft in den besetzten Gebieten im Juli 2023 reißt der Kontakt dann ab. Familie und Freunde setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um an Informationen über den Verbleib Roshchynas zu gelangen. Ihr Vater schreibt der UN-Kommission für Menschenrechte, befreundete Journalisten recherchieren auf eigene Faust. Wie die „Zeit“ weiter schreibt, lasse sich das Verschwinden der Journalistin nicht gänzlich rekonstruieren.

Anhand ihrer Handydaten lässt sich lediglich feststellen, dass Roshchyna sich in den Städten Enerhodar und Melitopol im Südosten der Ukraine aufgehalten hat. Das Gebiet ist von der russischen Armee besetzt. Die Orte seien berüchtigt, der russische Geheimdienst FSB soll dort Keller unterhalten, in denen ukrainische Zivilisten gefoltert und gefangengehalten werden, berichtet die „Zeit“.

Im Juli 2024 erhält Roshchynas Vater einen Brief des russischen Verteidigungsministeriums. Seine Tochter befinde sich in Gefangenschaft – auf russischem Gebiet. Gleichzeitig erhalten ihre Kolleginnen die Nachricht, dass Roshchyna sich in einem Gefängnis mit dem Namen Taganrog-Untersuchungshaftanstalt Nummer 2 befinde.

Ein Ort, in dem laut ehemaliger Insassen, mit denen die „Zeit“ gesprochen hat, ein Regime der Erniedrigung und Folter an der Tagesordnung steht, wo von der Verpflegung bis zur Hygiene unmenschliche Bedingungen herrschen. Ein Ort, an dem auch Viktoriia Roshchyna zerbrochen ist, wie eine Zeugin schildert. So soll die tapfere Journalistin stark abgenommen haben und irgendwann so geschwächt gewesen sein, dass sie nicht mehr alleine habe aufstehen können.

Dennoch tut sich für Roshchynas Familie zunächst ein Hoffnungsschimmer auf, als sich im August 2024 ein Oberst der ukrainischen Armee bei den Eltern meldet. Es habe Verhandlungen gegeben, ihre Tochter werde sich telefonisch melden. Drei Wochen später kommt der ersehnte Anruf, in dem Roshchyna ihre Rückkehr ankündigt. Sie soll im Rahmen eines Gefangenenaustauschs in ihre Heimat zurückkehren dürfen, heißt es in den Berichten.

Doch Viktoriia Roshchyna ist nicht unter den Freigelassenen, die am 13. und 18. September in die Ukraine überstellt werden. Stattdessen erhält ihr Vater einen weiteren Brief vom russischen Verteidigungsministerium, der den Tod der Tochter vermeldet.

Ihr Vater schenkt dem Brief keinen Glauben; die Leiche seiner Tochter wurde im Februar 2025 übergeben – als Überreste eines angeblich unbekannten Mannes. Die Identifizierung gelang erst durch einen DNA-Test. Auch seien Organe entnommen worden, was darauf hindeute, dass die Todesursache vertuscht werden sollte, heißt es in den Berichten.

Kiew fordert Konsequenzen

Die ukrainischen Behörden haben den Verdacht, dass die Frau erdrosselt wurde. „Der Körper der Toten weist vielfältige Spuren von Folter und Misshandlung auf, darunter Abschürfungen und Blutergüsse in verschiedenen Körperteilen, eine gebrochene Rippe, eine Halsverletzung und mögliche Spuren des Einsatzes von Stromschlägen an ihren Füßen“, zitiert „istories“ den Vertreter der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft, Jurij Bjeloussow. Die genaue Todesursache habe wegen des Zustands der Leiche bislang nicht ermittelt werden können.

Kiew erhebt nach dem Tod der Journalistin schwerste Vorwürfe gegen Moskau. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, griff den Fall auf X auf und schrieb: „So sieht russische Besatzung aus.“ Das Problem der von Russland verschleppten und gefangen gehaltenen Zivilisten erfordere eine „sofortige und entschlossene Reaktion“, erklärte Außenministeriumssprecher Georgiy Tychy.

Tausende ukrainische Zivilisten werden in russischen Gefängnissen oder in besetzten ukrainischen Gebieten festgehalten. Laut NGOs und Medienberichten werden viele der Gefangenen gefoltert.

luz mit dpa/AFP