Russlands Krieg gegen die Ukraine und das politische Chaos des Donald Trump schaffen die große Chance, dass Großbritannien und Kontinentaleuropa wieder enger zusammenrücken. Beide Seiten sollten sie nutzen.

Während Europas dunkelster Stunden stand eine Nation fest gegen den deutschen Faschismus. Großbritannien, angeführt von Premierminister Winston Churchill, leistete Hitlers Wehrmacht aufopfernden Widerstand, die seit September 1939 bereits große Teile des Kontinents besetzt hatte. In der Luftschlacht um England wehrten die Briten im Sommer und Frühherbst 1940 eine mögliche deutsche Invasion der Insel ab. Großbritannien wurde Europas „last man standing“ und im Sommer 1944 die Basis für die Invasion in der Normandie, gemeinsam mit Amerikanern, Kanadiern und vielen anderen Nationen. Der „D-Day“ leitete das Ende der deutschen Schreckensherrschaft auch von Westen her ein.

Am 3. Mai 1945 besetzten britische Truppen kampflos das stark zerstörte Hamburg. Am 23. Mai sammelten sie in der Marineschule in Flensburg-Mürwik die Resterampe der Nazi-Führung um „Großadmiral“ und Hitler-Nachfolger Karl Dönitz und Rüstungsminister Albert Speer ein. Beide hatten nach Kräften dazu beigetragen, den Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs wider besseres Wissen zu verlängern.

Obwohl – oder vielleicht auch weil – Großbritannien einen enormen Blutzoll gezahlt hatte, schufen die Briten in ihrer nordwestdeutschen Besatzungszone nachhaltige Strukturen für den Wiederaufbau und die Demokratisierung Deutschlands, nicht zuletzt in den Medien. Die Gründung von Stern, Spiegel und Zeit basierte ebenso auf britischen Lizenzen wie das Haus Axel Springer. Die Zeitung Die Welt, die Springer 1953 übernahm, gründeten die Briten 1946 selbst. Auch legten sie die Fundamente für den späteren NDR und den WDR.

Was damals Großbritannien war, ist heute die Ukraine. Gegen den völkerrechtlich hochkriminellen Angriffskrieg des russischen Regimes verteidigen die Ukrainer heldenhaft ihre eigene Freiheit – und die Freiheit Europas, das sich immer wieder fragen lassen muss, ob es genug tut, um den Kampf der Ukrainer zu unterstützen. Spaniens Regierung etwa wirft dieser Tage letztlich nicht weniger als die Frage auf, was Russlands Angriffskrieg die Iberer eigentlich angehe, wenn in der EU über Aufrüstung diskutiert wird.

Großbritannien hingegen hat die Ukraine von Anfang an klar unterstützt, mit Waffen, Logistik, Geheimdienstinformationen und militärischer Ausbildung. Mehr als 13.000 ukrainische Zivilisten starben seit Russlands Überfall im Februar 2022 laut UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, mehr als 31.000 wurden verletzt. Von mehr als 45.000 toten und mehr als 390.000 verwundeten Soldatinnen und Soldaten sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Februar.

Trumps politischer Dilettantismus richtet sich auch gegen die EU und selbst gegen den treuesten US-Verbündeten Großbritannien. Die reale politische und ökonomische Gefahr, die dem innewohnt, bietet allerdings auch eine große Chance: Über den tiefen Graben des Brexits hinweg kann in Europa eine neue, starke Allianz entstehen, zwischen der EU und Großbritannien, gemeinsam auch mit anderen Nicht-EU-Staaten wie Norwegen – wirtschaftlich, militärisch und kulturell.

Für einen Nicht-Briten ist schwer zu verstehen, warum die Menschen im Vereinigten Königreich den schmerzhaften Streit um den Austritt aus der Europäischen Union bis zur letzten Konsequenz ausgefochten haben, jenen Brexit, der Großbritannien heutzutage wirtschaftlich so sehr schwächt. Bei der Kommunalwahl in Großbritannien bekommt der Rechtsaußen-Politiker und Brexit-Populist Nigel Farage mit seiner Partei Reform UK derzeit starken Zuspruch.

Klar ist hingegen: Der Freiheitswille und der Mut der Britinnen und Briten haben Europa 1940 und in den folgenden Jahren vor Hitlers Tyrannei gerettet. Heute ist diese Standhaftigkeit – im Angesicht des russischen Imperialismus – für den Kontinent so notwendig und so wichtig wie vor 80 Jahren.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland.