Wer hochbegabt ist, muss auf den Stempel nicht lange warten. Eine kleine Auswahl: „Hochbegabte studieren mit 14 Jahren Physik.“ „Hochbegabte haben es in der Schule immer leicht.“ Überhaupt: „Hochbegabte kommen leichter durchs Leben.“ Oder „Hochbegabte sind immer Höchstleister.“ Falsch, sagt eine, die es wissen muss. Susanne Burzel ist Mutter zweier hochbegabter Kinder und Autorin des Buches „Hochbegabt gescheitert – und neue Türen öffnen sich“.
Auf Einladung des Vereins „Aktion hochbegabtes Kind“ kommt die Autorin am Sonnabend, 10. Mai, zu einer Lesung nach Lilienthal. Die Veranstaltung im Konventshof 4 läuft von 15 bis 18 Uhr, der Eintritt ist frei. Susanne Burzel wird dabei auch Einblicke in die familiären Herausforderungen geben, die ein Leben mit einem hochbegabten Kind mit sich bringt.
„Wir fühlten uns damals komplett allein gelassen“, erinnert sich Susanne Burzel an die Zeit, als bei ihrem Sohn die Probleme in der Schule begannen. Zwei Jahre lang verweigerte der 15-Jährige den Unterricht. Die Eltern wussten seit der Grundschulzeit, dass ihr Sohn überdurchschnittlich begabt war. Hinzu kam eine ADHS-Diagnostik. Aber es trieb sie die Frage um, ob es nicht eine Fehldiagnose sein könnte. Heute weiß Susanne Burzel: „Lehrkräfte sollten genau hinschauen und erst mal die Begabung in den Blick nehmen, statt gleich zu klinischen Tests zu raten.“ Die Autorin fing damals an zu recherchieren. Aus all dem Wissen, das sie dabei zusammentrug, entstand ihr Buch. Sie habe es geschrieben, sagt sie, „damit Eltern eine Grundinformation erhalten und damit Eltern hochbegabter Kinder Mut schöpfen können und sich nicht alleingelassen fühlen“.
Wiederholungen sind ein Graus
Hochbegabung sei zunächst ein Potenzial, mit dem man geboren werde, erklärt die Autorin. Hochbegabung habe viele Gesichter. „Hochbegabte denken anders, oft tiefer und breiter.“ Sie seien sensibel und reizoffen, haben eine schnelle Auffassungsgabe „und hassen Übungen und Wiederholungen“. Diese Kinder würden in die Tiefe einsteigen wollen, „und damit beginnen die Probleme in der Schule“. Den Kindern sei schnell langweilig, sie fühlen sich unterfordert, weiß Susanne Burzel aus eigener Erfahrung. „Manche spielen den Klassenclown, weigern sich, Wiederholungen zu machen oder sind verhaltensauffällig.“ Es könne aber auch sein, dass diese Kinder sich zurückziehen, über Kopf- und Bauchweh klagen oder sich verweigern.
Wir fühlten uns damals komplett allein gelassen.
Susanne Burzel, Mutter eines Hochbegabten
Die „Diskrepanz zwischen Minderleistung und eigentlichem Potenzial“ hätten sie als Eltern selbst erfahren, schildert Susanne Burzel. Sie hätten gemeinsam mit den Lehrern überlegt, was sie machen können. „Sie waren unglaublich hilfsbereit“, erzählt die Mutter und fügt hinzu: „Das offene Miteinander ist wichtig.“ Susanne Burzel und ihr Mann haben schließlich erwirkt, dass ihr Sohn eine Förderschule für Hochbegabte besuchen konnte. Er absolvierte dort das zehnte Schuljahr und erwarb den Realschulabschluss. Ihr Sohn mache inzwischen eine handwerkliche Ausbildung. „Da liegt sein Interesse.“ Er besuche auch gern die Berufsschule, was eindeutig zeige, „wie wichtig es ist, dass diese Kinder im richtigen Umfeld sind, damit sie aufblühen können“.
Hochbegabung werde mit Hochleistung verwechselt, sagt die Autorin. Aber das sei nicht immer der Fall. Es sei vielmehr ein Potenzial, das von den richtigen Rahmenbedingungen abhänge. Eltern müssten sich gelegentlich anhören, dass sie froh sein sollten, ein hochbegabtes Kind zu haben. Gern auch mit dem Zusatz: „Warum beschwert ihr euch eigentlich?“ Susanne Burzel ist es wichtig aufzuzeigen, wie Hochbegabte sich fühlen. Nämlich oft nicht zugehörig. „Weil sie einen anderen Sprachschatz haben oder andere Interessen.“ Als ihr Sohn die Förderschule für Hochbegabte besuchte, habe er einen Schub erfahren, „weil alle auf Augenhöhe waren“. In der Wohngruppe habe er sich zugehörig gefühlt.
Wo Eltern Hilfe bekommen
Sollten Eltern den Verdacht haben, dass ihr Kind hochbegabt ist, rät die Autorin, „sollten sie den Weg in eine Begabungsdiagnostik suchen“. Es gebe Psychologen, die darauf spezialisiert sind. Wenn es Probleme in der Schule gebe, sollten Eltern den Kontakt zu Schulpsychologen suchen. Sinnvoll sei zunächst auch der Kontakt zum Hochbegabtenbeauftragten des Schulamtes. Susanne Burzel empfiehlt außerdem einen offenen Austausch mit den Lehrkräften. Vor jeder anderen Diagnostik ist ihrer Erfahrung nach die Begabungsdiagnostik wichtig, „um Fehldiagnosen zu vermeiden“. Und hilfreich sei es auch, wenn Mütter und Väter Kontakt zu Vereinen aufnehmen, die sich mit dem Thema Hochbegabung befassen. „Damit ein Austausch stattfindet.“