Schlusslicht

Impfskeptischer Kanton: Innerrhoden hat schweizweit die tiefste Quote bei der Impfung gegen Kinderlähmung

Die Impfquote bei Kinderlähmung/Polio liegt in der Schweiz durchschnittlich bei 95 Prozent. Schlusslicht bei den Kantonen ist Appenzell Innerrhoden, dort wird nur ein Mittelwert von 87 Prozent erreicht.

In Afghanistan und Pakistan kommt es immer wieder zu neuen Polio-Erkrankungen. In Peshawar, Pakistan, wird ein Kind im April gegen Polio geimpft. In Afghanistan und Pakistan kommt es immer wieder zu neuen Polio-Erkrankungen. In Peshawar, Pakistan, wird ein Kind im April gegen Polio geimpft.

Bild: EPA

Bereits bei der Covid-Impfung fiel der Kanton Appenzell Innerrhoden durch eine tiefe Impfquote auf. Der kleine Ostschweizer Kanton ist auch bei der Impfung gegen Kinderlähmung/Poliomyelitis wieder das Schlusslicht. In einem Beitrag in der SRF-Radiosendung «Echo der Zeit» spricht Phung Lang, Epidemiologin an der Uni Zürich, über die aktuelle Impfquote. Sie erhebt die kantonalen Daten zum Impfstatus von Kindern und Jugendlichen.

Bei Polio sei die schweizweite Impfrate mit 95 Prozent sehr hoch. Doch es gebe eine Ausnahme: «Innerrhoden ist ein spezieller Fall», sagt die Epidemiologin. Der kleine Kanton, der bekannt sei für seinen Hang zur Alternativmedizin, erreiche bei der Polioimpfung einen Mittelwert von nur 87 Prozent. In manchen Stichproben sei der Wert noch tiefer.

Auch wenn das Risiko für eine Ansteckung sehr klein sei, könne es laut der Epidemiologin trotzdem passieren. Das Problem seien Häufungen von ungeimpften Kindern und Erwachsenen, die nahe zusammenlebten. Würde jemand in so einer Gruppe angesteckt, könnte ein Ausbruch real werden.

Empfehlungen an Eltern werden gemacht

Die tiefe Impfrate ist den Verantwortlichen im Kanton Appenzell Innerrhoden bekannt. «Über die Gründe können wir nur mutmassen», sagt Mathias Cajochen, Departementssekretär des innerrhodischen Gesundheits- und Sozialdepartementes, auf Anfrage. Allenfalls habe es damit zu tun, dass einzelne Eltern Polio nicht mehr als so bedrohlich wahrnehmen würden.

Der Kanton beteilige sich an der alle drei Jahre stattfindenden Durchimpfungsstudie des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich (EBPI), um die Entwicklung der Impfraten überwachen und allfällige Massnahmen einleiten zu können. «Im Vergleich zu 2020 konnten die Impfraten bei ergänzenden Impfungen wie FSME und HPV erhöht werden», sagt der Departementssekretär. Hingegen seien bei den Basisimpfungen die Impfraten im Kanton tendenziell eher gesunken. «Das Gesundheits- und Sozialdepartement beobachtet diesen Trend und prüft die Umsetzung einer Informationskampagne zu den Basisimpfungen für die Bevölkerung.» Wie eine solche aussehen könnte, könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesagt werden.

Im Rahmen der obligatorischen schulärztlichen Untersuchungen in der 1. Klasse der Primarschule und der 2. Klasse der Oberstufe werde bei den Schulkindern der Impfstatus geprüft, und gegenüber den Eltern werden Impfempfehlungen gemacht.

Viel von ihrem Schrecken verloren

Die Impfung gegen Polio wurde im April 1955 – also vor genau siebzig Jahren – in den USA erstmals zugelassen. Ab 1957 wurde auch in der Schweiz geimpft, und 1982 wurde in der Schweiz der letzte Fall nachgewiesen. Seit Anfang der 1990er-Jahre gilt die Schweiz laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) als poliofrei.

Elvis Presley hielt seinen Arm 1956 hin für eine Impfung gegen Poliomyelitis. Elvis Presley hielt seinen Arm 1956 hin für eine Impfung gegen Poliomyelitis.

Bild: NYC Municipal Archives

Ausgerottet ist die Krankheit aber nicht: In New York sei gerade in jüngster Zeit wieder ein Erkrankungsfall nachgewiesen worden. Und in Afghanistan und Pakistan komme es immer wieder zu Ausbrüchen der Krankheit, wie es im Radiobeitrag weiter heisst. Laut BAG ist eine Impfung die einzige Möglichkeit, sich davor zu schützen, da fortwährend das Risiko bestehe, dass das Polio-Virus wieder in poliofreie Zonen eingeschleppt werde. Eine Polio-Virus-Infektion verläuft gemäss Informationen des BAG häufig ohne Symptome. Erkrankungen äussern sich meist mit grippeartigen Beschwerden oder Magen-Darm-Beschwerden. Weniger als 1 Prozent der Infizierten entwickeln das klassische Bild der Kinderlähmung mit schlaffen Lähmungen. Seltener kommt es zu einer Atemlähmung. Die Lähmung kann sich vollständig zurückbilden oder lebenslang weiterbestehen.

Gehen nicht oft zum Doktor

Bereits während der Covid-Pandemie war Innerrhoden zeitweise Schlusslicht bei der Durchimpfung. Damals begründeten Passanten gegenüber SRF: Der Appenzeller sei ein sehr naturverbundener Mensch und gehe nicht oft zum Doktor. Oder: «Ich habe schon das Gefühl, dass wir zäh sind und noch auf Hausmittelchen setzen.»

Diese Haltung war der Innerrhoder Gesundheitsdirektorin Monika Rüegg Bless während der Pandemie bekannt. «Der Innerrhoder und die Innerrhoderin setzen schon viele Jahre oder Jahrhunderte nicht nur auf die Schulmedizin, sondern auch auf die Natur und das Gebetsheilen. Da gibt es eine Tradition. Das Impfen wird der Schulmedizin zugeschrieben, und da ist man eher zurückhaltend», sagte sie damals gegenüber SRF.