Reutlingen/Waiblingen. Die Querdenker-Szene demonstriert deutschlandweit und beschwert sich über das Medienecho. Der Tenor: Man werde zu Unrecht in die „rechte Ecke“ gedrängt. Haben wir schon wieder 2021? Dabei zeigen gerade die „Gemeinsam für Deutschland“-Demos, warum die Szene in dieser Ecke seit Jahren völlig korrekt verortet wird, kommentiert unser Redakteur Alexander Roth. Er hat sich die jüngste Demo in Reutlingen angeschaut.

Querdenker Stuttgart 5

Stuttgart & RegionNeonazis bei Querdenker-Demo: Hitlergruß auf Video? Polizei Stuttgart ermittelt

Eine neue, bundesweite Demo-Welle unter dem Motto „Gemeinsam für Deutschland“ sorgt in den letzten Wochen für Schlagzeilen. Auch wenn diese Welle bereits am Abebben sein könnte, wenn man die Zahlen des vergangenen Wochenendes zum Maßstab nimmt, lohnt es sich doch, genau hinzuschauen.

Die Demos fanden bislang zweimal parallel an mehreren Orten im gesamten Bundesgebiet statt. Am 22. März zum Beispiel in Stuttgart, am 26. April unter anderem in Reutlingen. Die Initiatoren der Demos lassen sich der Querdenker-Szene zurechnen. Doch von Beginn an warben auch Neonazis für diese Demos und zeigten bei Protestmärschen und Kundgebungen Präsenz. Je nach Ort mal stärker oder mal weniger stark.

Alte Bekannte: Die Querdenker-Szene und der Rechtsextremismus-Vorwurf

Jetzt erinnern sich vielleicht einige: Die Querdenker-Szene musste sich von Beginn an vorwerfen lassen, der rechtsextremen Szene nahezustehen. Damit es da keine Missverständnisse gibt: Deckungsgleich sind die beiden Szenen mitnichten. Aber es gibt ideologische und personelle Überschneidungen ohne Ende. Alle aufzuzählen würde diesen Artikel schlicht sprengen.

Michael BallwegZVW Plus Artikel Rems-Murr-KreisRechtsextreme auf dem Vormarsch: Ist die Querdenker-Szene mitverantwortlich?

In Szene-Kanälen auf Telegram werden die rechtsextreme AfD gelobt, Videos gewaltbereiter Neonazi-Gruppen geteilt oder mutmaßliche Reichsbürger-Terroristen zu angeblichen politischen Gefangene stilisiert. Mit den „Vereinten Patrioten“ existierte eine Terrorgruppe, die irgendwo zwischen Querdenker-Szene, Reichsbürger-Ideologie und klassischem Rechtsterrorismus einsortiert werden kann. Und Führungsfiguren der Bewegung zeigen sich bei rechtsextremen Sendern oder teilen sich mit Rechtsextremisten eine Bühne.

Neonazi-Schaulaufen in Stuttgart: Empörte Reaktionen

Zurück zu den „Gemeinsam für Deutschland“-Demos: Als die erst Demo in Stuttgart im März stattfand, wurde die Kundgebung zum Schaulaufen für rechtsextreme Gruppen. Besonders die Jung-Neonazis von „Unitas Germanica„oder dem gewaltbereiten „Störtrupp“ zeigten Flagge. Hier ein „White Power“-Handzeichen, dort ein Hitlergruß, ein Interview mit Zuspruch für den „Führer“ – der Ton war gesetzt, die Reaktionen entsprechend empört. Daran änderten auch die omnipräsenten Friedenstauben-Fahnen nichts.

reutlingen demo Die Demo am 26. April in Reutlingen stand ebenfalls unter dem Motto „Gemeinsam für Deutschland“. © Alexander Roth

In Querdenker-Telegram-Kanälen wurde im Nachgang bemerkt, dass das nicht gerade förderlich gewesen sei. Schließlich wolle man doch für Frieden demonstrieren – oder das, was man in der Szene darunter versteht. Aber Frieden und Neonazis, das bringt offenbar selbst jene nicht so recht zusammen, die sonst prominente Rechtsextremisten gegen vermeintliche Rufmordkampagnen verteidigen. Zur zweiten Demo in Reutlingen wollte man offenkundig andere Bilder. Aber wie?

Michael Ballweg als Berater? Warum das vielleicht keine gute Idee ist

Auftritt Michael Ballweg. Der „Querdenken 711“-Gründer erzählte in einem Interview, die Organisatoren der Reutlinger „Gemeinsam für Deutschland“-Kundgebung hätten sich ratsuchend an ihn gewandt und gefragt, wie „Querdenken“ mit Rechtsextremisten auf Demos umgegangen sei. Nun, ich kann aus Erfahrung sagen: Die Anwesenheit von Rechtsextremisten wurde teilweise toleriert, teilweise sogar flammend verteidigt.

Um sich dennoch vom Rechtsextremismus-Vorwurf reinzuwaschen, wurden rechtsextreme Einstellungen auf Demos per Handzeichen abgefragt. Tenor: Wer ist hier rechtsextrem? Keiner streckt die Hand hoch? Gut, dann sind wohl keine Rechtsextremisten da. Wer was anderes sagt, ist selbst rechtsextrem!

Polizei Wasen

Stuttgart & RegionQuerdenker-Demos gehen in die nächste Runde – Neonazis wollen wieder mitmischen


Der „schwarze Block“ in Stuttgart: Ballweg eiert rum

Eben jener Michael Ballweg sollte nun also die Organisatoren beraten. Interessant ist bereits seine Wortwahl im Video: Er spricht von einem „schwarzen Block“ bei der Demo in Stuttgart. Rechtsextremisten? Neonazis? Diese Worte meidet er. Die Menschen aus diesem „schwarzen Block“ hätten andere „Themen“, als die, um denen es bei den „Gemeinsam für Deutschland“-Demos gehe („Schutz der Bevölkerung“, weniger Hilfen für die Ukraine, „Schluss mit der Spaltung der Gesellschaft“). Dass die menschenfeindliche Ideologie der Jung-Neonazis das Problem sein könnten, darauf kommt man beim Betrachten des Videos nicht. Ballweg eiert rum, statt konkret zu werden – wie so oft zuvor.

Dann suggeriert Ballweg, die Rechtsextremisten seien in Stuttgart nicht erwünscht gewesen. Es wirkt, als wolle er damit im Nachhinein die Realität „querdenken“. Tatsächlich sagte einer der Initiatoren der Stuttgarter Demo nämlich im Interview mit „Regio TV“, es habe sogar ein Kooperationsgespräch gegeben. „Wir schließen niemanden aus in einer Demokratie, wenn die alle hier auch friedlich sind, haben wir gesagt, dürft ihr mitlaufen.“ Kritisiert wurden auf der Bühne dagegen Berichte über die drohende Neonazi-Beteiligung.

Neonazis in Reutlingen: Die 90er sind zurück

Nachdem das Feedback zur Demo in Stuttgart derart negativ ausfiel, wollte man vor der Demo in Reutlingen also Imagepflege betreiben. Mal wieder. Es wurde angekündigt, Neonazis durch die Polizei der Demo verweisen zu lassen und sich klar zu positionieren. Aber Pustekuchen. Es blieb erneut bei Worten. Denn wie sich herausstellt, gehen Neonazis nicht weg, nur weil man sagt, man demonstriere im Rahmen des Grundgesetzes oder lehne Antisemitismus ab. Dafür muss man schon mehr tun. Ihnen sagen, dass sie verschwinden sollen, wäre ein Anfang.

demo reutlingen querdenker Neonazis beraten sich während der Abschlusskundgebung außerhalb des Geländes. © Alexander Roth

Stattdessen tummelten sich auf dem Festplatz Bösmannsäcker am Samstag (26.04.) kleinere Gruppen glatzköpfiger Gestalten, teilweise blutjung, in Szene-Klamotten wie aus einer 90er-Jahre-Neonazi-Doku. Logos rechtsextremer Gruppierungen trugen sie diesmal nicht, aber es war dennoch nicht schwer, die Jugendlichen und Männer als das zu erkennen, was sie waren. Stand man neben ihnen, murmelten sie von „Zecken“ und „Truppen“ oder zeigten hämisch grinsend das „White Power“-Handzeichen.

Querdenker-Demo als Wohlfühlort: Rechtsextremisten bleiben unbehelligt

Es schien vor Ort niemanden zu stören. Im Protestzug wurde einmal für wenige Sekunden ein zaghaftes „Nazis raus“ laut. Angesprochen fühlte sich aber offenbar niemand. Ein rechtsextremer Aktivist aus dem Rems-Murr-Kreis belästigte anwesende Journalisten, ein Querdenker aus Stuttgart winkt mit ausgestrecktem rechten Arm in die Menge. Und am Ende durfte mit dem Reutlinger Stadtrat Hansjörg Schrade auch noch ein Politiker der rechtsextremen AfD ans Mikro der angeblich nicht rechten, nicht politischen Demonstration. Applaus ist die einzige Konsequenz.

Ähnliche Bilder boten sich Medienberichten zufolge deutschlandweit. Andernorts war die rechtsextreme Szene sogar noch deutlich präsenter, lief prominent vorne im Demo-Zug mit oder bildete dessen Kern. Alles unter dem „Gemeinsam für Deutschland“-Banner.

Gejammer ändert nichts: Demos in der „rechten Ecke“ korrekt verortet

Die Querdenker-Szene und ihr neustes Demo-Unterfangen stehen in der „rechten Ecke“, weil sie sich selbst dort hingestellt und seitdem nicht merklich bewegt haben. Trotzdem ist das Gejammer wieder mal groß. Diejenigen anzufeinden, die diese Tatsache korrekt benennen, ändert aber nichts daran: Die Szene ist in der „rechten Ecke“ korrekt verortet.