Andrea Franke ist die beste Schulleiterin Deutschlands – diesen Montag wird ihr der Deutsche Lehrkräftepreis verliehen, erster Platz in der Kategorie „Vorbildliche Schulleitung“. Eine Anerkennung für die fast zehn Jahre Schwerstarbeit, die Franke und das von ihr geleitete Team geleistet haben, um die Willy-Brandt-Schule in Gesundbrunnen zu verwandeln. Von einer unbeliebten „Resteschule“ im sozialen Brennpunkt, die nur ein knappes Viertel ihrer verfügbaren Plätze an Erstanmelder vergeben konnte und kurz vor der Schließung stand, zu einem Leuchtturm im Kiez, für deren 130 Plätze in der siebten Klasse es in diesem Jahr erstmals 130 Erstwunschanmeldungen gab. Und das, obwohl die Integrierte Sekundarschule keine gymnasiale Oberstufe hat.

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Alles ihr Verdienst? Das würde Andrea Franke, aufgewachsen in Spandau, wohl von sich weisen. „Am letzten Anmeldetag mussten die letzten zehn Eltern mal ganz kurz warten und ich habe vom Hausmeister bis zur Sekretärin alle im Schulhof zusammengerufen“, erinnert Franke sich – kein Problem dadurch, dass die Schule voll digitalisiert ist, eine Nachricht im entsprechenden Channel reicht. „Ich habe mich bedankt dafür, dass sie mir jeden Tag so vertrauensvoll entgegentreten und ihnen gesagt, dass wir schon 121 Anmeldungen haben und dass wir die letzten Plätze jetzt auch noch vergeben.“ Alle seien aufgestanden, hätten geklatscht und gejubelt.

„Erfolge sichtbar machen“, das ist eins von Frankes wichtigsten Grundprinzipien. Das gilt natürlich besonders, wenn ihren Schülerinnen und Schülern etwas gelingt, egal wie klein oder groß. Doch auch für die Atmosphäre in ihrem Kollegium ist es wichtig, jeden Fortschritt zu feiern, sagt Franke – und auch Rückschläge zu akzeptieren und mit ihnen umzugehen. Die „positive Fehlerkultur“ unter Frankes Leitung wird auch von den Verleihern des Lehrkräftepreises hervorgehoben.

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Andrea Franke von der Willy-Brandt-Schule in Mitte gewinnt den 1. Platz in der Kategorie „Vorbildliche Schulleitung“.

Der 3. Platz geht nach Marzahn-Hellersdorf, an Nicole Verdenhalven, Leiterin der Rahel-Hirsch-Schule, Oberstufenzentrum Gesundheit/Medizin.

Als „Ausgezeichnete Lehrkraft“ wird Jotam Felmy geehrt. Er unterrichtet an der Gustav-Heinemann-Oberschule in Marienfelde (Tempelhof-Schöneberg).

Träger des Deutschen Lehrkräftepreises sind die Heraeus Bildungsstiftung und der Deutsche Philologenverband. Schirmherr ist das Bundesbildungsministerium.

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Vor allem aber ist erfolgreiche Schule für Franke eine Gemeinschaftsanstrengung – das spiegelt auch der Begriff „Teamschule“ wider, mit dem die Willy-Brandt-Schule sich auf ihrer Webseite und in den Sozialen Medien selbst bezeichnet. Der Lehrkräftepreis lobt die Schulleiterin dafür, dass sie es schafft, qualifizierte Lehrkräfte an ihre Schule zu holen und diese auch zu binden – an einer Schule, in der 80 Prozent der Schülerschaft aus nichtdeutschen Herkunftsfamilien und 80 Prozent aus armen Verhältnissen kommen. „Im sozialen Brennpunkt Gesundbrunnen-Badstraße werden regelmäßig die höchsten Werte der Sozialindizes Arbeitslosigkeit, Transferbezug und Kinderarmut gemessen“, sagt eine Lehrkraft.

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Eine Schulleiterin, die sich immer Zeit nimmt

Was sie hier überzeugt: Moderne Arbeitsräume, der Fokus auf kleine Lerngruppen und Teilungsunterricht. Dass die Extrastunden, die die Schule für ihre Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zugemessen bekommt, auch wirklich in deren Förderung fließen und nicht, wie anderswo, in das Stopfen von Lücken im Vertretungsplan. Und: „Frau Franke glaubt an gute Ideen, unterstützt spontan und tatkräftig, begeistert bei der Umsetzung und setzt die Visionen von Kolleginnen und Kollegen um“, zitiert der Lehrkräftepreis eins ihrer Teammitglieder.

Ich habe drei Söhne, das sind meine Kinder zu Hause, und 675 Schülerinnen und Schüler – das sind meine Kinder in der Schule.

Andrea Franke, Leiterin der Willy-Brandt-Schule in Gesundbrunnen

Uli Scholz ist einer der Lehrer an der Schule. Seit 2019 unterrichtet er an der Willy-Brandt-Schule Deutsch, Ethik, Politik und Erdkunde. Er hat Franke gemeinsam mit einigen anderen Lehrkräften an der Schule für den Preis vorgeschlagen. Scholz schätzt an ihr die Zugewandtheit und Wertschätzung, die sie ihren Kolleginnen und Kollegen entgegenbringt. „Sie nimmt sich immer Zeit, wenn es irgendwie möglich ist.“ Franke habe Humor und sei fähig, Kritik anzunehmen. Besonders bewundern Scholz und seine Kollegen aber ihre Fähigkeit, langfristig zu planen, Schulentwicklung strategisch anzugehen: „Sie setzt die richtigen Prioritäten, je nachdem, in welcher Entwicklungsphase die Schule gerade ist.“

„Sie arbeitet lösungsorientiert und versucht unermüdlich, die gesamte Schulgemeinschaft vor allem bei den Entscheidungen mitzunehmen“, ist eins der Zitate aus ihrem Team, das die Verleiher des Lehrkräftepreises überzeugt hat. Egal, ob es gerade darum geht, wie 2022 in wenigen Wochen eine Filialschule mit acht Klassen für Kinder aus der Ukraine zu eröffnen oder in den Ferien die Mensa so umzumöblieren, dass statt 60 nun 110 Schülerinnen und Schüler dort essen können: Franke bespricht sich kurz und packt dann an. „Selbstwirksamkeit“ sei das Leitwort, sagt Scholz; die Überzeugung, dass man die meisten Probleme mit kreativem Denken und etwas Entschlossenheit lösen kann.

Auch die Willy-Brandt-Schule ist von den Kürzungen betroffen

So eine Haltung strahlt aus und zieht andere an, die ähnlich denken. Ein 40-Stunden-Job ist das nicht: Sie und ihr gesamtes Schulleitungsteam – Stellvertreter Sebastian Putzier und die pädagogische Koordinatorin Martina Pielen – seien im Grunde „24/7“ im Einsatz und telefonierten auch am Wochenende, erzählt Franke. „Ich habe drei Söhne, das sind meine Kinder zu Hause, und 675 Schülerinnen und Schüler, das sind meine Kinder in der Schule“, sagt Franke. Ihre Kinder zu erziehen und ihnen jede mögliche Chance zu geben, das sieht sie in der Schule genauso als ihre Aufgabe wie zu Hause.

Das bedeutet für Franke zum Beispiel auch, dass die Schule eine Mensa hat, in der täglich frisch gekocht wird – sehr ungewöhnlich für eine weiterführende Schule. „Viele der Kinder und Jugendlichen hier würden sonst gar keine warme Mahlzeit bekommen“, erklärt Franke. Auch hier heißt es nun aber wieder: kreativ werden. Die Kürzungen im Berliner Bonusprogramm, aus dem Franke die Mensa bisher finanziert hat, bedeuten, dass sie in diesem Jahr nur etwa 70.000 Euro zur Verfügung hat statt wie bisher 100.000. Die zwei Köchinnen stellt zum Glück der wohltätige Berliner Verein „Schenk mir doch ein Lächeln“.

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Die konkret messbaren Erfolge der Methode Franke: Lag im Schuljahr 2018/2019 die Quote der Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verließen, noch bei 12,1 Prozent, sind es heute nur noch 3,2. Auch die Zahl der Schulschwänzer hat sich halbiert. Letzteres haben sie an der Schule geschafft durch konsequente Schulversäumnisanzeigen, Zusammenarbeit mit Schul- und Jugendamt und enge, wertschätzende Kommunikation mit den Eltern, erzählt Franke.

Dass die Zahl der Schulabbrecher fast auf ein Viertel gesunken ist, dürfte mit der Mühe zu tun haben, die sie an der Willy-Brandt-Schule in die Berufsorientierung stecken: Es gibt Kooperationen mit schier unzähligen externen Partnern wie der IHK, den Joblingen und TeachFirst, und eine eigene Karrieremesse. Franke schwärmt „von meiner großartigen Frau Neumann, die alle berufsbildenden Maßnahmen im Blick hat“, von dem Fachbereich, der sie unterstütze. Von ihrem ganzen Schulteam, genau genommen, allen Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen, Sonderpädagog:innen und Verwaltungskräften der Willy-Brandt-Schule: „Wir haben so viele fleißige Menschen bei uns, die alle dasselbe Ziel haben: die Bildungserfolge unserer Schüler. Ich glaube, das ist der Schlüssel zum Erfolg.“