Der „Junge mit Hut“ ist ein rätselhafter Kerl. Sein Schöpfer: unbekannt, sein Geburtsdatum sehr vage, irgendwann im 17. Jahrhundert. Marie Aresin, die Kustodin des Kupferstichkabinetts umschreibt die unklare Vaterschaft so: „Denkbar wäre neben der französischen und italienischen Schule auch, dass es sich um das Werk eines Niederländers handelt, der im 17. Jahrhundert in Rom tätig war.“

Überblick über französische Zeichenkunst

In der Ausstellung „Corot bis Watteau? Französischen Zeichnungen auf der Spur“ im alten und neuen Studiensaal der Bremer Kunsthalle ist der „Junge mit Hut“ kein Einzelfall. Es gibt einige Arbeiten, bei denen unklar ist, wer sie machte. Was klar ist, die 38 Zeichnungen und zwei Skizzenbücher in der Schau geben einen Überblick über die Zeichenkunst in Frankreich zwischen dem frühen 16. und dem späten 19. Jahrhundert. Doch eigentlich stehen hier nicht die Künstler im Mittelpunkt, sondern die Biografien der Werke.

Viele Arbeiten wechseln im Lauf der Jahrhunderte ihre Besitzer. Das ist normal, doch nicht, wenn es sich um unnormale Zeiten handelt wie die Jahre zwischen 1933 und 1945. Deswegen richten nicht nur die Bremer ein Hauptaugenmerk auf diese Zeitspanne. Die Kuratorinnen der Schau – neben Aresin ist das die wissenschaftliche Mitarbeiterin Brigitte Reuter – teilen ihre mühsam erworbenen Erkenntnisse mit den Besuchern. Die lernen als Erstes, was Provenienzforscher eigentlich machen. Deren Sisyphus-Arbeit besteht darin, den Lebenslauf eines Werkes zu rekonstruieren, die Besitzkette nachzuverfolgen. Sie ermitteln vor allem dann, wenn die Herkunft eines Werkes fragwürdig ist, etwa wenn der Verdacht besteht, dass es sich um NS-Raubkunst handeln könnte.

Wie bei dem „Jungen mit Hut“. Denn der kam 1938 unter höchst verdächtigen Umständen ins Museum. In der Hauptrolle: eine zwielichtige Figur, die der damalige Direktor Emil Waldmann verharmlosend als „schwarzes Schaf“ bezeichnete. Lange kannten die Kunstdetektive nur den Namen des Verdächtigen: August Karl Jatho. Mehr war dem Zugangsbuch, in dem die Neuerwerbungen des Museums aufgelistet werden, nicht zu entnehmen.

Die Personalakte des Direktors gibt Aufschluss

Doch in der Personalakte des damaligen Direktors entdeckte Brigitte Reuter weitere Unterlagen, die sich mit eben jenem Jatho beschäftigen. Der war Hausmeister und Oberaufsehers des Museums und nicht gerade für seine Ehrlichkeit bekannt. Wo und von wem Jatho den „Jungen“ erwarb, konnte Reuter noch nicht herausfinden. Auch nicht, warum er es der Kunsthalle schenkte.

Deswegen prangt unter dem Werk nun ein roter Punkt, der NS-Raubkunst markiert. Die Kunst-Detektive veranschaulichen ihre Ermittlungsergebnisse in einer erweiterten Ampel. Grün steht für unbedenklich, Gelb bedeutet nicht eindeutig geklärt und Grau ungeklärt, noch nicht lückenlos erforscht.

Weitere rote Punkte weisen unter anderem ein weiblicher Akt und der „Flötenspieler“ auf, beide von Unbekannten gezeichnet. Der Musiker gehörte einst dem jüdischen Kunsthändler Siegfried Lämmle, der seinen Besitz unter Verfolgungsdruck verschleudern musste. „Deswegen empfehlen wir die Rückgabe an die Erbengemeinschaft“, so Reuter. „Wir sind da in Verhandlungen mit den Erben, die alle in Amerika leben“, ergänzt Christoph Grunenberg, der Direktor der Kunsthalle.

Die Einstufung des „Bärtigen“ von Michel Corneill hingegen ist noch offen, das Pendel kann sowohl zur unbedenklichen Seite als auch zur bedenklichen ausschlagen. Das gilt für einige Blätter, viele andere sind noch gar nicht erforscht. Kein Wunder, bei dem Konvolut, das im Kupferstichkabinett lagert, insgesamt sind es 200.000 Werke, davon allein 1700 französische Zeichnungen.

Greis ist zurück in der Kunsthalle

Über einen grünen Punkt darf sich der Greis freuen, den Nicolas Lagneau 1686 aufs Papier brachte. Denn er ist bereits seit 1902 im Museum, allerdings ging er im Zweiten Weltkrieg verloren, als die Bestände des Hauses ausgelagert wurden. Doch der alte Griesgram tauchte bei einer Auktion von Sotheby’s wieder auf, so dass das Museum ihn 1988 zurückkaufen konnte. Seine bessere Hälfte bleibt bis heute verschollen.

Eine erfreulichere Geschichte erzählen die „Marmelade naschenden Kinder“. Die Expertinnen fanden heraus, wer sie erschuf: Marie Ernestine Serret. Ihr Werk besticht durch seine Qualität wie auch die Arbeiten von Camille Corot, Eugène Delacroix, Jean-Baptiste Greuze und vielen mehr. Denn die Ausstellung verspricht nicht nur Erkenntnisgewinn, sondern auch Augenschmaus. Nur den im Titel angegebenen Watteau sucht man vergeblich. Denn sowohl die Hand, die einen Krebs hält, als auch der „Flötenspieler“ und die „Brustbilder zweier Soldaten“ sind nicht von ihm. Wer den Musiker und die Hand gezeichnet hat, weiß man gar nicht, die Soldaten hat Charles Parrocel mit Kreide festgehalten.