Um den Habitus von Friedrich Merz, um Politikwechsel, der keiner ist, um ein bisschen Brandmauer und viel Bundeswehr.

Am Anfang der Sendung will Moderator Markus Lanz von der Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge wissen, wie die Zusammenarbeit zwischen den Grünen und dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz konkret ablaufe. Speziell: „Wie es zu diesen 100 Milliarden fürs Klima kam“. Statt dies als Steilvorlage für Selbstbeweihräucherung zu nutzen, beantwortet Dröge die Ausgangsfrage. Als Fraktionsvorsitzende habe sie regelmäßig mit Merz gesprochen, auch in der Zeit, als sie Teil der Regierung und Merz in der Opposition gewesen sei. Dabei sei es auch vertraulich und „an vielen Stellen auch zuverlässig“ zugegangen.

„Aber immer, wenn wir ihn eingeladen haben, mit uns Entscheidungen zu treffen, hat er sich eigentlich für den Weg entschieden, zu sagen: Nee, da mache ich nicht mit“, sagt die Grünen-Fraktionschefin über Merz. „Selbst dann nicht, wenn sich jetzt im Nachhinein herausstellt, dass er das in der Sache richtig fand.“ Diese Vorgehensweise habe sie Merz vorgeworfen. Dennoch sei es erst zu ernsthaften Verhandlungen gekommen, als Merz Bundeskanzler werden wollte. „Das ist eine schwierige Haltung, finde ich, die nicht die Interessen des Landes an erste Stelle stellt“, sagt Dröge. Auch Merz‘ Kehrtwende bei der Schuldenbremse kritisiert die Kölner Grünen-Politikerin scharf. Sie wirft Merz vor, „ganz bewusst“ nicht die Wahrheit gesagt zu haben.

Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD weist Dröge darauf hin, dass allein das Thema Klimaschutz nichts Gutes ahnen lässt. Was bisher geplant sei, sei „der erklärte Bruch des Klimaziels 2030“. Dahingehend müssten die beiden Parteien mit harter Kritik der Grünen rechnen.

Zu erfahren gibt es zudem: Dröges wellenschlagende Rede gegen Merz am 13. März, etwa zwei Wochen nach der Wahl, hat sie frei gehalten. „Nichts davon stand im Skript“, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende. Aber sie habe Merz in der Debatte zugehört. „Ich halte öfter Reden frei, wenn mir jemand eine gute Vorlage bietet.“ Sie habe ausgesprochen, was sie dem CDU-Vorsitzenden immer schon einmal sagen wollte. Dann legt Dröge in aller Ruhe die inzwischen als „Verschiebebahnhof“ bekannte Taktik von Union und SPD dar.

„Aber Merz wird einen großen Preis zahlen“, schaltet sich der Demokratieforscher Wolfgang Merkel ein. „Er startet als vermutlicher Bundeskanzler mit einem Riesenglaubwürdigkeitsproblem.“ Die Journalistin Julia Löhr weist darauf hin, dass sich dies auch schon in Umfragen niederschlage. „Die AfD ist nur noch einen Prozentpunkt entfernt.“ Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann seien im Wahlkampf „breitbeinig“ aufgetreten und hätten einen großen Politik- und Wirtschaftswechsel versprochen. „Jetzt ist da nicht mehr arg viel Wende übriggeblieben“, sagt Löhr. Sie weist darauf hin, dass die Hindernisse nicht nur von der SPD ausgingen, sondern auch von der CSU.

Der Politikwissenschaftler Merkel stellt die Wurzel von Merz‘ Problem in eine Ecke namens Habitus. „Er inszeniert sich gern als jemand, der Ansagen macht und der entscheiden kann.“ Als Beispiel nennt Merkel die Aussage von Merz, er würde zum Amtsantritt das Innenministerium anweisen, die Grenzen zu schützen. Diese Art zu reden sei unmodern, „50er Jahre“. Löhr sieht dabei auch den US-Präsidenten Donald Trump als Vorbild oder Ermutigung.

Lanz schneidet die Frage an, ob Rechtsextreme in der derzeitigen Weltlage leichtes Spiel haben. „In Krisenzeiten sind die Menschen stärker auf das Ergebnis der Politik gerichtet“, sagt der emeritierte Professor Merkel. „Und nicht so sehr, ob das alles mustergültig rechtsstaatlich prozedural vonstatten geht.“ Deshalb sei es für die Demokratie riskant, wenn Regierungen Versprechungen machten und dann nicht „liefern“.

Merkel ist der Ansicht, die Diskussion über eine „Brandmauer“ habe der AfD neue Wähler eingebracht. Doch Dröge widerspricht: Die Entwicklung hin zu rechtsradikalen und rechtspopulistischen Parteien sei in vielen Teilen der Welt zu beobachten. Also in Ländern, in denen es diese Diskussion nicht gibt.

Deshalb will die Grünen-Fraktionsvorsitzende über eine andere Ursache sprechen: „einen massiven Machtkampf zwischen Demokratien und Autokratien“. Russland setze alles daran, Demokratien dadurch zu destabilisieren, dass es Demokratien von innen heraus mit den Mitteln der Demokratie bekämpfe. Als Beispiele nennt Dröge das Lancieren von Falschinformationen, die Unterstützung rechtsextremer Parteien und die gezielte Manipulation der Öffentlichkeit von Seiten Russlands, etwa mit sogenannten Trollfabriken.

Mit Blick auf Merz merkt Lanz an, es sei ja keine neue Idee, die problematischen Handlungen gleich zu Beginn einer Amtszeit vorzunehmen, damit sie vier Jahre später bei der Wahl vergessen sind, hakt Merkel ein. „Nun sind wir nicht in der Renaissance und im 16. Jahrhundert“, sagt der Demokratieforscher und erklärt, aus dieser Zeit stamme Machiavellis Gedanke. Es brauche nicht nur Vertrauen in Politiker, sondern auch ein „gesundes Misstrauen“, sonst funktioniere Demokratie nicht.

Merkel erklärt noch weitere Bereiche der Politik. „Der Politikwechsel setzt voraus, dass Sie Koalitionäre haben, die so viele Schnittmengen haben, dass sie sich verständigen können und einigermaßen kohärent regieren können, und dann sollen sie auch noch innovativ regieren.“ Das sieht er bei einer Koalition aus einer „Gerade-Noch-Volkspartei“, der Union, und einer „Gerade-nicht-mehr-Volkspartei“, der SPD, skeptisch. Beide Parteien hätten lange programmatische Traditionen. „Warum sollten die eine völlig andere Politik machen können?“, fragt Merkel.

Die Journalistin Löhr sägt daraufhin am Elfenbeinturm. „Würden Wähler das überhaupt goutieren?“, fragt sie. „Oder sagen nur wir Beobachter und die Ökonomen dazu, dass dringend ein Politikwechsel nötig wäre?“ Bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik sei sie nicht sicher, ob ein Wandel in der Bevölkerung gewünscht sei. Bei der Migration könne sie es sich vorstellen.

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner, fasst seinen Maßstab für einen Politikwechsel in drei Worten zusammen: „Folgen Worten Taten?“ Bezogen auf die Bundeswehr empfindet Wüstner die Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 als „den eigentlichen Beginn der Zeitenwende“. Seither sei viel erläutert worden, viel kommuniziert – „egal von welcher Regierung“. Die „Zeitenwende“-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz habe große Erwartungen geschürt, dass sich materiell, strukturell, personell und infrastrukturell viel bewegen würde. Trotz der anfänglichen Dynamik sei aber nicht genug passiert, und auch nicht schnell genug, kritisiert der Oberst der Bundeswehr. „Haben wir in Europa und in Deutschland jetzt verstanden, dass wir massiv beschleunigen müssen?, fragt Wüstner. „Ein Schuldenfreibrief schreckt Putin nicht ab“, sagt die Journalistin Löhr. Entscheidend sei auch, ob Menschen bereitstünden, um neu angeschaffte Waffen zu bedienen.

Wüstner bezeichnet „Personalgewinnung“ gar als größte Herausforderung der Bundeswehr. Dann beschreibt er die Schwierigkeiten dabei, Militärbudgets vernünftig auszugeben. So bräuchte die Bundeswehr beispielsweise tausend Tanklastwagen, die Panzer und andere Fahrzeuge mit Sprit versorgen. Die Bundeswehr habe aber nur 70, und ungefähr 60 davon würden voraussichtlich zur neuen Brigade nach Litauen gehen.

„Damit will ich nur verdeutlichen, dass an diesem Spruch ‚In Phase X gehen wir, wie wir sind‘ viel dran ist. Weil fahren können wir ja nicht“, witzelt Wüstner zu Lanz‘ Begeisterung. Briten und Franzosen sind nach Wüstners Auffassung auch nicht wesentlich besser aufgestellt. Dennoch sei dieses Problem lösbar. Danach wiederholt der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes seinen Ruf nach Soldaten. „Wir schrumpfen, wir überaltern, wir haben ein enormes Problem“, sagt Wüstner. Gemeint ist die Bundeswehr, nicht die Gesamtbevölkerung.