Das Sjögren-Syndrom ist eine Autoimmunerkrankung, die primär die Speichel- und Tränendrüsen betrifft, aber auch systemische Manifestationen hervorrufen kann. Typisch für das Sjögren-Syndrom sind Autoantikörper gegen Ro60/SSA, Ro52/TRIM21 und La/SSB. Die Ursache des Sjögren-Syndroms ist unbekannt, aber es wird vermutet, dass Viren wie das Epstein-Barr-Virus (EBV) eine Rolle spielen könnten. EBV ist ein weit verbreitetes DNA-Virus, das die infektiöse Mononukleose verursacht und mit verschiedenen Autoimmun- und Krebserkrankungen assoziiert ist.
Akute EBV-Infektion und Sjögren-Merkmale
In einer Fallstudie berichten Forscher der University of Florida von einem jungen Patienten, der während einer akuten EBV-Infektion Anzeichen eines beginnenden Sjögren-Syndroms entwickelte. Der Patient stellte sich mit Fieber, Schüttelfrost und pleuritischen Brustschmerzen vor. Eine umfangreiche Erregerdiagnostik war unauffällig, aber es zeigten sich erhöhte Leberwerte.
Nach einer rheumatologischen Konsultation wegen des unklaren Fiebers wurde festgestellt, dass der Patient Autoantikörper gegen Ro60/SSA, Ro52/TRIM21 und La/SSB aufwies. Zwar berichtete der Patient nach Entlassung über eine subjektive Augentrockenheit, doch Untersuchungen der Tränen- und Speichelproduktion waren noch unauffällig. Eine Biopsie der Lippenspeicheldrüse zeigte eine fokale lymphozytäre Sialadenitis, ein für das Sjögren-Syndrom typisches Merkmal.
Autoantikörper-Entwicklung im zeitlichen Verlauf
Besonders interessant war die Beobachtung der Autoantikörper-Entwicklung im zeitlichen Verlauf. Während die IgM-Antikörper gegen Ro60/SSA und Ro52/TRIM21 abnahmen, stiegen die IgG-Antikörper gegen diese Autoantigene an. Dies deutet auf eine durch die EBV-Infektion ausgelöste oder verstärkte Immunantwort hin, bei der ein Klassenwechsel von IgM zu IgG stattfand.
Mehrere Monate nach der akuten Infektion traten erstmals auch Autoantikörper gegen U1- Ribonukleoproteine (U1RNP) auf, etwa zeitgleich mit dem Auftreten von Antikörpern gegen das Epstein-Barr-Nukleäre-Antigen-1 (EBNA1).
Ektopisches Lymphgewebe und EBV
Die Forschenden untersuchten auch das ektopische Lymphgewebe in der Speicheldrüsenbiopsie. Dieses Gewebe, das bei einem Teil der Sjögren-Patienten gefunden wird, ist mit der Produktion von Autoantikörpern und einem erhöhten Risiko für B-Zell-Lymphome assoziiert. Die Biopsie zeigte eine auffällige periduktale Organisation des ektopischen Lymphgewebes mit T- und B-Zell-Bereichen, was auf eine Keimzentrumsreaktion hindeutet.
Obwohl in der Biopsie keine EBV-infizierten Zellen nachgewiesen werden konnten, spekulierten die Autoren, dass EBV-Antigene in der frühen Phase der Erkrankung oder eine periodische Reaktivierung des Virus in B-Zellen oder duktalen Epithelzellen zur Aufrechterhaltung der Immunreaktion beigetragen haben könnten.
Autoantikörper durch molekulare Mimikry?
Ein weiterer Aspekt der Studie war die Untersuchung der molekularen Mimikry zwischen EBV- und körpereigenen Proteinen. Es ist bekannt, dass EBNA1-Peptide bei Kaninchen die Bildung von Autoantikörpern gegen Ro60/SSA und SmB‘ auslösen können. SmB‘ ist ein Protein, das an dem Spleißen von mRNA beteiligt ist. Die Forschenden fanden jedoch keine Hinweise darauf, dass die Anti-Ro60/SSA- und Anti-Ro52/TRIM21-Autoantikörper des Patienten durch molekulare Mimikry mit EBNA1 entstanden waren, da sie bereits vor dem Auftreten von Anti-EBNA1-Antikörpern nachweisbar waren.
Im Gegensatz dazu könnten die Anti-U1RNP-Autoantikörper, die erst später auftraten, tatsächlich durch molekulare Mimikry entstanden sein. Eine Sequenzanalyse zeigte eine hohe Homologie zwischen Teilen des SmB‘-Peptids und des U1-C-Proteins. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass einige gesunde Kontrollpersonen und Patienten mit systemischem Lupus erythematodes ebenfalls Antikörper gegen das SmB‘-Peptid aufwiesen, ohne Antikörper gegen native Sm/U1RNP-Antigene zu haben. Dies deutet darauf hin, dass es unterschiedliche Arten von Anti-SmB‘-Antikörpern geben könnte, von denen einige möglicherweise nicht mit einer Autoimmunerkrankung assoziiert sind.
EBV als möglicher Auslöser eines Sjögren-Syndroms
Die vorliegende Fallstudie liefert starke Hinweise darauf, dass eine akute EBV-Infektion mit der Entwicklung von Autoantikörpern und pathologischen Merkmalen des Sjögren-Syndroms in Verbindung stehen kann. Die Autoren schlussfolgern, dass EBV sowohl die Bildung von Anti-Ro60/Ro52- als auch von Anti-U1RNP-Autoantikörpern gefördert haben könnte, wenn auch durch unterschiedliche Mechanismen. Während molekulare Mimikry wahrscheinlich eine Rolle bei der Entstehung der Anti-U1RNP-Autoantikörper spielte, bleibt der Mechanismus der Anti-Ro60/Ro52-Bildung unklar.
Die Studie weist einige Limitationen auf. Da es sich um eine Einzelfallstudie handelt, sind die Ergebnisse nicht unbedingt auf alle Patienten mit Sjögren-Syndrom übertragbar. Zudem war der Patient zum Zeitpunkt der Diagnose noch relativ früh im Krankheitsverlauf, sodass weitere Untersuchungen erforderlich sind, um zu beurteilen, ob sich ein voll ausgeprägtes Sjögren-Syndrom entwickelt. Zukünftige Studien mit größeren Patientenzahlen und längeren Nachbeobachtungszeiten sind notwendig, um die Rolle von EBV bei der Pathogenese des Sjögren-Syndroms weiter zu klären.