Der britische Diplomat Kim Darroch war in der ersten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump der Botschafter Ihrer Majestät in Washington. Es ist „der Gipfel der Ironie“, meint Darroch, dass ausgerechnet „der Brexit-Fan Trump Europa und Großbritannien wieder schneller und enger zusammengeschoben hat, als wir jemals zu träumen wagten.“ Tatsächlich haben die Aktionen des Mannes im Weißen Haus erstaunliche Konsequenzen, und unter anderem eben auch dies: Das nach dem Brexit jahrelang international abgetauchte Königreich meldet sich wieder auf der globalen Bühne und als Player im europäischen Konzert zurück. Das liegt vor allem im Streit zwischen Washington und Kiew begründet.

Premierminister Keir Starmer darf mit sich zufrieden sein. Mit seiner geschickten Vermittlung im transatlantischen Beziehungsdrama hat er sich in die erste Reihe der wichtigsten internationalen Akteure im Ukraine-Konflikt gespielt. Selbst seine Kritiker geben zu: Starmers diplomatische Manöver in der Ukraine-Krise haben ihn wieder zu einer Schlüsselfigur in Europa gemacht. Er sei „ein Mann mit einer Mission“, war im konservativen Polit-Magazin „Spectator“ über ihn zu lesen. Er mache Großbritannien nach dem Brexit wieder „zu einer wichtigen und bedeutenden Macht auf der globalen Bühne“. Als „unwahrscheinlichen Held der Stunde“ bezeichnete ihn die Journalistin Katy Balls.

Der im vergangenen Juli mit einem Erdrutschsieg und großer absoluter Mehrheit im Unterhaus ins Amt gekommene Labour-Chef hatte zuerst keine gute Presse. Das ändert sich jetzt. Auch die Umfragewerte bessern sich – auch das liegt an der Ukraine-Krise. Wenn die Zeiten ernst werden, braucht es einen ernsten Mann, denken sich die Briten, und der nüchterne, dem Pathos abholde, oft hölzern wirkende, doch stets fokussierte Starmer ist da genau der Richtige. Starmer hat schnell reagiert, als der Streit zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eskalierte. Er hat sich ans Telefon gehängt, sich mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron abgestimmt und auf einem Ukraine-Sondergipfel in London eine gemeinsame Linie zimmern können. Er will mit den europäischen Partnern zusammenarbeiten, eine „Koalition der Willigen“ aufbauen und in Abstimmung mit Kiew einen Plan für eine Waffenruhe ausarbeiten, den man dann dem US-Präsidenten vorlegen kann. Ein erster Entwurf sei schon präsentiert worden, meldeten übereinstimmend britische Medien.

Als Trump die amerikanischen Ukraine-Hilfen aussetzte und sogar verfügte, keine Geheimdienstinformationen mehr an Kiew weiterzugeben, hat Starmer gegenüber Selenskyj klargestellt, dass er einlenken und dem Deal über ukrainische Rohstoffe zustimmen muss. Jetzt hoffen London und Paris darauf, dass Starmer, Macron und Selenskyj demnächst gemeinsam für eine Vertragsunterzeichnung und Präsentation eines Friedensplans nach Washington reisen werden.

Es bleibt abzuwarten, wie weit das führt. Unbestritten ist, dass sich der Premierminister weiterhin um die Ukraine und eine geschlossene Haltung des Westens bemühen wird. Für seine Rolle als Mittelsmann zwischen einem erratischen US-Präsidenten und einem verunsicherten Europa bringt Starmer eine Reihe von Qualifikationen mit. Zum einen hat er ein gutes persönliches Verhältnis mit Trump – die Chemie zwischen den beiden stimmt, und der Mann im Weißen Haus nimmt den Hörer ab, wenn Starmer anruft. Während des amerikanischen Wahlkampfs hatte Starmer für diesen guten Draht den Boden bereitet. Als im vergangenen Juli auf Trump in Pennsylvania ein Attentat verübt wurde, war Starmer einer der ersten Regierungschefs, der sich bei ihm telefonisch meldete. „Trump sind persönliche Interaktionen wichtiger als politische Differenzen“, kommentierte damals ein britischer Diplomat. „Er wird sich erinnern, dass Starmer ihn anrief, und wie schnell er das machte.“

Großbritanniens Stimme hat auch als sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt Gewicht. Doch vor allem ist das Königreich – neben Frankreich die stärkste Militärmacht Europas mit Atomwaffen und ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat – ein enger Partner der USA bei der Verteidigung. Das berühmte „special relationship“, das besondere Verhältnis zwischen beiden Ländern, beruht vor allem auf der militärischen Kooperation. Das fängt bei der gemeinsamen Beschaffung von Material an und hört beim „Five Eyes“, dem als „fünf Augen“ bezeichneten Geheimdienstverbund von USA, Australien, Kanada, Neuseeland und Großbritannien nicht auf. „Keine zwei anderen Länder“, machte der Premierminister im Unterhaus klar, seien in Sachen Sicherheitspolitik so eng verbunden: „Unsere Verteidigung, unser Schutz, unsere Sicherheitsdienste sind in einer Weise verflochten, wie das nirgendwo sonst für zwei Länder zutrifft.“

Und schließlich genießt der britische Regierungschef anders als viele seiner EU-Amtskollegen eine unangefochtene innenpolitische Situation. Mit seiner großen absoluten Mehrheit im Unterhaus darf Starmer davon ausgehen, bis 2029 durchregieren zu können – länger als Trump. All das macht den britischen Premier zu einem nützlichen Partner für Europa: Starmer kann die Rolle des Mittlers glaubwürdig ausfüllen. Es hat tatsächlich seine Ironie, dass nicht zuletzt der Brexit, weil er Großbritannien eine Sonderstellung verschafft, das Land wieder näher an Europa führt.