Koalitionsverhandlungen, Meuterei, Familienkrach, Team-Meetings, Liebeserklärungen – Seite 1

Dieser Artikel stammt aus ZEIT WISSEN Nr. 03/2025

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Als die Abgeordneten des Deutschen Bundestags endlich ihre neuen Büros in Berlin neben dem Reichstag beziehen konnten, durften die Architekten sich mal selbst loben. Fünf renommierte Architekturbüros waren beteiligt, 53.000 Quadratmeter, 600 Millionen Euro, vier Jahre Bauzeit. Fertig! In der Pressemitteilung schwärmten sie von verglasten Hallen und offenen Treppen, vom Blick auf die Spree, von Muschelkalk und Zedernholz und den französischen Fenstern (bodentief). Sie schrieben: „Die offenen Hallen schaffen innere Plätze und Bereiche für den Aufenthalt und die Kommunikation der Abgeordneten untereinander.“ Und das sollen sie ja, unsere Abgeordneten: miteinander reden! Das war 2002.

Franz Müntefering, damals Fraktionsvorsitzender der SPD, lobte etwas anderes. Er hatte das Jakob-Kaiser-Haus, das eigentlich aus acht miteinander verbundenen Häusern besteht, als einer der Ersten bezogen. Sein Büro lag in einer Ausbuchtung von Haus 2 in Richtung Spree. Im Oktober 2005 verhandelten SPD und CDU über eine große Koalition. Das war nicht so einfach, denn Franz Müntefering hatte im Wahlkampf über Merkel gesagt: „Die kann es nicht.“ Außerdem gab es in beiden Parteien mächtige Stimmen, die eine große Koalition ablehnten. Von den Sondierungsgesprächen sollte nichts an die Öffentlichkeit dringen. Müntefering sagte Ende 2005 der ZEIT: „Es wussten wahrscheinlich alle: Wenn einer anfängt zu plappern, geht das Ding hoch.“

Trotzdem kamen Müntefering und Merkel miteinander ins Gespräch. Sie hatten eine Verbündete: die Architektur.

„Frau Merkel und ich hatten den Vorteil, dass unsere beiden Büros übereinanderlagen“, sagte Müntefering, „ich war in der vierten, sie in der fünften Etage. Die beiden sind über eine Treppe verbunden, es sah also keiner, wenn wir uns besprochen haben.“ Am 22. November 2005 wurde Angela Merkel als Kanzlerin vereidigt, Franz Müntefering als Vizekanzler.

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Die Hintertreppe zwischen SPD und CDU kommt in keiner Architekturzeitschrift vor. Sie ist ziemlich profan, eine Betontreppe hinter einer Glasfront. Von der Spree aus hat man den Eindruck, da musste noch ein Notausgang hin. Ihre wahre Bestimmung aber war in jenen Tagen, dass Müntefering sich eben nicht durch Vorzimmer, luftige Hallen und offene Treppen zur CDU vorarbeiten musste, sondern eine Abkürzung von 20 Stufen nehmen konnte, die mutmaßlich der Brandschutzverordnung geschuldet war. Auch Friedrich Merz und der frühere SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nutzten die Hintertreppe zuletzt für Pendeldiplomatie.

Architektur sei die politischste aller Künste, hat der 2021 verstorbene Politikwissenschaftler Klaus von Beyme gesagt. In diesem Fall ist das wörtlich zu nehmen. Die Architektur des Abgeordnetenhauses hat große Politik ermöglicht. Bloß anders, als die Architekten das geplant hatten.

Wenn man genau wüsste, wie die Anordnung von Wänden, Türen, Treppen und Möbeln die Kommunikation fördert oder die Kreativität beflügelt, würden alle Schulen, Büros und Parlamente in offenen Gesellschaften wohl ähnlich aussehen. Aber so einfach ist es nicht. In Großbritannien, einer der ältesten Demokratien der Welt, sitzen Opposition und Regierungspartei in engen Bankreihen einander konfrontativ gegenüber, und zwar in einem Abstand, der angeblich in zwei Schwertlängen bemessen wurde. Im deutschen Bundestag dagegen sitzen die Abgeordneten im Halbkreis der Regierung gegenüber, ebenso in den Parlamenten von sieben Bundesländern. In neun Bundesländern sind die Parlamente kreisförmig ausgelegt. Geht es im Vollkreis harmonischer zu als im Halbkreis? Nein. Ist Großbritannien undemokratischer als Deutschland? Nein.

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Z+ (abopflichtiger Inhalt);

Überseequartier:
In Deckung, die Tür öffnet sich

Z+ (abopflichtiger Inhalt);

David Chipperfield:
„Teure Gebäude für reiche Leute? Ja. Sorry – ich baue sie ja auch“

Z+ (abopflichtiger Inhalt);

Umbau vom Haus:
Kann das weg? Bitte nicht!

Gleichwohl haben ein paar Jahrtausende Häuslebauen einige Erkenntnisse darüber hervorgebracht, wie Architektur die Kommunikation fördern kann – oder behindern. Wer diese Gesetzmäßigkeiten kennt, kann durch Grundrisse, mobile Wände und Stühlerücken für mehr Verständigung sorgen. Oder Kommunikation gezielt unterbinden, so wie in Gefängnissen oder Gerichten, in denen nicht jeder mit jedem sprechen soll. Und wenn man nicht aufpasst, kann eine ungünstige Raumaufteilung eine Katastrophe auslösen.

Als das Handelsschiff HMS Bounty im Dezember 1787 von England aus in See stach, war es von der britischen Admiralität für einen besonderen Zweck umgerüstet worden: Es sollte Setzlinge der Brotfrucht in Tahiti an Bord nehmen und in die britischen Kolonien verschiffen, wo man die Frucht für die Verpflegung von Sklaven kultivieren wollte. Dafür hatten Handwerker die großzügige Kapitänskajüte mitsamt der Bibliothek in eine Art Gewächshaus umgewandelt, mit Oberlichtern, Ofen, Entwässerungssystem und doppeltem Boden. 629 Töpfe fanden hier Platz, aber kein Kapitän. Der musste mit einer fensterlosen Kabine vorliebnehmen.

Architektur als Machttechnik

Manche Entscheidungen beim modernen Bauen sollen Kommunikation verhindern. © Cinta Vidal

„Die Konsequenzen der Umbauten für das Machtgefüge an Bord der Bounty waren erheblich“, schreibt der Historiker Simon Füchtenschnieder in dem Sachbuch Meuterei im Paradies: „Normalerweise wurden die Stellung und die Autorität eines Kapitäns auch räumlich – in Form der Kapitänskajüte – hervorgehoben und geschützt.“ Der Kapitän lud die Offiziere und Offiziersanwärter zu Besprechungen in seine Gemächer ein. Das ging nun nicht mehr. Die 46-köpfige Besatzung musste enger zusammenrücken. Und ausgerechnet die Kajüte des Bootsmanns, der üblicherweise für Disziplin sorgte, wurde auf ein unteres Deck verlegt. Stürme, Streit und Alkohol taten ihr Übriges. Am 28. April 1789 kam es zur Meuterei auf der Bounty. „Ich wurde im Hemd an Deck gezogen, wo sich kein Mann zu meiner Rettung fand“, notierte Kapitän William Bligh in sein Logbuch.

Das war halt ein Schiff, könnte man einwenden. Aber Schiffe sind gar nicht so anders als Häuser, wenn es um die Raumordnung der Macht geht. Wer thront in den größten und höchsten Büros vieler Konzernzentralen? Der Vorstand. Wo tagt der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB)? In der obersten Büroetage des Frankfurter EZB-Turms. Wer nutzt die obersten drei Stockwerke des Trump Tower in New York? Käpt’n Trump. In solchen Häusern ist die herrschende Klasse buchstäblich von den unteren Schichten getrennt.

Architektur ist kein neutraler Ort, an dem Macht ausgeübt wird. Sie ist selbst eine Machttechnik. Dieser Gedanke geht auf den französischen Philosophen Michel Foucault zurück. Er schrieb 1975 in Überwachen und Strafen: „Das Prinzip der Macht liegt weniger in einer Person als vielmehr in einer konzentrierten Anordnung von Körpern, Oberflächen, Lichtern und Blicken.“

Als Paradebeispiel diente Foucault das vermeintlich perfekte Gefängnis, das der englische Philosoph und Sozialreformer Jeremy Bentham Ende des 18. Jahrhunderts ersonnen hatte: Das Gebäude ist rund, und die nach innen offenen Gefängniszellen sind auf mehreren Etagen um den ebenfalls runden Innenhof angeordnet wie die Felder im Rouletterad. Im Zentrum des Hofs befindet sich ein Wachturm. Von hier aus können die Wärter jede Zelle einsehen. Die Insassen wissen nicht, wann sie beobachtet werden, müssen aber jederzeit damit rechnen.

Allein das Gefühl, überwacht zu werden, führe zur Selbstdisziplin und zur Besserung, glaubte Bentham. „Panoptikum“ nannte er seine Big-Brother-Architektur (Argos Panoptes war in der griechischen Mythologie ein allsehender Wächter mit vielen Augen). In den USA und auf Kuba wurden in den 1920er-Jahren derartige Gefängnisse errichtet. Sie gelten heute als Mahnmale für inhumanen Strafvollzug. Das Panoptikum lebt nur noch als Metapher für die totale Überwachung fort.

Das Gegenteil der Überwachungsanstalt ist die nicht hierarchische, kommunikationsfördernde Architektur. Das Vorbild stammt aus der Renaissance und steht nordwestlich von Venedig: In der Villa Rotonda aus dem 16. Jahrhundert waren die Räume symmetrisch um einen Kuppelsaal, die Rotunde, angeordnet. Von jedem der acht umliegenden Zimmer aus führte ein Durchgang zum jeweiligen Nachbarzimmer sowie zu einem von vier kurzen Fluren, die wiederum im Kuppelsaal mündeten. „Der Grundriss machte keinen Unterschied zwischen den Durchgangsbereichen des Hauses und den bewohnten Räumen“, schreibt die Architektursoziologin Kerstin Sailer vom University College London in ihrem Blog. „Die Villa war durchlässig und bot zahlreiche Bewegungsmöglichkeiten. Die Wege der Bewohner kreuzten sich ständig.“ Überall konnte man zwischen Tür und Angel ins Gespräch kommen.

Einem ähnlichen Grundprinzip folgt das Restaurant Grill Royal in Berlin, in dem oft Prominente und Abgeordnete zu sehen sind. Die Lehnen sind niedrig gehalten und erlauben es, quer durch den Raum zu spähen. Die Freiräume zwischen den Tischen und Sitzecken bilden ein verzweigtes Netz aus Mini-Boulevards. Viele Wege führen zum WC. Man kann anderen Menschen bewusst zufällig in die Arme laufen.

Ganz anders die Wohnungen, die im 19. Jahrhundert in England und Deutschland populär wurden. Sie hatten nun einen zusätzlichen „Raum“: den Korridor. Bewegen und Wohnen wurden getrennt. Man bewegte sich im Flur und verharrte im Zimmer. Die Zimmer waren keine Durchgangsräume mehr, sondern Sackgassen und Rückzugsorte, in denen man seine Ruhe hatte. Kerstin Sailer: „Grundrisse mit langen Korridoren sind typisch für eine Architektur und eine Gesellschaft, die Begegnungen vermeiden will.“

Es kommt auf Details an

Die Architektur kann entscheidend sein für die Art des Zusammenlebens oder das Arbeiten in Büros. © Cinta Vidal

Das gilt auch für die Einfamilienhäuser aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. „Der Eingang liegt so, dass der Hausherr sein Arbeitszimmer über den Flur direkt aus der Garage betreten kann, ohne am häuslichen Geschehen vorbeizukommen“, sagte der Architekt Jan Engelke unlängst der Süddeutschen Zeitung. Engelke leitet eine Forschungsgruppe zur Architektur des 21. Jahrhunderts an der Technischen Universität München. „Die Hausfrau dagegen hat kein eigenes Zimmer, und die Küche ist sehr klein, darauf ausgerichtet, dass dort eine Person allein arbeitet.“ Der Urtypus dieser hochfunktionalen Küche ist die „Frankfurter Küche“, entwickelt 1926 im Bauprogramm Neues Frankfurt. Der Grundriss bilde Geschlechterrollen ab, sagte Engelke. Sein Fazit: „Das Einfamilienhaus ist eine sexistische Wohnform.“

Die Küche muss in der Architektur des Gesprächs viel Verantwortung übernehmen. Sie ist in vielen Neubauten heute größer als damals. Und offener. Hier trifft man sich am Kühlschrank. Hier ist das Lagerfeuer. Hier wird geredet. Hier tagt das Familien- oder WG-Parlament. Ist jetzt alles gut?

„Es gibt nicht gut oder schlecht“, sagt die Architektursoziologin Kerstin Sailer. Es gibt Bedürfnisse, die sich im Laufe eines Lebens und im Laufe der Zeit verändern. Darüber sollte man sich verständigen, bevor man eine Wohnung anmietet, ein Haus baut oder eine WG gründet. Wie gut ist die Küche erreichbar? Wer kommt bei welcher Gelegenheit an ihr vorbei? Welche Esskulturen und Gerüche mischen sich hier? Eine Patchworkfamilie bevorzugt vielleicht eine offene Küche. Eine WG möchte womöglich nicht jeden Geruch vergemeinschaften. Manchmal ändern sich die Wünsche schneller als die Wände. Vor der Pandemie waren offene Grundrisse angesagt, in denen Wohnen, Essen und Kochen ineinander übergingen. In der Pandemie brauchten Büromenschen plötzlich ein ruhiges Arbeitszimmer für Videokonferenzen.

Kerstin Sailer hat die Analyse historischer Wohnungsgrundrisse weiterentwickelt und auf Büros übertragen. „Wenn wir mehr Zusammenarbeit ermöglichen wollen, sollten wir vielleicht zu den Renaissance-Ideen von Geselligkeit und sich kreuzenden Wegen zurückkehren“, sagt sie. Die pauschale Gegenüberstellung von Großraumbüros und Einzelbüros hält sie dabei allerdings für wenig hilfreich.

Auf den ersten Blick scheint die Sache klar: Großraumbüros erschweren konzentriertes Arbeiten und fördern Gespräche, weil dort mehr Menschen auf einem Haufen sitzen und sich öfter über den Weg laufen. Einzelbüros fördern die Konzentration und erschweren die Kommunikation. Doch so pauschal stimmt das nicht.

Es kommt auf Details an. Wenn Einzelbüros von einem langen Flur abgehen: Sind die Türen aus Glas? Dann kann man mal eben vom Schreibtisch aufspringen, sobald eine Person vorbeiläuft, mit der man noch etwas besprechen wollte. Sind die Wände aus Glas? Dann sieht man – auf Kosten der Privatsphäre – über mehrere Zimmer hinweg, ob jemand gerade am Platz ist. Sind die Zimmer untereinander verbunden wie in der Renaissance-Villa? Dann kreuzen sich die Wege ständig, aber dauernd läuft jemand durch den Raum. Und: Gibt es Sitzgelegenheiten, Nischen, Kaffeeautomaten, Teeküchen?

Um den Einfluss der Architektur auf die soziale Dynamik ihrer Bewohner systematisch zu erforschen, haben Wissenschaftler am University College London in den Siebzigerjahren die Space-Syntax-Methode entwickelt, eine Art Grammatik der Mensch-Raum-Beziehung. Zimmer, Flure, Treppen, Plätze, Grundrisse und Sichtachsen werden dafür einer mathematisch-grafischen Analyse unterzogen. Heatmaps und Computersimulationen zeigen an, wo Menschen sich spontan über den Weg laufen und wo sie eher isoliert sind. Es ist ein sehr britischer Ansatz voller Daten, Statistiken und Empirie. Evidenzbasiertes Design ist das Ziel, faktenbasierte Architektur. In dieser Tradition sieht sich Kerstin Sailer, die in Deutschland Architektur studiert hat, aber seit 20 Jahren in Großbritannien forscht und auch eine Architekturberatung leitet. „Architekten versprechen immer das Blaue vom Himmel“, sagt sie. Sie reden gerne von „Kommunikationsräumen“, aber das sei nur Marketing. Ob dort wirklich viel geredet wird, wissen die wenigsten.

Sailer und ihr Team haben mithilfe der Space Syntax drei Bürolandschaften miteinander verglichen und die jeweilige Belegschaft interviewt. Erstens das Londoner Großraumbüro eines großen Silicon-Valley-Konzerns. Zweitens ein deutsches Forschungsinstitut für theoretische Physik mit lauter Einzelbüros. Drittens eine britische Anwaltskanzlei, die ihre Einzelbüros drei Jahre zuvor gegen ein Großraumbüro mit Trennwänden eingetauscht hatte. Die Forschenden wollten wissen: Passten die Räumlichkeiten zu den Anforderungen des jeweiligen Unternehmens? Wie beeinflusste das Bürodesign Innovation, Effizienz und Privatsphäre? Was sagte die Belegschaft?

Auch die Wissenschaft macht Fehler

Man muss sich über den Weg laufen, um kommunizieren zu können. © Cinta Vidal

„Da gab es einige Überraschungen“, sagt Kerstin Sailer. So erlaubten die Einzelbüros des Forschungsinstituts zwar wie erwartet konzentriertes Arbeiten, aber die Mitarbeitenden kamen dennoch oft miteinander ins Gespräch. Denn zum einen wurden die Gastforscher nicht in einem eigenen Gebäudeteil untergebracht, sondern zwischen die Büros der einzelnen Abteilungen verstreut. Zum anderen sorgten regelmäßige Seminare, Sportveranstaltungen und öffentliche Vorlesungen für Austausch und spontane Begegnungen.

In den cubicles der Anwaltskanzlei kommunizierten die Teams vor allem untereinander, aber kaum mit anderen Teams. Zu spontanen Begegnungen mit Besuchern kam es so gut wie gar nicht, was durchaus im Sinne der diskreten Kanzlei war.

Im Londoner Großraumbüro des IT-Konzerns wiederum war die Gesprächskultur eher gehemmt. Viele Angestellte gaben an, sie würden Gespräche auf ein Minimum reduzieren, um andere nicht zu stören. Auch ist es in Großraumbüros nicht ungewöhnlich, dass zwei Kolleginnen einander gegenübersitzen und dennoch per Chat kommunizieren. Außerdem fand Sailer heraus, dass die Angestellten zufriedener sind, wenn sie mehr Tische im Blickfeld als im Rücken haben. „Man guckt lieber in den Raum hinein als aus dem Raum heraus“, sagt sie. Und: Je weniger Schreibtische jemand von seinem Platz aus im Blick hatte, desto zufriedener war die Person mit der Kommunikation in ihrem Team und über Teamgrenzen hinweg. Also doch lieber Einzelbüros?

Unklar. Seit einem halben Jahrhundert wird über den Wechsel von Einzelbüros zum Großraumbüro gestritten und geforscht, aber die Studien widersprechen sich. In einem Drittel der Fälle verbesserte sich die Kommunikation, in einem Drittel verschlechterte sie sich, und in einem Drittel war keine Tendenz erkennbar. Unternehmen, die ihren Angestellten eine neue Bürokultur aufzwingen wollen, können sich die passenden Studien heraussuchen.

Die Pandemie hat die Fronten aufgeweicht und hybride Bürolandschaften entstehen lassen. Activity Based Working (ABW) heißt das Konzept: Die Firmen stellen unterschiedliche Umgebungen bereit, und die Angestellten entscheiden je nach Terminkalender, ob sie am jeweiligen Tag einen ruhigen Platz brauchen, einen Schreibtisch im Team-Cluster oder überhaupt keinen Tisch, weil sie nur in Meetings sitzen oder im Homeoffice bleiben. Die niederländische Beratungsfirma Veldhoen + Company hat mehr als 10.000 Angestellte in 29 Unternehmen weltweit vor und nach der Umstellung auf Activity Based Working befragt (das war noch vor der Pandemie). Ergebnis: ABW wird dort besonders gut angenommen, wo Unternehmen Vertrauen und Autonomie fördern und die Technik reibungslos funktioniert. Die Angestellten sind dann mobiler, fühlen sich produktiver und loben die bessere Zusammenarbeit.

ABW funktioniert nicht, wo Vorgesetzte obsessiv die Arbeitszeit überwachen, wo ruhige Plätze fehlen, das WLAN nicht überall gleich gut funktioniert und die Belegschaft nicht mitreden darf. „Die Angestellten werden vielleicht gebeten, ein Möbelstück zu testen oder über die Farbe des Teppichs abzustimmen“, schreibt das Studienteam, „aber wie der Raum aufgeteilt wird, sodass er ihren Bedürfnissen entspricht, entscheiden andere.“ Die Folge: Die Beschäftigten fühlen sich isoliert und klagen über mangelnde Privatsphäre. Sie kehren zu alten Routinen zurück und versuchen, einen Schreibtisch für sich zu besetzen.

Vielleicht kann man es so sagen: Gute Architektur bringt gute Gespräche hervor. Was gute Architektur ist, hängt von den Bedürfnissen ab, und über die müssen wir reden. Gute Gespräche bringen gute Architektur hervor.

Im Jakob-Kaiser-Haus haben viele Büros der Abgeordneten eigene Waschbecken. Klingt gut, da kann man sich die Hände waschen oder Wasser für den Tee abfüllen. Andererseits werden Begegnungen auf dem Weg zur Teeküche oder zum WC reduziert. Auch Sitzecken fördern nicht automatisch das Gespräch. Kerstin Sailer hat eine Firma beraten, deren Management Sofas und eine teure Kaffeemaschine angeschafft hatte. Nur saß dort selten jemand. Es stellte sich heraus, dass in Sichtweite eine Abteilungsleiterin ihr Glasbüro hatte, die der Ansicht gewesen sei: Wer zusammen Kaffee trinkt, arbeitet nicht. Ein Panoptikum.

Kleiner Trost: Auch die Wissenschaft macht Fehler. Am University College London, wo die Space-Syntax-Methode geboren wurde, wollte man die Doktoranden besser integrieren. Also bekamen sie ein Büro, das direkt an die Teeküche grenzte. Nach kurzer Zeit hatte der akademische Nachwuchs in der Küche Zettel aufgehängt: Unterhaltungen bitte auf ein Minimum reduzieren! 

Max Rauner dankt Julia Schwanholz für Erkenntnisse zur Architektur von Parlamenten. Er empfiehlt eine Zeitreise in die Frankfurter Küche mit dem Video unter t1p.de/ffm-kueche.