Um die „Ehrenhäftlinge“ zu retten, die auf Schloss Itter in Tirol inhaftiert waren, verbündeten sich im Mai 1945 Soldaten der Wehrmacht und der US Army. Als die Waffen-SS mit Übermacht angriff, kam es zu einer dramatischen Situation.

Am 5. Mai 1945 ging es nur noch ums Überleben. In Süddeutschland kapitulierte die Wehrmacht einheitsweise, in den Niederlanden liefen die Verhandlungen darüber, in Reims wurde die deutsche Delegation für die Gesamtkapitulation erwartet und in Mauthausen befreiten US-Truppen das letzte KZ auf dem Gebiet Österreichs. Dennoch zogen weiterhin fliegende Standgerichte und fanatische SS-Einheiten durch die letzten unbesetzten Gebiete des Großdeutschen Reiches und vollstreckten mörderische Befehle. Einer davon lautete, die prominenten Gefangenen, die auf Schloss Itter in Tirol (bei Wörgl unweit von Kufstein) inhaftiert waren, zu liquidieren. Ein ungewöhnliches Bündnis übernahm die Verteidigung: Soldaten der Wehrmacht und der US Army.

Bereits bei der „Operation Cowboy“, der Rettung der Lipizzaner-Pferde aus Böhmen Ende April 1945, waren Deutsche und Amerikaner gemeinsam gegen Waffen-SS und tschechische Partisanen vorgegangen. Anders als das Gestüt Hostau (Hostouň), das von der Wehrmacht geführt wurde, unterstand Schloss Itter der SS. Hierher hatte sich der Kommandant des KZs Dachau, Eduard Weiter, gerettet, bevor US-Truppen sein Lager befreiten. Was anschließend geschah, hat der Historiker Chris Helmecke vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr jetzt in einem Aufsatz der Zeitschrift „Militärgeschichte“ zusammengetragen.

Das Kommando über das „SS-Sonderkommando Schloss Itter“ führte der SS-Hauptsturmführer Sebastian Wimmer. Mit 15 SS-Männern und etwa 30 Häftlingen aus dem KZ Flossenbürg hatte er eine Gruppe sogenannter „Ehrenhäftlinge“ zu bewachen, die 1943 in dem mittelalterlichen Schloss, das zuvor als Luxushotel und Ausstellungsforum gedient hatte und nun als Außenlager von Dachau firmierte, interniert worden waren. Verglichen mit dem übrigen Heer der Nummern tragenden KZ-Häftlinge genossen sie ein erstaunliches Maß an Komfort, der aber unter internen Spannungen litt.

So wechselten Édouard Daladier, der 1938 als französischer Premierminister das Münchner Abkommen unterzeichnet hatte, und sein Nachfolger Paul Reynaud kein privates Wort miteinander. Eine ähnliche Feindseligkeit legte dieser gegenüber dem General Maxime Weygand an den Tag, der als französischer Oberbefehlshaber 1940 vor der Wehrmacht kapituliert hatte. Dieser sprach wiederum nicht mit seinem Vorgänger Maurice Gamelin. François de La Rocque hatte als Faschistenführer sogar in der Regierung des Vichy-Regimes gesessen, bis die Gestapo seine Kontakte zum britischen Geheimdienst aufdeckte. Auch der ehemalige Tennis-Star Jean Borotra hatte zur Vichy-Regierung gehört, bevor sein Fluchtversuch nach Algerien gescheitert war. Alfred und Marie-Agnès Caillau hatte ihr Geburtsname nach Itter gebracht: de Gaulle. Sie war die Schwester des Generals und Führer der freien Franzosen.

Nachdem sein Chef Eduard Weiter wahrscheinlich um den 2. Mai in Itter Selbstmord begangen hatte, beschlossen auch Wimmer und seine Leute, sich aus dem Staub zu machen. Doch damit hatten die Häftlinge – sowohl die prominenten als auch das Dienstpersonal mit den Nummern – keineswegs ihre Freiheit wiedergewonnen. Jederzeit konnten Einheiten auftauchen, die noch in den letzten Tagen des Krieges Hitlers Vernichtungsbefehle gnadenlos exekutierten. Auch gingen Gerüchte von der „Alpenfestung“ um, in der ranghohe Nazis bis zum Endsieg würden durchhalten wollen.

Daher versuchte ein KZ-Häftling, sich zu den Amerikanern durchzuschlagen. Da aber im nahen Wörgl inzwischen die Waffen-SS das Sagen hatte, musste er bis nach Innsbruck fahren. Dort wurde ein Trupp US-Soldaten nach Itter in Marsch gesetzt, den aber deutsche Widerstandsnester zur Umkehr zwangen.

In der Zwischenzeit gelang es den Häftlingen in Itter, Kontakt zu einem Offizier der Wehrmacht aufzunehmen, der sich mit einigen Artilleristen dem österreichischen Widerstand angeschlossen hatte. Dieser Major hieß Josef Gangl und war an der Ostfront und in der Normandie hochdekoriert worden. Er erkannte die Gefahr für Schloss Itter und beschloss, sich den Amerikanern zu ergeben und dabei um Hilfe zu bitten.

In Kufstein traf er auf den First Lieutenant John Lee, der zur Vorhut der 12. US-Panzerdivision gehörte. Der ehemalige Football-Star bekam das Plazet seines Kommandeurs und begleitete Gangl mit seinem Sherman-Tank und wenigen GIs nach Itter. Die Geografie begünstigte die Verteidigung. Auf einem Bergsporn gelegten, gab es nur einen Zugang, den Lee mit seinem Panzer (der beinahe die Zugangsbrücke zu Einsturz gebracht hätte) blockierte. Die Stacheldrahtverhaue und Freiflächen, die um das KZ-Außenlager angelegt worden waren, boten Schutz vor Überfällen. Und die dicken Mauern aus dem Mittelalter hielten dem Beschuss mit leichten Waffen stand.

Mit zwei Dutzend Soldaten von Wehrmacht und Army organisierte Lee die Verteidigung. Hinzu kamen einige Häftlinge, die sich mit zurückgelassenem Material der SS bewaffnet hatten und lieber kämpfen wollten, als sich in den Kellergewölben zu verstecken. „Zu diesen stieß sogar noch ein Angehöriger der Waffen-SS, der SS-Hauptsturmführer Kurt-Siegfried Schrader, der sich nach einer Verwundung zu Genesung in Itter befand“, schreibt Helmecke.

Am Morgen des 5. Mai begann die Attacke. Mehr als 100 Mann der 17. SS-Panzergrenadier-Division „Götz von Berlichingen“, denen sich auch Wehrmachtssoldaten angeschlossen hatten, wollten den Befehl, Gefangene und Besatzung zu töten, in die Tat umsetzen. Nach einem ersten gescheiterten Vorstoß erfolgte gegen Mittag der Großangriff. Mit einer Panzerabwehrkanone wurde der Sherman-Panzer ausgeschaltet. Damit verloren die Verteidiger auch ihr Funkgerät. „In der Rückschau muss der Anblick der Verteidigungsstellung skurril gewirkt haben“, schreibt Helmecke. „Hier lag etwa der ehemalige französische Premierminister Reynaud neben Soldaten der Wehrmacht – jener Streitmacht, die fünf Jahre zuvor noch sein Heimatland erobert hatte.“

Von Reynaud ist das Zitat überliefert: „Leider kann ich nicht bestätigen, dass ich einen Feind getötet habe.“ Dafür traf es Gangl, ein Kopfschuss tötete ihn. Schließlich musste Lee seine Truppe in den Bergfried zurückziehen. Da auch die Munition zur Neige ging, wagte Jean Borotra den Ausbruch. Als Bauer verkleidet, stahl er sich aus dem Schloss und konnte sich bis zu den anrückenden amerikanischen Panzern durchschlagen. Die beschleunigten ihren Vormarsch. Als sie gegen 16 Uhr vor dem Schloss erschienen, brachen die SS-Leute ihren Angriff ab. Mehr als 100 von ihnen wurde sofort oder in den nächsten Tagen gefangen genommen.

Dass ausgerechnet Gangl der einzige Verteidiger war, der die „Schlacht um Itter“ nicht überlebte, hat ihm einen prominenten Platz in der Geschichte des österreichischen Widerstandes eingetragen. Er wurde als Verfolgter des NS-Regimes eingestuft, in Wörgl ist eine Straße nach ihm benannt. Gleichwohl sind seine Motive unklar geblieben: Trieb ihn Altruismus oder wollte er sich den Amerikanern andienen?

In ihrem Song „The Last Battle“ von 2016 singt die schwedische Metal-Band Sabaton: „Und es sind die amerikanischen Truppen und die deutsche Armee, / die sich endlich zusammenschließen.“ Historiker Helmecke relativiert den „verklärenden Mythos von der ,guten‘ Wehrmacht, die sich gegen die SS stellte. Oftmals wird dabei außer Acht gelassen, dass auch Einheiten der Wehrmacht am Angriff auf das Schloss teilnahmen und ein Angehöriger der Waffen-SS bei der Verteidigung beteiligt war.“

Schon in seiner Geschichts-Promotion beschäftigte sich Berthold Seewald mit Brückenschlägen zwischen antiker Welt und Neuzeit. Als WELT-Redakteur gehörte die Geschichte der Weltkriege zu seinem Arbeitsgebiet.