Eigentlich war es eine folgerichtige verkehrsrechtliche Anordnung, als in der Riesaer Straße der alte und zu schmale Hochbordradweg aufgehoben und dafür ein breiter Radfahrstreifen auf der Fahrbahn angeordnet wurde. Die Gelegenheit nutzte die Stadt, um wesentliche Teile des alten Radweges zu entsiegeln und darauf Blühpflanzen einzusetzen. Aber die Pflanzfläche sorgte für einige Irritationen: Ist das denn nicht Schotter, was da in den Beeten liegt? Das wollte Michael Schalott gern wissen. Das Mobilitäts- und Tiefbauamt hat ihm ausführlich geantwortet.

Seine Sorge hatte Michael Schalott in einer Einwohneranfrage deutlich formuliert: „Vor einigen Jahren wurde mit der Begründung, die vorhandenen, durch farbiges Pflaster markierten Radwege seien zu schmal, parallel verlaufend neue Radwege auf der Fahrbahn markiert, wobei die meisten Radfahrer, offenbar ihrem Sicherheitsgefühl vertrauend weiter die alten Fahrstreifen nutzten.

Seit etwa zwei Wochen sind nun Bauarbeiter damit beschäftigt, auf Höhe des Friedhofs Sellerhausen das Pflaster des alten Radweges zu entfernen und durch eine Schotterung zu ersetzen, in die punktuell kleine Grünpflanzen eingesetzt werden.

Am 29.02.2024 beschloss der Leipziger Stadtrat eine Begrünungssatzung – Satzung der Stadt Leipzig über die Gestaltung und Ausstattung der unbebauten Flächen der bebauten Grundstücke und über die Begrünung baulicher Anlagen.

In § 6 Absatz 6 Gestaltung der unbebauten Flächen der bebauten Grundstücke heißt es: ‚Unzulässig sind geschotterte Steingärten (§ 3 Abs. 6). Dies gilt insbesondere für Vorgärten. Der Eintrag von Folien in den Boden oder sonstige Maßnahmen, die einer Verhinderung der in dieser Satzung geregelten Begrünung dienen können, ist verboten.‘

Der Ansatz, die Anlage von Schotterflächen zu verbieten, wird von Umweltverbänden vorrangig mit negativen Auswirkungen auf das Mikroklima begründet.“

Und jetzt das: Sahen die Flächen an der Riesaer nicht geschottert aus?

Die Riesaer ist ein Pilotprojekt

Aber der Eindruck trog, antwortete indessen das Mobilitäts- und Tiefbauamt: „Mithilfe des aktuellen Pilotprojektes soll ein Lösungsansatz dargestellt werden, wie man mit derartig versiegelten Flächen neu umgehen kann, indem sie einer angemessenen ökologischen Nutzung in Form einer Vegetationsfläche zugeführt werden. Dies unterstützt auch das nationale Ziel, den Flächenverbrauch zu reduzieren (Netto-Null-Versiegelung).

Der Bereich vor dem Friedhof stellt sich dabei als ein Extremstandort für Pflanzen und insbesondere für Bäume dar. Gemäß Stadtklimaanalyse besteht am Friedhof eine Wärmebelastung nach PET-Index von 36,10° C, die Gehölze sind stets der Hitze und Trockenheit im Straßenraum ausgesetzt. Die Stadt versucht hier klimaangepasste, attraktive und ökologisch aufwertende Lösungsmöglichkeiten und deren Aufwendungen aufzuzeigen.

Eine Pflanzfläche direkt an der Haltestelle Ostheimstraße. Foto: Ralf JulkePflanzfläche direkt an der Haltestelle Ostheimstraße. Foto: Ralf Julke

Bei der Ausführung handelt es sich nicht um eine Schotterung. Für die Deckschicht (oberen 5 cm) wird bei diesem Projekt kein Lavalit, sondern Splitt als mineralisches Mulchmaterial verwendet. Eine Mulchschicht schützt den Boden vor Witterungseinflüssen, weil sie temperaturausgleichend und feuchtigkeitsregulierend wirkt. Der Splitt schützt den Boden vor einer übermäßigen Verdunstung und trägt keine zusätzlichen Nährstoffe ein, was bei Rindenmulch der Fall wäre.

Das Auflaufen von Wildkräutern wird so verringert. Eine reine Erdabdeckung würde schnell mit Fremdpflanzen durchsetzt und durch Tritt verdichtet werden. Auf einem offenen, lehmigen Boden können zudem durch Verdunstung Trockenrisse entstehen. Das Regenwasser wird dann schlecht aufgenommen und fließt zum Großteil oberflächig ab.

Aus diesem Grunde wurden bis zu 30 cm der oberen Bodenschicht ausgetauscht. Das stattdessen eingebrachte porenreiche Substrat erleichtert ebenfalls den Gas- und Nährstoffaustausch, das Wasser kann begünstigt durch den mineralischen Aufbau ungehindert in den Boden versickern und steht den Bäumen zur Verfügung. Hierunter verstehen wir u.a. das Prinzip einer Schwammstadt.

Eine Pflanzfläche an der Riesaer Straße. Foto: Ralf JulkePflanzfläche an der Riesaer Straße. Foto: Ralf Julke

Ein Widerspruch zur Begrünungssatzung der Stadt ist daher auch nicht gegeben. Bei den verwendeten Materialien für die Pflanzung und Abdeckung handelt es sich um zertifizierte und nach den ‚Standards der Stadt Leipzig für die Planung und Ausschreibung von Straßenbegleitgrün‘ aufgeführte Substrate, die von der ‚Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V.‘ (FLL) empfohlenen werden.

Die Bezeichnung Schotter findet Anwendung für grobe gebrochene Gesteinskörnungen zwischen 32 und 63 Millimeter. Die hier verwendete Körnung liegt bei 8 bis 16 Millimeter. Sie dient dem Anschluss an die anderen Oberflächenbeläge und trifft die Empfehlungen für wärmeliebende oder mediterrane Stauden.

Der Splitt ist trittbeständig, was bei dem Standort als bedeutender Faktor gilt und besitzt durch das helle Grau ein hohes Rückstrahlvermögen (Albedo), um die Wärme nicht im Boden zu speichern, wie bei dunklen Flächen. Solange die Pflanzen noch nicht etabliert sind, als auch im Winter, während einige Stauden sich zurückziehen, helfen die genannten Eigenschaften, die Fläche in ihrer Funktion aufrechtzuerhalten.

Darüber hinaus ist der Pflegeaufwand geringer als bei organischem Rindenmulch. Wenn die insektenfreundlichen Staudenpflanzungen in den kommenden Monaten und Jahren wachsen dürfen, tragen sie zu einem guten Mikroklima an diesem Standort bei. Vorrangig kommt dies den Bestandsbäumen zugute, deren Baumscheiben erheblich erweitert wurden.

Nicht zuletzt erhält die Straße als stadteinwärtige Magistrale durch den abwechslungsreichen und später opulenten Blütenflor eine sichtbare Aufwertung. Nach Fertigstellung finden sich 3.068 Stauden und 7.100 Geophyten (Frühblüher) in 62 Arten und Sorten auf dieser Fläche. Auf den Quadratmeter ergeben sich somit im Durchschnitt circa 26 Pflanzen, darunter aber mindestens fünf Stauden.

Auf eine Wurzelschutzfolie wurde bewusst verzichtet. Es handelt sich insgesamt um eine fachgerecht angelegte naturnahe Pflanzung mit einem biodiversen, trockenheitsverträglichen – standortverträglichen – Staudenflor, die insbesondere durch den Bund deutscher Staudengärtner (BdS), dem Netzwerk blühende Landschaften, aber auch durch den NABU (Naturschutzbund Deutschland) e. V. empfohlen wird (Artenreiche Kies- und Steingärten).“

Gekostet hat diese Umwandlung des alten Radweges 114.000 Euro (brutto) plus Planungsleistung, Pflege- und Nebenkosten, insgesamt 160.000 Euro. „Die angesetzten Folgekosten für die Pflege belaufen sich für die 385 qm Staudenflächen pro Arbeitsgang auf etwa 350 Euro netto, ohne Wässerung der Gehölze.“

Inzwischen sind die Pflanzen schon sichtbar gewachsen. Noch sind sie kein Blütenmeer. Passanten können also gespannt sein, ob das Experiment hier gelingt.