Ballett-Intendant Demis Volpi übernahm sein Amt vor acht Monaten vom 86-jährigen Choreografen John Neumeier, der die Compagnie aufbaute und von 1973 bis 2024 leitete. Nun erweist sich das Schaffen des Altmeisters als Hypothek. Das Ballett steckt in einer tiefen Krise. Fünf Erste Solisten, darunter die Stars Madoka Sudai und Alexandr Trusch, kündigten zum Ende der Spielzeit. Gut 30 weitere Tänzerinnen und Tänzer unterzeichneten einen Brandbrief an Kultursenator Carsten Brosda (SPD), in dem sie Vorwürfe gegen Volpi erheben. Alexandr Trusch, der seit 18 Jahren in Hamburg tanzt, zeigt sich in einem NDR-Bericht „unfassbar enttäuscht von der Qualität und von diesem Mittelmaß“. Die Kulturbehörde versucht, die Wogen zu glätten. Sprecher Enno Isermann: „Natürlich ist ein Wechsel nach 51 Jahren John Neumeier für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Hier braucht es die Bereitschaft zum Miteinander, ein Verständnis für das außergewöhnliche Erbe Neumeiers und gleichzeitig die Lust auf Veränderung.“ Die Behörde stehe mit allen Beteiligten in vertraulichem Austausch. Ballett-Intendant Demis Volpi äußert sich im WELT-Interview zu den Vorwürfen.

WELT: Können Sie sich den Unmut im Hamburg Ballett nach acht Monaten als Intendant erklären?

Demis Volpi: Ich habe damit gerechnet, dass diese Transition schwierig wird, weil jeder Wechsel dieser Dimension für alle Beteiligten eine Herausforderung darstellt. Ich hätte mir aber erhofft, dass wir die Herausforderung als Compagnie intern miteinander im respektvollen Umgang meistern können und bleibe trotz allem überzeugt, dass es gelingen kann.

WELT: Was halten Sie vom Vorwurf von Alexandr Trusch, Ihre Arbeit sei ‚Mittelmaß‘ und damit enttäuschend.

Demis Volpi: Jede Tänzerin, jeder Tänzer darf sich eine eigene Meinung bilden. Selbstverständlich hoffe ich mit meiner Kunst jede Tänzerin, jeden Tänzer zu erreichen und inspirieren zu können, aber als Künstler habe ich die Pflicht meinem eigenen, tiefsitzenden künstlerischen Instinkt ehrlich zu folgen.

WELT: Werden Sie Trusch fristlos kündigen, weil er das Interesse des Arbeitgebers an einem respektvollen Umgang verletzt hat?

Demis Volpi: Ich finde jetzt geht es darum, diese Situation in einem sinnvollen und konstruktiven Weg mit der Compagnie gemeinsam zu meistern. Alexandr Trusch hat sich entschieden, die Compagnie am Ende der Spielzeit zu verlassen; bis dahin ist er Mitglied des Ensembles.

WELT: Wie kommt es, dass gleich fünf erste Solisten gegen Ende Ihrer ersten Spielzeit die Compagnie verlassen?

Demis Volpi: Diese Ersten Solistinnen und Solisten haben mir aus unterschiedlichen Gründen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihren Wunsch mitgeteilt, die Compagnie zu verlassen. Zwei davon sogar schon letztes Jahr, kurz nach Beginn der Spielzeit. Ich habe bei meinem Amtsantritt bewusst fast alle Tänzerinnen uns Tänzer aus der vorangehenden Spielzeit übernommen, weil ich ihnen allen die Chance geben wollte, Teil des neuen Hamburg Ballett zu sein. Dass einige Personen die eingeschlagene Richtung nicht mitgehen wollen, ist, meiner Meinung nach, ein natürlicher Aspekt des Prozesses in diesem einzigartigen Wechsel, in dem wir uns gerade befinden. Den Tänzerinnen und Tänzer, mit denen ich gerade tagtäglich im Studio kreiere, bin ich sehr dankbar. Denn dort erlebe ich eine enorme Offenheit, gegenseitige Inspiration und ein wertschätzendes Miteinander.

WELT: Welche Defizite sehen Sie bei den Tänzerinnen und Tänzern, die immerhin eine halbe Compagnie stark einen Brandbrief an die Kulturbehörde gesandt haben, in dem Ihnen schlechte Kommunikation, fehlende Transparenz und eine „oft abschätzige Haltung“ vorgeworfen werden, zusammengefasst: schlechter Stil.

Demis Volpi: Es ist uns als Kollektiv offensichtlich nicht gelungen, die von mir etablierten Kommunikationswege in dem richtigen Maße zu nutzen. Zusammen mit den Ensemblesprechern gehen wir das nun mit der Compagnie gemeinsam an und ich bin zuversichtlich, dass es gelingen kann, eine Kultur zu festigen, die auf gegenseitigem Respekt beruht. Es gibt genug Ensemblemitglieder, die sich mir gegenüber positiv äußern und den Brief nicht unterschrieben haben, Mitglieder der Compagnie, die anderer Meinung sind und die die Kommunikationswege, die ihnen zur Verfügung stehen erkannt haben und jetzt schon sinnvoll nutzen.

WELT: Welche Fehler sehen Sie in Ihrer bisherigen Amtsführung und was wollen Sie besser machen?

Demis Volpi: Die Intensität der administrativen Aufgaben, die mit dem Intendantenwechsel zusammenhängen sowie die Arbeit an der Entstehung der Tanztriennale, der Wechsel des Opernintendanten und Generalmusikdirektors ab nächster Spielzeit und meine Teilnahme an der fachkundigen Planung des neuen Opernhauses haben bislang nicht zugelassen, dass ich so oft im Ballettstudio sein konnte, wie ich es vorgesehen hatte. Zurzeit bin ich täglich im Studio mit der Compagnie zu meinen Proben von „Demian“, meiner ersten Uraufführung für das Hamburg Ballett.

WELT: Welche Rolle spielt John Neumeier bei den aktuellen Unmutsbekundungen seiner ehemaligen Compagnie?

Demis Volpi: Während es stimmt, dass John Neumeier auf meine Einladung hin in den vergangenen Monaten auf jedem Gastspiel, bei allen Wiederaufnahme-Proben und einigen Repertoire-Proben anwesend war, zuletzt zum Beispiel bei der „Matthäus Passion“ vor Ostern, kann ich es mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er mit der aktuellen Situation etwas zu tun hat. Ich denke, er weiß, wie sehr ich sein Oeuvre und seine Errungenschaften hier in Hamburg bewundere. Zudem sehe ich es auch als meine Aufgabe, genau dieses wertvolle Erbe zu bewahren und fortzuführen. Dafür habe ich neben dem Neumeier-Experten Lloyd Riggins, drei Ballettmeisterinnen beziehungsweise Ballettmeister und eine Choreologin aus der Zeit John Neumeiers an meiner Seite, die ihr umfangreiches Wissen an die Tänzerinnen und Tänzer weitergeben.

WELT: Fühlen Sie sich von Kultursenator Carsten Brosda ausreichend unterstützt?

Demis Volpi: Ja, absolut.