Nach einem bittersüßen Tag für Friedrich Merz (CDU), der erst im zweiten Anlauf zum Kanzler gewählt wurde, wird bei „Markus Lanz“ im ZDF aufgeregt gerätselt und gemunkelt: Wer hat Merz durchfallen lassen, und wie sehr ist seine Kanzlerschaft dadurch belastet? Außerdem geht es um den Erfolg der AfD und die Frage, wie man ihr beikommt.

Die Gäste

Es diskutieren der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD), der Journalist Michael Bröcker („Table.Media“), die Journalistin Kristina Dunz („Rheinische Post“) sowie der AfD-Beobachter der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, Justus Bender.

Munteres Rätseln: Woran hat’s gelegen?

Bis weit in die Sendung hinein treibt die Gäste, eifrig angefeuert von Markus Lanz, vor allem eine Frage um: Wer trägt die Schuld am Scheitern von Friedrich Merz im ersten Wahlgang?

„Das ist jetzt Kaffeesatzleserei“, versucht Linnemann gleich zu Beginn, das Thema vom Tisch zu wischen. Ob es Abweichler der Union oder SPD gewesen seien, könne er nicht feststellen. Er sei jedenfalls darauf vorbereitet gewesen, betont Linnemann: „Ich wusste, welches Szenario kommt.“

Eine Anekdote der Journalistin Dunz lässt daran gehörige Zweifel aufkommen. In den Fraktionen von Union und SPD „liefen Wetten, es gehe in einen zweiten Wahlgang“, sagt Dunz. Linnemann, peinlich berührt, lächelt unsicher in die Kamera.

Mit aller Kraft versucht der CDU-Politiker, irgendetwas Positives aus der Wahlschlappe zu ziehen. „Vielleicht werden wir in einem halben Jahr sagen, diese Schrecksekunde heute musste sein“, mutmaßt er. Er spricht von einem „Warnsignal, das es brauchte“.

Als Lanz ihn zu Merz’ Charakter befragt, wirkt Linnemann etwas verdattert. Dann holt er zu einem ausführlichen Lob seines Chefs aus, das in einer gewagten Prophezeiung gipfelt: „Er wird einer der erfolgreichsten Kanzler“. Dunz’ Gesichtsausdruck wechselt währenddessen zwischen Belustigung und Ungläubigkeit.

Die Stunde der politischen Beobachter

Lange wird an diesem Abend über Personalien geschnackt. Michael Bröcker und Kristina Dunz sollen erklären, was Linnemann umtreibt (Bröcker: „Er ist einer der ganz frühen Merzianer“) und welche Rolle dem neuen Unionsfraktionschef Jens Spahn nun zukommt (Dunz: „Er sitzt Friedrich Merz im Nacken“). Es schlägt die Stunde der politischen Beobachter.

Über SPD-Chefin Saskia Esken, die auf ein Ministeramt verzichten muss, entspinnt sich eine Debatte. „Den Umgang mit Saskia Esken fand ich unter allem Niveau“, sagt die SPD-Europapolitikerin Barley, „auch medial“.

„Jetzt wo Frau Esken nichts mehr geworden ist, kann man ihr natürlich nochmal Lobeshymnen hinterherwerfen“, entgegnet Bröcker trocken. Die „unbequeme Wahrheit“ sei, dass vor allem „einflussreiche, mächtige Frauen“ in der SPD gegen Esken opponiert hätten.

Talkshow trifft Gesellschaftsdiagnose

Abseits der Personen wird es grundsätzlicher, für eine Talkshow geradezu gehaltvoll. Alles beginnt mit Barleys Diagnose, dass immer mehr Menschen Parteien wählten, „die Inhalte vertreten, die ihnen selber schaden“. Sie meint die AfD.

„Wir beschäftigen uns noch nicht genug damit, was sich in unserer Gesellschaft verändert hat“, sagt Barley. Nur dadurch lasse sich jedoch ein zunehmend rechtslastiges Wahlverhalten erklären.

„Ich bin mir nicht sicher, ob die Analyse so ganz korrekt ist“, zweifelt Lanz. Sein Erklärungsansatz lautet, dass die Bürger mit der „Performance von Politik“ unzufrieden seien. „Das ist einfach nur noch Protest, das ist einfach nur noch Dagegensein.“

Ob die Protestwähler-These nicht langsam ausgedient hat, das zu hinterfragen hat niemand mehr die Gelegenheit, denn der Moderator springt plötzlich von der Gesellschaftsdiagnose zum Verfassungsschutzbericht, der die AfD als gesichert rechtsextremistisch einstuft. Schade drum.

Inside AfD

Lang und breit wird diskutiert, wann der Bericht – laut Dunz eine „politische Bombe“ – am besten hätte veröffentlicht werden sollen. Bis auf Barley können sich alle darauf einigen, dass die Veröffentlichung kurz vor dem Regierungswechsel „ein bisschen versemmelt“ worden sei.

Lehrreich sind mit Blick auf die Debatte über ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD die Hinweise des AfD-Beobachters Bender. „Die Feststellung der rechtsextremen Gesinnung ist das eine“, erklärt er. Um eine Partei zu verbieten, müsse sie jedoch aktiv gegen die Verfassungsordnung kämpfen. „Da reicht es nicht, dass Herr Höcke etwas Rassistisches sagt.“

Auch in das Innenleben der Partei liefert Bender Einblicke. Alle, die in der AfD für Mäßigung eingetreten seien, „wurden rausgeekelt“. Trotzdem gebe es auch unter extrem Rechten Nuancen. „Björn Höcke ist kein Nazi“, sondern „ein gefährlicher Rechtsextremist“, differenziert Bender. AfD-Chefin Weidel sei dagegen ideologisch „hochgradig flexibel“.

Selbst das Lachen der AfD weiß der Journalist einzuordnen. Etwas stolz bekennt er, alle Plenarprotokolle des Bundestags aus dem vergangenen Jahr gelesen zu haben. Das Ergebnis: „Die AfD lacht viermal häufiger als andere.“ Dass dies „ein aggressives rhetorisches Werkzeug“ sei, hätten AfD-Abgeordnete ihm gegenüber offen zugegeben.

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„Das war sehr spontan, das war sehr erkenntnisreich“, resümiert Lanz am Ende der Sendung gewohnt selbstbewusst. CDU-Generalsekretär Linnemann hatte er zuvor mit den Worten entlassen: „Danke Ihnen sehr, dass Sie sich heute gestellt haben.“