Das Münchner Dokumentarfilmfestival schaut zum 40. Jubiläum vor und zurück, und greift dabei die Themen unserer Zeit auf. Wir haben uns das Programm schon einmal angesehen und geben einige Tipps.
Es gilt als eines der größten und renommiertesten Dokumentarfilmfestivals Europas. Jetzt feiert das DOK.fest München sein 40. Jubiläum mit vollgepacktem Programmkalender, 16 Preiskategorien, Pitching-Sessions für neue Projekte, Workshops und Netzwerk-Events für den Filmnachwuchs, und natürlich jeder Menge Dokus. Ab 7. Mai sind 105 Filme in Münchner Kinos zu sehen – und fast alle davon auch deutschlandweit online. Nachdem das Festival 2020 und 2021 Corona-bedingt nur online stattfinden konnte, entschloss sich die Leitung für eine Zukunft in dualem Format. Seitdem kann ein Großteil der Filme während der Festivallaufzeit mit entsprechendem Ticket auch Zuhause gestreamt werden.
Angesichts anhaltender Krisen und Kriege überrascht es nicht, dass die diesjährige Filmauswahl diese weltweiten Konflikte spiegelt. In Festivalreihen wie „Nie wieder ist jetzt?“, „Crossing Boundaries“ oder „Reframing History“ laufen Filme, die sich um politischen Widerstand und Migrationserfahrungen drehen. Oder in denen es darum geht, wie die Vergangenheit unsere Gegenwart formt. Zudem gibt es experimentelle Formate, Filme aus tierischer Perspektive, Found-Footage-Produktionen und Dokus über Künstler:innen wie Meredith Monk, Simon Rattle und Ai Weiwei.
Aus Anlass des Jubiläums gönnt sich das Festival auch den Blick zurück auf die eigene Vergangenheit. Gegründet wurde es 1985 auf Initiative der bayerischen Sektion der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK). Die Dokfilmer:innen wollten damit auf ihre prekäre Lage aufmerksam machen. In den 80ern galt der Dokumentarfilm in Deutschland noch als Stiefkind des Kinos. Abspielmöglichkeiten gab es meist nur im Fernsehen, wo alles, was nicht den gängigen TV-Konventionen entsprach, ins spätabendliche Sende-Nirvana verbannt wurde. Auf der Festival-Website gibt es einen schönen Kurzfilm, Shoot Film Not People, mit Archivmaterial von den turbulenten Anfängen des Festivals und Interviews mit einigen der Gründungsmitglieder. Darin erfährt man zum Beispiel, dass das erste DOK.fest erst dank eines städtischen Zuschusses von 30.000 D-Mark zustande kam. Schon kurze Zeit später jedoch gab es einen herben Dämpfer für die lokale Dokumentarfilmszene, als das zwei Jahre zuvor gegründete Filmfest München bekanntgab, Dokumentarfilme von nun an aus seinem Programm auszuschließen. Dagegen protestierte die AG DOK mit Plakaten und einem Dokumentarfilm-Bus, der vor dem Festivalzentrum im Gasteig geparkt wurde.
Der Konkurrenzkampf zwischen den beiden Festivals ist jedoch längst beigelegt. Auf dem Filmfest München, das Ende Juni stattfindet, laufen neben aktuellen Spielfilmproduktionen weiterhin auch Dokumentarfilme. Daneben hat sich auch das DOK.fest als feste Größe im Münchner Kulturkalender etabliert. Dabei steht dem Festival nun ein Umbruch bevor: Festivaleiter Daniel Sponsel wechselt nach dem diesjährigen Jubiläum als Präsident an die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film. Neue DOK.fest-Chefin wird die bisherige stellvertretende Geschäftsführerin Adele Kohout.
Vor dem Festivalstart konnte critic.de schon mal durchs Programm browsen und vielversprechende Filme sichten. Hier ein paar Tipps.
Facing War, 2025, Regie: Tommy Gulliksen, 103 min.
Eigentlich hatte Jens Stoltenberg seiner Frau versprochen, den Job als NATO-Generalsekretär nach neun Jahren an den Nagel zu hängen. Doch angesichts sich zuspitzender Krisen – Ukraine-Krieg, Putins Drohungen gegen die West-Allianz, abtrünnige NATO-Partner – lässt er sich von US-Präsident Biden noch einmal zu einer Verlängerung seiner Amtszeit überreden. Filmemacher Tommy Gulliksen begleitet den norwegischen Diplomaten über ein Jahr lang bei seinen schwierigen Missionen, ist bei vertraulichen Gesprächsrunden dabei, bei Staatsempfängen und Gipfeltreffen, aber auch in privaten Momenten, etwa wenn Stoltenberg morgens allein beim Frühstück sitzt oder die Schuhe abstreift und müde in den Flugzeugsessel sinkt. Aus dem erwartbaren Material webt Gulliksen ein spannendes Polit-Drama, inklusive Showdowns mit Erdogan, Orbán und Selenskyi. Facing War ist aber auch eine stille Heldengeschichte, die deutlich macht, wie unentbehrlich einfühlsame Politiker wie Stoltenberg in den kalten Hinterzimmern der Macht sind.
Ai Weiwei’s Turandot, 2025, Regie: Maxim Dervianko, 78 min.
Der chinesische Künstler und Aktivist Ai Weiwei ist eigentlich nicht als Opernfreund bekannt. Für Musik habe er nie viel übrig gehabt, bekennt er freimütig. Trotzdem sagt er zu, als das Teatro dell’Opera di Roma ihn einlädt, Turandot zu inszenieren. Denn zu Puccinis letzter großen Oper gibt es eine biografische Verbindung: Mit Anfang 20 war Ai Weiwei in New York einst Statist bei einer Aufführung des Werks an der Metropolitan Opera. In Rom stürzt er sich als experimentierfreudiger Regisseur nun erneut in die Welt dieser Oper und lädt das märchenhafte Stück mit persönlichen und weltpolitischen Bezügen auf. Der Film dokumentiert die intensive Arbeit hinter den Kulissen, das Ringen um musikalische Werktreue und künstlerische Neuinterpretation, die Hingabe der Bühnenarbeiter:innen und Musiker:innen, die Lost-in-Translation-Momente. Und er zeigt, wie einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart vibrierend neue Bilder für einen abgehangenen Opernklassiker schafft.
Soldaten des Lichts, 2024, Regie: Julian Vogel, 108 min.
Bei „Dr. Raw“ gibt’s nicht nur heilende Wildkräutersäfte zu verkosten – der selbsternannte Naturheiler und TikTok-Guru hat auch weitaus radikalere Ideen zur Lebensgestaltung parat. Die gruselige Real-Live-Doku nimmt uns mit in die bizarre Welt der Verschwörungstheoretiker, Impfgegner und Reichsbürger, die mit Rohkost und Wunderheilungen ihre Schäfchen auf das neue „Königreich Deutschland“ einstimmen wollen. Was stellenweise wie eine Satire im Stil von Jan Böhmermann und seinem ZDF Magazin Royale wirkt, entpuppt sich als geschickt aufgebauter Investigativfilm, in dem sich die unverschämten Protagonist:innen peu á peu selbst entlarven.
Khartoum, 2025, Regie: Ahmad Ibrahim, Co-Regie: Rawia Alhag, Anas Saeed, Timeea M.Ahmed, Phil Cox, 80 min.
Als im von Bürgerkriegen zerrissenen Sudan kurzzeitig Ruhe zu herrschen scheint, startet ein britisches Filmkollektiv ein besonderes Projekt: In Khartoum sollen Menschen von sudanesischen Regisseur:innen porträtiert und nach ihren Träumen für die Zukunft gefragt werden. Als Protagonist:innen werden zwei Straßenkinder begleitet, eine Teeverkäuferin, ein Angestellter in der Stadtverwaltung und ein Student und Friedensaktivist. Doch die Dreharbeiten haben kaum begonnen, da bricht der Krieg zwischen der Militärregierung und den Milizen wieder aus. Das Filmteam und die Porträtierten fliehen nach Kenia, das Projekt scheint gestorben. Doch so schnell geben die Sudanes:innen nicht auf. Gerade jetzt, als Flüchtlinge, wollen sie über ihre Heimat sprechen, auch über das Schreckliche, das sie erlebt haben. Mit Green-Screen-Technik spielen sie in dem Lagerhaus, das ihnen als Unterkunft dient, Szenen aus ihrem Leben nach. Regisseur Ahmad Ibrahim mischt die Aufnahmen mit dem schon gedrehten Material aus Khartoum und verwebt alles zu einem traumhaft-traurigen Film über Traumata und Krieg, Flucht und Verlust.
07.05.2025
Ute Thon
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DOK.fest München: 07.-18.5.2025, @home: 12.-25.5.2025
Hier geht’s zum Programm: https://www.dokfest-muenchen.de/Programm