Halle. „Ich finde es furchtbar und wirklich unerträglich“, sagt Alessa Jaimes. Die Hallerin hat etwas erlebt, was in großen Städten an der Tagesordnung ist, doch in Halle eher selten passiert. Sie wurde von einer Bettlerin angesprochen. Was sie nachhaltig schockiert, ist das Alter der Hilfesuchenden. „Ich war einfach total irritiert, wie jung dieses Mädchen aussah.“ Und sie wünschte, sie hätte anders reagiert.

Alles geschah am Montagvormittag auf der Höhe der Haller Herz Apotheke. „Ich glaube, das Mädchen hat gar nicht viel gesagt. Ich erinnere mich vor allem daran, dass sie mir einen Zettel entgegengehalten hat – mit einer Kopie von einer handschriftlichen Nachricht. Ich wusste schon, ohne zu lesen, was darauf steht“, schildert die Hallerin. Die junge Bettlerin erhoffte sich Geld für Essen.

Alessa Jaimes ging weiter – aber sie rang mit sich: „Die Ferien sind doch vorbei, was macht dieses Mädchen hier? Es müsste zur Schule gehen.“ Da sich die Hallerin unsicher war, ob sie das Alter der Bettlerin richtig einschätze, tauschte sie sich mit einer anderen Frau aus. Diese ging auf das Mädchen zu und sprach mit ihr. Angeblich sei sie 15 und habe Mittagspause in der Schule.

Drückerkolonne in Halle? Das sagt die Polizei

Organisiertes Betteln ist keine Seltenheit. Viele Experten sprechen sogar von Missbrauch. - © Melanie Wigger

Organisiertes Betteln ist keine Seltenheit. Viele Experten sprechen sogar von Missbrauch.
(© Melanie Wigger)

„Von wegen“, meint Alessa Jaimes. „Ich hätte sie nicht direkt auf ihr Alter angesprochen, weil es war klar, dass die dann weg ist.“ Und so geschah es auch: Kurz darauf sei eine ältere Frau aufgetaucht, die mit dem Mädchen den Bereich am Marktkauf-Parkplatz verließ.

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„Mich hat die Situation sehr erschüttert, mein Eindruck war, dass ein minderjähriges und schulpflichtiges Kind mitten in der Haller Innenstadt zum Betteln geschickt wurde.“ Damit hätte sie in Halle nicht gerechnet. „Ich ärgere mich sehr, dass ich nicht direkt die Polizei gerufen habe“, betont sie im Gespräch mit dem „Haller Kreisblatt“. „Die Polizei hätte herausfinden können, unter welchen Umständen dieses Mädchen lebt.“

Alessa Jaimes hat jedoch im Nachhinein mit der Polizei gesprochen. „Das war mutmaßlich eine Drückerkolonne, die sich daran bereichert, andere zum Betteln zu schicken. Die Bettler selbst behalten nichts und werden in der Regel überwacht.“ Das ist Nötigung. Viele Experten sprechen auch von Missbrauch, wenn Kinder zum organisierten Betteln gezwungen werden.

Kein Bettelverbot für Kinder in Halle

Auch wenn man helfen möchte: Bettler, die nicht für sich selbst sammeln, profitieren nicht von Spenden. - © Pixabay

Auch wenn man helfen möchte: Bettler, die nicht für sich selbst sammeln, profitieren nicht von Spenden.
(© Pixabay)

Auch Polizeipressesprecherin Katharina Felsch bestätigt, dass man die Polizei rufen sollte: „Damit wir weitere Schritte einleiten können. Man sollte auf keinen Fall Geld spenden oder sich in ein Gespräch verwickeln lassen.“ Statistisch sei eine Einordnung dieser Fälle schwierig. „Es wird nicht alles angezeigt und es kann auch nicht immer verknüpft werden.“

Größere Städte haben bereits auf das Problem mit der Bandenkriminalität reagiert, indem ein Bettelverbot für Kinder beschlossen wurde. Im Kreis Gütersloh wurde dieses Verbot auch für die Stadt Gütersloh geplant. In Halle gebe es kein explizites Verbot, bestätigt der städtische Pressesprecher Timo Klack – moralisch verwerflich sei es trotzdem.

Grundsätzlich ist Betteln für Erwachsene jedoch erlaubt – solange man nicht unter falschen Vorwänden Geld einsammelt. Menschen, die Geld für vorgetäuschte Notsituationen einsammeln, machen sich hingegen wegen Betrugs strafbar.

Die Berichterstattung soll anderen helfen, besser zu reagieren

In den vergangenen Jahren wurden im Altkreis Halle immer mal wieder Fälle mit Bettel-Banden bekannt, belegt das Archiv des „Haller Kreisblatts“. Manchmal auch in Verbindung mit Trickdieben. „Aber nicht jeder Bettler ist ein Taschendieb“, betont die Polizeisprecherin. In den Meldungen der vergangenen zehn Jahre handelte es sich oft um osteuropäische Gruppen. Explizit Minderjährige wurden selten erwähnt – nur 2017 wurde eine Gruppe bettelnder Frauen mit Kindern in Steinhagen gemeldet.

2024 wurde zudem im Rahmen von drei Hausdurchsuchungen, von denen eine in Borgholzhausen stattfand, unter der Leitung der Polizei Osnabrück nicht nur Hinweise auf organisierte Bettelbanden gefunden. In den Wohnungen hielten sich auch Minderjährige auf, die vermutlich zu den Opfern der Bande zählen. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt deshalb gegen einen 45-jährigen Hauptbeschuldigten.

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Alessa Jaimes hofft, dass eine Berichterstattung zu diesem Vorfall bei anderen hängenbleibt, damit diese besser reagieren. „Das Mädchen hat außer mir sicher noch weitere Personen angesprochen. Und sie wird vielleicht erst einmal nicht mehr in Halle auftauchen, aber sicher in einer anderen Stadt. Ich finde es einfach schlimm. Kinder gehören in die Schule.“