Hornissen mögen Hochprozentiges, Hirsche auch. Jetzt wurden erstmals Schimpansen beim Teilen alkoholhaltiger Früchte beobachtet. Genießen sie den Rausch oder ist Alkohol nur Nahrung? Und was verrät das über uns Menschen?
Vielleicht sollten wir die Momente, in denen wir in geselliger Runde Alkohol trinken, mit anderen Augen sehen. Das legen jedenfalls neue Studien der britischen Universität Exeter nahe. Ein Team um die Biowissenschaftlerinnen Anna Bowland und Kimberley Hockings hat im Cantanhez-Nationalpark im westafrikanischen Guinea-Bissau Schimpansen dabei gefilmt, wie sie sich gemeinsam an den vergorenen Früchten des Okwabaums labten. Insgesamt zehnmal bot sich den Forschern die Gelegenheit, die Tiere bei solchen Gelagen mit der Kamera festzuhalten. Und als ob es nicht bemerkenswert genug wäre, dass die Tiere das schwammige Fleisch der kürbisähnlichen Früchte in sich hineinstopfen, die an die 15 Kilo auf die Waage bringen können und bis zu 0,61 Prozent Alkohol enthalten – in mehreren Fällen reichten die Affen sie auch noch an einen Artgenossen weiter.
„Unsere Daten liefern den ersten Beleg für das Teilen von alkoholartiger Nahrung durch Menschenaffen“, sagt Studienleiterin Anna Bowland. Diese Beobachtungen, so die Forscherin, stützten die Idee, „dass der menschliche Alkoholgebrauch in der Evolutionsgeschichte tief verwurzelt ist“.
Die Gründe liegen nahe. Das Trinken von Alkohol führe bei Menschen zur Ausschüttung von Dopamin und Endorphinen, erzeuge also Gefühle von Glück und Entspannung. Zudem trage das Teilen von Alkohol zur Bildung und Stärkung sozialer Verbindungen bei. Sollte das auch auf Menschenaffen zutreffen, dann ließe sich der Konsum von Alkohol in Gruppen als eine Art „Urform des Feierns“ ansehen, so Bowland. Schließlich ist der Schimpanse ein enger Verwandter des Menschen.
Doch nicht nur Primaten sind dem Alkohol zugeneigt. Auch Insekten können ihm nicht widerstehen. So wiesen die schwedischen Entomologen Lars Pettersson und Markus Franzen 2008 nach, dass Motten in besonderem Maße von Fallen angezogen werden, die mit Bier oder Wein bestückt waren. Zu den ungewöhnlichsten Alkoholkonsumenten der Tierwelt gehört die Orientalische Hornisse. Sie kann gewaltige Mengen an hochprozentiger Nahrung vertilgen, ohne auch nur ansatzweise verhaltensauffällig zu werden oder unter irgendeiner Form von Kater zu leiden. Orientalische Hornissen gelten als Tiere, die Alkohol als Energiequelle verstoffwechseln können. Wissenschaftler erhoffen sich aus dem Alkoholstoffwechsel des Insekts neue Erkenntnisse über Ursachen und Bekämpfung von menschlichem Alkoholismus.
Zwischen Menschen und Fruchtfliegen wurden hinsichtlich des Alkoholkonsums bereits Parallelen entdeckt. So wie manch zurückgewiesener Mann Trost in der Flasche sucht, so wurde bei männlichen Fruchtfliegen, denen von Weibchen der Paarungswunsch verwehrt wurde, ein Hang zu alkoholhaltiger Nahrung beobachtet. Forscher der University of California in San Francisco haben dafür eine schlüssige Erklärung: Sex aktiviere genau wie Alkohol das Belohnungszentrum im Gehirn. Bei Fliegen wie bei Menschen.
Doch wie bereits das Beispiel der Orientalischen Hornisse zeigt, ist Alkohol nicht für jedes Lebewesen eine psychoaktive Substanz, sondern schlicht ein Nahrungsmittel. Das auf Malaysia beheimatete Federschwanz-Spitzhörnchen wird auch „Saufhörnchen“ genannt, weil es auf die Blüten der Eugeissona-Palme abfährt, deren Nektar einen Alkoholgehalt von 3,8 Prozent aufweist. Studien zufolge ziehen sich die Hörnchen ihren Leib- und Magennektar Nacht für Nacht rein – ohne auch nur die Spur betrunken zu werden. Forscher vermuten, dass auch die Federschwanz-Spitzhörnchen aufgrund ihres Stoffwechsels Alkohol schnell abbauen. Offensichtlich ist der alkoholhaltige Nektar für die Kleinsäugetiere einfach nur ein schmackhafter Energydrink.
Selbst wenn es eine unbestrittene Tatsache ist, dass Alkohol bei Menschen relativ schnell zu schwerwiegenden sozialen und gesundheitlichen Problemen führen kann, wäre es natürlich ein Kurzschluss, ihn auf seine schädigenden Wirkungen zu reduzieren. Alkohol desinfiziert, konserviert, ist die Grundlage vieler medizinischer Produkte. Dass er aus evolutionsbiologischer Sicht durchaus seinen Sinn hat, lässt sich in dem 2020 erschienenen Sammelband: „Alcohol and Humans: A Long and Social Affair“ nachlesen.
Danach hat Alkohol die Entwicklung vieler Arten geprägt und „symbiotische Beziehungen zwischen Organismen strukturiert, darunter Pflanzen, Hefen, Bakterien, Insekten und Säugetiere“. Auch die britischen Forscherinnen Anna Bowland und Kimberley Hockings haben in einem Aufsatz über mögliche evolutionsbiologische Gründe für Alkoholkonsum Vermutungen aufgestellt. Sie kommen unter anderem zu dem Schluss, dass es für Tiere vorteilhaft sein kann, ihn aus medizinischen Gründen zu konsumieren. Die Biologinnen betonen aber auch, dass Alkohol ein mächtiger Kalorienlieferant sei.
Gleichwohl gibt es auch Tiere, die nach dem Alkoholkonsum Zeichen eines berauschenden Einflusses aufweisen. Ob es ihnen Freude bereitet oder eine Nebenwirkung ist, mit der sie leben müssen, lässt sich nicht immer eindeutig klären. Sicher ist, dass beispielsweise Weißwedelhirsche regelmäßig dabei beobachtet werden, wie sie über Streuobstwiesen streunen, vergorene Äpfel futtern – und anschließend schläfrig und ziemlich wackelig auf den Beinen sind.
2011 sorgte in den Medien ein Elch in Schweden für Aufsehen, der so viel gammelnde Äpfel gegessen hat, dass er sich betrunken in den Ästen des Baumes verfing und befreit werden musste. Es kommt in Skandinavien häufiger vor, dass berauschte Elche die Kontrolle über sich verlieren, in Häuser eindringen und sogar Menschen angreifen. 2019 hüpfte in Schweden ein sternhagelvoller Elch durch das offene Fenster in einen Kindergarten. Erst der beherzte Klaps, den eine Kindergärtnerin dem Tier auf das Hinterteil versetzte, schlug ihn in die Flucht.
Die jüngst in Guinea-Bissau beim gemeinsamen Fressen von vergorenen Früchten des Okwabaums gefilmten Schimpansen blieben indes friedlich. Die Wissenschaftler sind sich auch noch gar nicht sicher, ob und in welchem Umfang der Alkohol bei den Tieren einen Rausch auslöste. Ausgeschlossen ist es keineswegs. Darauf deutet eine vor zehn Jahren veröffentlichte Studie aus dem benachbarten Guinea hin. Dort beobachtete ein internationales Forschungsteam wild lebende Schimpansen, die bis zu drei Liter vergorenen Palmsaft in sich hineinschütteten. Alkoholgehalt: knapp sieben Prozent. Sie zeigten „Zeichen eines Rausches“ – und legten sich irgendwann einfach schlafen.