Bei Schwaben waren sie einst so bekannt wie Äffle und Pferdle: Häberle und Pfleiderer sind zurück und feiern in der Komödie im Marquardt Triumphe. Noch mehr Stadtgeschichte lebt auf, da Artisten des Friedrichsbau Varietés zu Besuch kommen.

Ha wa! Jetzt ko i gar nemme! Häberle und Pfleiderer, zwei Ikonen des schwäbischen Humors, staunen nicht schlecht, als ihnen vier Künstlerinnen und Künstler des Friedrichsbau Varietés am Mittwoch einen Besuch in der Komödie im Marquardt abstatten und fürs Gruppenbild auf der Bühne gleich mal eine tolldreiste Hebefigur vorführen.

Das Treffen hat einen stadtgeschichtlichen Hintergrund. Momentan feiert der neue Friedrichsbau auf dem Pragsattel mit der Show „Burlesque Chronicles“ 125 Jahre Varieté in Stuttgart. Zur Historie dieser Bühne zählen Willy Reichert und Oscar Heiler alias Häberle und Pfleiderer, die viele Jahre nach ihrem Tod im Marquardt aufleben.

Jörg Pauly und Monika Hirschle verkörpern in dem gleichnamigen Theaterstück die Urahnen des schwäbischen Humors so großartig, dass sie Abend für Abend stürmisch gefeiert werden. Das Publikum ist überrascht, wie aktuell die alten Sketche heute noch sind! Das Treffen von Künstlern der beiden Theaterhäuser von der Innenstadt und dem Pragsattel wird zu einer Zeitreise zurück in Stuttgarts spannende Kulturvergangenheit. Ha wa! Au früher ging’s voll ab!

Willy Reichert war künstlerischer Leiter des Friedrichsbaus

Zeitgeschichtlich ist das schwäbische Komiker-Duo eng mit dem Varieté verbunden. 1933 übernahm Willy Reichert die künstlerische Leitung im historischen Friedrichsbautheater und stand als Pfleiderer unzählige Male mit Oscar Heiler, dem Häberle, gemeinsam auf der Bühne. Vom neuen Friedrichsbau sind in die Marquardt-Komödie das Duo Forza (José Sanchez und Lian Alvarez) sowie Csenge Jerabek vom Duo Twirlin Girls sowie Solo-Künstlerin Georgina Szotkó gekommen.

Auch die Frauen lassen ihre Muskeln spielen. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Blicken wir noch weiter zurück: 1929 feierte die „Dreigroschenoper“ Stuttgart-Premiere im Schauspielhaus – kurz nach der Berliner Uraufführung. Zu den Proben kamen Bertolt Brecht und Kurt Weill. 120-mal in Folge wurde dieses Stück gespielt. In der Hauptrolle des Mackie Messer hat Stuttgart den jungen Willy Reichert gefeiert, der später als schwäbischer Volksschauspieler Theatergeschichte schrieb.

Warum Oscar Heiler sein rechtes Bein verloren hat

Im Schauspielhaus lernte Reichert den um zehn Jahre jüngeren Buchhändler Oscar Heiler kennen, seinen späteren Partner in „Häberle und Pfleiderer“. Der junge Heiler, in kleinen, wechselnden Rollen bei der „Dreigroschenoper“ engagiert, erinnerte sich in seinen Memoiren: „Willy Reichert war als Mackie Messer scharfzüngig, kaltschnäuzig, aalglatt.“

Bei den Proben zur 50. Vorstellung des Brecht/Weill-Erfolgs stürzte 1930 Heiler über den Saum seines Kostüms. Er konnte nicht mehr aufstehen. Ärzte stellten bei der Operation ein bösartiges Geschwür am Knie fest. Sein rechtes Bein musste amputiert werden. „Sonst hätte ich nicht überlebt“, sagte Heiler später. Fortan trat er mit Prothese auf.

Im eigenen Leben wollte Oscar Heiler niemals der spießige „Herr Häberle“ sein. Als Zwölfjähriger hatte er die rote Fahne zum Fenster rausgehängt und sich später zur Konfirmation die Briefe von Rosa Luxemburg gewünscht. Später war der Rebell Heiler beim FKK-Verein aktiv.

Das Café im alten Friedrichsbau v Foto: Archiv

Als 1994 der neue Friedrichsbau, unweit des ersten Standorts, in der Rotunde der L-Bank eröffnete, ist Oscar Heiler noch einmal so richtig gefeiert worden. Willy Reichert war da schon 21 Jahre lang tot. Das Premierenpublikum erhob sich von den Plätzen, um den beliebten Vertreter der alten Varieté-Garde mit donnernden Applaus zu ehren. „Euch macht ihr’s leicht, mir macht ihr’s schwer. Ihr gebt mir Armen zuviel Ehr!“, sagte Heiler.

Es habe sich also doch gelohnt, so alt zu werden, meinte der große Komiker am Tag nach seinem letzten großen Auftritt. Erst um zwei Uhr in der Früh verließ der damals Schwerkranke die Premierenfeier: „Das war der schönste Abend meines Lebens!“ Sein Publikum hatte ihn also nicht vergessen. Es liebte ihn noch immer. Ein Jahr später ist er im April 1995 im Alter von 88 Jahren gestorben.

Die Burlesque- Show wird im Friedrichsbau bis zum 7. Juni verlängert

Noch bis Sonntag wird „Häberle und Pfleiderer“ in der Komödie im Marquardt aufgeführt. Im Friedrichsbau Varieté wird aufgrund großen Publikumsnachfrage die Show „Burlesque Chronicles“ bis zum 7. Juni verlängert. Die Produktion ist Teil der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 125-jährigen Bestehen des Varietés und nimmt das Publikum mit auf eine sinnliche Zeitreise durch die Geschichte des Burlesque – von den verwegenen Anfängen in den Pubs des 19. Jahrhunderts über den Glamour der Goldenen Zwanziger und die koketten Rockabellas der 1950er bis hin zur Renaissance des Neo-Burlesque im neuen Jahrtausend.

Die Mischung aus Performance, Körperkunst und Emanzipation kommt beim Publikum an, berichtet Varieté-Direktor Timo Steinhauer und freut sich, „mit dieser Show den Nerv der Zeit getroffen zu haben“. Die Kombination aus vier Szenenbildern, Weltklasse Artistik und burlesquem Schönheitstanz sorge bei jeder Vorstellung „für ausgelassene Stimmung, tosenden Applaus und Standing Ovations“.