Nach einem Rekorddefizit im vergangenen Jahr warnen die Kommunen davor, dass Milliarden-Schulden für die Infrastruktur keine auskömmliche Grundfinanzierung ersetzen. Dass vor allem bei Jobverweigerern nicht härter durchgegriffen werde, bringe die Menschen „zu Recht auf die Palme“.
Trotz des von Union und SPD angekündigten Schuldenpakets in Höhe von 500 Milliarden Euro scheinen die Kommunen die Hoffnung auf Besserung zu verlieren. Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat die beiden möglicherweise künftigen Regierungsparteien mit einem dramatischen Appell um eine ausreichende Finanzierung gebeten. „In all den Krisen seit dem Jahrtausendwechsel hatten wir immer zumindest die Hoffnung, dass es nach zwei, drei Jahren wieder aufwärts geht“, sagte Landkreistag-Präsident Achim Brötel der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
„Aber jetzt, jetzt sehen wir erstmals überhaupt kein Licht am Ende des Tunnels. Im Gegenteil, der weitere Niedergang zeichnet sich schon deutlich ab.“ Dann brächen Strukturen weg, die nicht mehr zu reparieren sein würden. „Und dann werden die Leute jenseits der großen Städte erst recht in die Arme der Extremisten getrieben“, sagte Brötel.
Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin bekräftigen die Landkreise dabei ihren Ruf nach einer harten Bürgergeld-Reform. „Es gibt einen relevanten Anteil an Leuten, die sich komplett verweigern, bislang aber trotzdem einfach weiter alimentiert werden“, sagte Brötel. „Für diese Gruppe brauchen wir deshalb endlich wieder einen Sanktionsmechanismus, der wirklich wehtut.“
Dass den Jobcentern praktisch jede Handhabe zur Sanktionierung genommen worden sei, das sei „ein riesiger Fehler“ gewesen, „und das bringt die Menschen, die arbeiten oder händeringend nach Arbeit suchen, auch völlig zu Recht auf die Palme!“, so Brötel wörtlich. „Wenn die künftige Regierung hier nicht liefert, dann haben Union und SPD den Schuss nicht gehört.“
Schonfristen für Arbeitslose sollen sofort abgeschafft werden
Nicht nur für Verweigerer, auch für aktiv Arbeitsuchende fordern die Landkreise Kürzungen. „In der Corona-Pandemie wurden etwa Karenzzeiten eingeführt. Ein Jahr lang wird die tatsächliche Miete erstattet, egal wie hoch sie ist, mit der Option auf sechs weitere Monate. Corona ist aber vorbei, die Kassen sind leer. Also weg mit der Schonfrist, und zwar sofort!“, sagte ihr Präsident Brötel.
Zudem sei im Angehörigen-Entlastungsgesetz praktisch verunmöglicht worden, auf Vermögen und Einkünfte von Angehörigen zurückzugreifen. „Wieso soll der Staat, also der Steuerzahler, aber einspringen, wenn in der Familie genug Geld vorhanden ist? Auch an die Möglichkeiten, sich künstlich arm zu rechnen, müssen wir in diesem Zusammenhang ran“, forderte er. „Das klingt vielleicht hart. Aber das alles sind Lasten, die uns unter Wasser drücken.“
Anlass ist ein Rekorddefizit der Kommunen von 24 Milliarden Euro im vergangenen Jahr, eine Vervierfachung gegenüber 2023. Die kürzlich beschlossenen, über Schulden finanzierten Infrastruktur-Milliarden „werden uns nicht vor dem Absaufen bewahren“, sagte der Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises. Nötig sei eine auskömmliche Grundfinanzierung. „Aber nach dem, was bislang (aus den Koalitionsverhandlungen) durchgesickert ist, werden wohl nahezu alle für uns entscheidenden Fragen zunächst aus dem Koalitionsvertrag ausgeklammert und auf die Zeit danach und damit möglicherweise auf den Sanktnimmerleinstag verschoben.“
Eine drastische Verwaltungsreform sei notwendig: „Sämtliche mega komplizierten Förderprogramme atmen im Grunde doch nur eines, nämlich den Geist des Misstrauens“, sagte Brötel. Dabei hätten Landkreise und Gemeinden deutlich mehr Vertrauen verdient. „Ich sage es mal so: Wenn auf eine auskömmliche Grundfinanzierung umgestellt wird und die kommunale Ebene selbst entscheiden kann, dann können wir fast alle Förderprogramme einfach in die Tonne treten.“ Sollte in den Koalitionsverhandlungen kein Zukunftspakt für die kommunale Ebene vereinbart werden, müssten unbedingt finanzielle Reserven für eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung geschaffen werden.
Das Defizit der Kommunen hat sich im vergangenen Jahr fast vervierfacht auf den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. In den Kern- und Extrahaushalten der Gemeinden und Gemeindeverbände (ohne Stadtstaaten) betrug es 25 Milliarden Euro – nach 6,6 Milliarden 2023.
dpa/saha