Erschleichen von Leistungen: So nennt es das Strafgesetzbuch, wenn jemand ohne gültigen Fahrschein unterwegs ist. Schwarzfahren gilt immer noch als Straftat. Doch bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) ist das Risiko, erwischt und belangt zu werden, geringer als früher. Die Zahl der Ticketkontrollen und der Strafanträge ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Das hat der Senat den Grünen auf Anfrage mitgeteilt. Wer wiederholt beim Schwarzfahren erwischt wird und die Geldstrafen nicht zahlt, muss im schlimmsten Fall damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen. Nun gibt es neue Zahlen, wie viele Menschen deshalb eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen.

Wurden bei der BVG 2019 noch fast 11,4 Millionen Fahrscheinkontrollen durchgeführt, so sank die Zahl bis 2022 um mehr als die Hälfte. Im vergangenen Jahr, als die BVG für insgesamt 1,12 Milliarden Fahrten genutzt wurde, fragten Kontrolleure 5,366 Millionen Fahrgäste des Landesunternehmens nach ihren Tickets. Besonders stark sank das Risiko in der U-Bahn, im Bus blieb die Zahl der Kontrollen dagegen fast gleich.

Dass es weniger Fahrscheinprüfungen gab, lag anfangs an der Pandemie. So wurden die Kontrollen während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 vorübergehend ausgesetzt. Doch anders als bei der S-Bahn sanken die Zahlen trotz des Pandemie-Endes weiter, obwohl die Schwarzfahrerquote deutlich zunahm – 2020 von drei auf 3,6 Prozent.

Die S-Bahn Berlin kontrolliert häufiger und kassiert mehr Geld als die BVG

Bei dem Tochterunternehmen der bundeseigenen Deutschen Bahn, stieg die Zahl der Fahrscheinkontrollen während dieses Zeitraums dagegen von 9,3 Millionen auf 11,1 Millionen an. In den Coronajahren und danach wurden bei der S-Bahn Berlin deutlich mehr Fahrgäste kontrolliert als bei der BVG. Das geht aus der umfangreichen Drucksache des Abgeordnetenhauses hervor, in dem Justiz-Staatssekretär Dirk Feuerberg die Fragen der Grünen-Abgeordneten Antje Kapek und Petra Vandrey beantwortete.

Ein Zug im S-Bahnhof Hauptbahnhof: Wer mit der S-Bahn fährt, wird deutlich häufiger kontrolliert.

Ein Zug im S-Bahnhof Hauptbahnhof: Wer mit der S-Bahn fährt, wird deutlich häufiger kontrolliert.Emmanuele Contini

Ähnlich sieht es bei den Strafanträgen aus. Im Jahr 2019 beantragte die BVG in 10.871 Fällen, Schwarzfahrer wegen eines Verstoßes gegen Paragraf 265a, Absatz 1, Variante 3 des Strafgesetzbuches zu belangen. Im vergangenen Jahr waren es dagegen nur noch 1693. Bei der S-Bahn nahm dagegen die Zahl der Strafanträge von 11.650 auf 13.824 zu. Zwar umfasst diese Zahl auch Anzeigen wegen gefälschter und manipulierter Fahrausweise, aber der Trend ist auch bei diesem Vergleich unverkennbar.

Immerhin: Die Einnahmen aus dem erhöhten Beförderungsentgelt, kurz EBE, sind bei der BVG weniger stark zurückgegangen – was darauf hindeutet, dass dort die Quote der festgestellten Schwarzfahrer deutlich zugenommen hat. 60 Euro werden nach den Regularien fällig, wenn ein Fahrgast ohne gültiges Ticket ertappt wird. Die BVG verzeichnete 2019 EBE-Einnahmen in Höhe von 7,95 Millionen Euro. Im Corona-Jahr 2021 kamen auf diesem Weg sogar 8,4 Millionen Euro in die Kasse. 2024 waren es 6,4 Millionen Euro. Die S-Bahn zählt, in wie vielen Fällen solche Forderungen beglichen wurden. Deren Zahl stieg innerhalb des Zeitraums von rund 106.000 auf fast 123.000.

Die Zahlen zeigen, dass längst nicht jede Forderung dieser Art bezahlt wird. Auch wenn ein Verfahren vor Gericht geht, ist nicht immer eine Strafe die Folge, Einstellungen sind weitaus häufiger. Doch in einigen Fällen kommt es aber dann doch zu Verurteilungen.

Auf Anfrage der Grünen teilte die Justizverwaltung mit, wie viele Gefangene in Berlin eine Ersatzfreiheitsstrafe nach Paragraf 265a verbüßten – wobei diese Bestimmung auch andere Leistungserschleichungen sanktioniert, etwa wenn sich jemand ohne Eintrittskarte Zugang zu einer Veranstaltung verschafft oder einen Automaten manipuliert. Die Senatsdaten beziehen sich auf jeweils zwei Stichtage, den 30. Juni und 31. Dezember. Sie schwanken zwischen acht (30. Juni 2020) und 64 (ein Jahr zuvor). Im vergangenen Jahr saßen aus diesem Grund 34 beziehungsweise 14 Menschen ein.

Unterschiedliche Zahlen: Wie viele Schwarzfahrer sitzen im Gefängnis?

Der Anteil an allen Gefangenen in Berlin schwankt zwischen einem und elf Prozent. 2024 betrug er acht beziehungsweise fünf Prozent.

Allerdings scheinen die neuen Zahlen nicht zu früheren Angaben des Senats zu passen. So teilte die Verwaltung vor knapp vier Jahren mit, dass am Stichtag 2. Februar 2021 156 Menschen wegen des Erschleichens von Leistungen in Berliner Justizvollzugsanstalten einsaßen. Rund ein Jahr zuvor verbüßten 70 „Leistungserschleicher“ Haftstrafen.

Wie dem auch sei: Die Grünen nehmen auch die jetzt präsentierten, deutlich niedrigeren Zahlen zum Anlass, ihre Forderung nach einer Entkriminalisierung zu unterstreichen. Die Situation sei „fatal, als es sich bei diesem Straftatbestand um ein typisches Armutsdelikt handelt, der nicht strafrechtlich, sondern lediglich durch Sozialpolitik wirksam verändert werden kann“, teilt die Fraktion am Mittwoch mit.

„Menschen, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen können, einzusperren, ist nicht nur extrem teuer, sondern hilft vor allem nicht weiter. Jemand, der seine Geldstrafe nicht bezahlen kann und dafür in das Gefängnis geht, befindet sich immer in einer sozial schwierigen Situation“, sagt Petra Vandrey, Grünen-Sprecherin für Rechtspolitik.

Die Grünen im Abgeordnetenhaus fordern erneut ein Ende der Kriminalisierung des Schwarzfahrens.

Die Grünen im Abgeordnetenhaus fordern erneut ein Ende der Kriminalisierung des Schwarzfahrens.dts/imago

Ein Tag in der Haft kostet die Steuerzahler fast 230 Euro

Oft seien solche Menschen wohnungslos oder litten unter einer Erkrankung. „Hier sind soziale Hilfen nötig, kein Wegsperren. Es müssen Alternativen zur Haftstrafe ausgebaut werden, damit Geldstrafen zum Beispiel durch gemeinnützige Arbeit getilgt werden können. Das wäre nicht nur sozialer für die betroffenen Menschen und billiger für die Steuerzahlenden. Das würde auch die Justiz entlasten, die sich dann noch stärker um die wirklich schwerwiegenden Straftaten kümmern könnte, zum Beispiel um den Kampf gegen Femizide und organisierte Kriminalität“, so die Abgeordnete.

„Nur ein Drittel der Menschen in Berlin besitzen ein eigenes Auto – dafür lebt aber ein Drittel unterhalb der Armutsgrenze“, erklärt die Grünen-Verkehrspolitik Antje Kapek. „Wenn der Berliner Senat also den Preis für das Sozialticket von 9 auf 19 Euro pro Monat verdoppelt, darf sich nicht wundern, wenn immer mehr Menschen sich die notwendige Fahrt mit den Öffentlichen nicht mehr leisten können.“ Die Ersatzfreiheitsstrafe sei zudem richtig teuer. 2023 betrugen die Haftkosten in Berlin 229,40 Euro pro Tag. Die Grünen errechnen eine jährliche Belastung von bis zu 84.000 Euro. Dieses Geld könnte man besser in ein bezahlbares Sozialticket investieren, so Kapek.

„Die von der Ampel-Regierung angestoßene Entkriminalisierung des Fahrens ohne Ticket muss von der neuen Bundesregierung weiter vorangebracht werden. Denn es ist nicht nachvollziehbar, dass Fahren ohne Fahrschein als Straftat gilt, während Parken ohne Parkschein eine Ordnungswidrigkeit ist“, sagt die Grünen-Politikerin.