Andreas Menger, der Torwarttrainer von Hertha BSC, besitzt bei den Anhängern seines Vereins nicht gerade den leichtesten Stand. In den sozialen Medien wird seine Arbeit mit einer gewissen Skepsis begleitet. Wobei: Die wenigsten seiner Kritiker können Mengers Arbeit wirklich beurteilen. Sie schließen einfach vom Ergebnis auf die Arbeit.
Macht der Torhüter Fehler, muss das Training des Torwarttrainers eben schlecht gewesen sein. Umgekehrt wird diese Kausalität hingegen selten bemüht. Insofern dürfte es Menger gefreut haben, dass seine Arbeit am Samstagnachmittag einmal explizit gelobt wurde, und das auch noch von jemandem, der sich wirklich auskennt. Von einem Spieler von Hertha BSC nämlich.
Dieser Spieler lobte die Akribie, mit der Menger mit ihm an den Feinheiten gearbeitet hatte – und dass er wertvolle Tipps gegeben hatte, die im Alltag von großem Nutzen waren. Der Spieler war: Fabian Reese. Ein Stürmer also und kein Torhüter.
Reese hat am Samstag entscheidend dazu beigetragen, dass Hertha BSC nach 162 Tagen mal wieder ein Heimspiel gewinnen konnte. Beim 3:1-Erfolg gegen den Karlsruher SC erzielte er die ersten beiden Tore für die Berliner.
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Er ist einfach ein Unterschiedsspieler. Aus jeder Situation kann er ein Tor schießen.
Herthas Mittelfeldspieler Diego Demme über Fabian Reese
Beim 1:0 schlenzte Reese den Ball aus 15 Metern so ins Netz, dass Karlsruhes Torhüter Max Weiß nur staunend hinterherschauen konnte. Den Versuch, den Ball noch irgendwie zu erwischen, brach Weiß bereits in der Entstehung ab – weil er erkannte, dass alle Bemühungen aussichtslos sein würden. „Das war nahezu die perfekte Flugkurve“, sagte Fabian Reese.
Und da kam Andreas Menger ins Spiel. In der Vergangenheit hat Reese nach dem Mannschaftstraining oft noch mit Herthas Torwarttrainer weitergearbeitet, aufs leere Tor geschossen und dabei versucht, bestimmte Punkte anzupeilen. „Es geht viel um Technik, es geht viel um die Flugkurve, damit es schwer wird für den Torwart“, sagte Reese. Er sei Menger dankbar, „dass er das mit mir macht: Als Torwarttrainer weiß man ja auch ein bisschen, wo die Torhüter den Ball nicht so gerne hinbekommen.“
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Tore hat Reese in dieser Saison erzielt. Nur Derry Scherhant kommt auf mehr.
Nicht nur gegen den KSC, auch zuvor, beim 5:1 gegen Eintracht Braunschweig, hatte Reese den Ball dorthin geschossen, wo die gegnerischen Torhüter ihn nicht so gerne hinbekommen. In beiden Spielen war es jeweils Herthas erster Torschuss – und beide Male führte er zum 1:0 für den Berliner Fußball-Zweitligisten.
„Er ist einfach ein Unterschiedsspieler“, sagte Herthas Mittelfeldspieler Diego Demme über seinen Kollegen Reese. „Aus jeder Situation kann er ein Tor schießen.“ Als Reese gegen den KSC zum 2:0 traf, hatte er sechs der jüngsten neun Treffer seiner Mannschaft erzielt. Und obwohl er nahezu die komplette Hinserie gefehlt hat und bisher auf gerade mal sieben Startelfeinsätze kommt, ist der 27-Jährige inzwischen der zweitbeste Torschütze seines Teams. Nur Derry Scherhant (sieben) hat einen Treffer mehr auf seinem Konto.
Die schlimmste Gefahr ist erst einmal gebannt
Natürlich drängt sich da der Gedanke auf, wo Hertha stehen könnte, wenn Reese die komplette Spielzeit verfügbar gewesen wäre. „Das bringt ja nichts“, sagte Sportdirektor Benjamin Weber. Ja, in einer für Hertha idealen Welt, hätte Reese seinen Klub zurück in die Erste Liga geschossen. In der realen Welt aber trägt Reese aktuell entscheidend dazu bei, Hertha vor dem Sturz in die Dritte Liga zu bewahren.
Auch wenn die Berliner aus verständlichen Gründen den Eindruck verhindern wollen, zu früh in Triumphgeschrei auszubrechen: Die beiden Siege gegen Braunschweig und Karlsruhe haben die Gefahr des größten anzunehmenden Unfalls erst einmal gebannt. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, sollte Hertha noch einmal in ernste Schwierigkeiten geraten.
„In der Zweiten Liga ist es ganz entscheidend, nicht in Schönheit zu sterben, sondern zielorientiert das auf den Platz zu bekommen, was Punkte bringt“, sagte Reese über den jüngsten Aufschwung. „Das ist uns jetzt zweimal gelungen. Ein bisschen Polster haben wir uns verschafft.“
Reese selbst steht wie kein Zweiter für diese Zielorientierung. In seinen sieben Startelfeinsätzen ist ihm dreimal das wichtige 1:0 gelungen, einmal hat er zum zwischenzeitlichen 1:1 getroffen. Und anders als Hertha als Ganzes in dieser Saison ist Reese den Erwartungen, die nach seiner langen Verletzung in ihn gesetzt worden sind, vollauf gerecht geworden.
Fabian Reese hat hart an sich gearbeitet, um nach seiner langen Verletzungspause wieder auf Top-Niveau zu kommen.
© IMAGO/mix1/IMAGO/Daniel Lakomski
Dabei waren es Erwartungen, die er selbst als überzogen empfunden hat. Andere Spieler bekämen nach einer derart komplizierten Verletzung und der langen Pause zwei, drei Monate Zeit, um wieder zu ihrer alten Form zurückzufinden. Bei ihm habe man das bereits nach zwei, drei Wochen erwartet. „Das ist zwar ein großes Lob, aber auch sehr viel Druck“, sagte Reese.
Sportdirektor Weber sieht Herthas Offensivspieler immer noch nicht bei 100 Prozent seines eigentlichen Leistungsvermögens, „aber schon dicht dran“. Reese selbst spricht sogar nur von 85 Prozent. „Ich habe immer noch ein bisschen Pflegebedarf“, sagte er.
Die neue Position kommt Reese entgegen
Für seine Rückkehr auf das alte Leistungsniveau hat er hart gearbeitet. „Mein Geheimrezept ist, dass ich mehr tu als manch anderer“, sagte Reese. „Meine größte Fähigkeit ist mein Fleiß, meine Professionalität rund um den Fußball: dass mein ganzes Leben dem Erfolg am Wochenende untergeordnet ist. Ich musste mir viel erarbeiten. Das war immer so.“
Einer, der den Ertrag dieses Fleißes sehr gut beurteilen kann, ist Herthas neuer Trainer Stefan Leitl. In der Rückrunde der Saison 2018/19 haben beide schon einmal zusammengearbeitet, damals bei Greuther Fürth. 13 Zweitligaspiele hat Reese unter Leitl bestritten, dabei zwei Tore erzielt. „Fabian hat in den vergangenen Jahren eine unfassbar tolle Entwicklung genommen“, sagte Herthas Trainer. „Auch was den Torabschluss betrifft. Mit welcher Ruhe, mit welcher Souveränität er das macht.“
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Die neue Position in Herthas neuer Grundordnung trägt ebenfalls zu Reeses aktueller Topform bei – auch wenn ihn selbst diese Erkenntnis immer noch ein bisschen schmerzt. Tief in seinem Inneren sieht sich Reese eigentlich auf der Außenbahn. Doch diese Position gibt es im aktuellen 3-5-2-System der Berliner nicht mehr. Stattdessen bildet Reese zusammen mit Scherhant den Doppelsturm.
„Es ist eher meine B- oder C-Position“, sagte Reese. Trainer Leitl hingegen findet, dass ihm die neue Rolle entgegenkomme. Reese sei nicht mehr so sehr mit Defensivaufgaben befasst, könne sich ab und zu mal ein bisschen rausnehmen, um Kraft zu sammeln für die nächste Aktion. „Es war vielleicht zu Beginn nicht ganz seine Lieblingsposition“, gab Leitl nach dem Sieg gegen den KSC zu, „aber er hat heute gesagt, dass ich es ordentlich gemacht habe, ihn dorthin zu stellen.“