Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat sich für den schnellen Ausbau von Gaskraftwerken in Deutschland ausgesprochen. „Wir brauchen flexible Gaskraftwerke, die dann Strom liefern, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Und das brauchen wir schnell“, sagte sie auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee. Geplant sei eine Ausschreibung von mindestens 20 Gigawatt, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Als Beleg für die Dringlichkeit verwies Reiche auf den Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel Anfang des Monats. Damit der Ausbau bezahlbar bleibt, brauche es langfristige Gaslieferverträge sowie einen „Realitätscheck“ der Energiewende. Dabei solle geprüft werden, ob der Ausbau der erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren „ideal“ gewesen sei oder „beim Ausbau der erneuerbaren Energien die Systemrisiken und Systemkosten vergessen“ wurden.
Reiche kündigte an, die entstandenen Zusatzkosten offenzulegen. Dazu zählten der Netzausbau, Kosten für Netzengpässe sowie die Vorhaltung fossiler Reservekapazitäten. „Wir brauchen eine Art Monitoring und Sich-ehrlich-Machen über den Stand der Energiewende“, sagte sie.
Neubau von Gaskraftwerken im Koalitionsvertrag beschlossen
Der „technologieoffene“ Neubau von Gaskraftwerken im Umfang von 20 Gigawatt ist im Koalitionsvertrag von Union und SPD festgehalten. Bislang deckt Deutschland seinen Gasbedarf vermehrt durch Importe über LNG-Terminals. Daran will Schwarz-Rot laut Koalitionsvertrag festhalten: „Wir ermöglichen und flankieren langfristige, diversifizierte, günstige Gaslieferverträge mit internationalen Gasanbietern“, heißt es dort. Kritiker befürchten, dass darunter künftig auch wieder russisches Gas fallen könnte.
© Lea Dohle
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Der Ausbau ist grundsätzlich nicht neu – auch die vorherige Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte Gaskraftwerke in diesem Umfang vorgesehen. Allerdings schwächt die neue Koalition aus CDU, CSU und SPD die klimapolitischen Bedingungen deutlich ab. Anders als unter der Ampel geplant sollen die Kraftwerke nicht absehbar auf Wasserstoff oder Beimischungen umgestellt werden müssen. Stattdessen soll der Einsatz von CCS – der Abscheidung und Speicherung von CO₂ – ermöglicht werden. Die geplante Nutzung von CCS gilt in der Theorie als klimaschonend, ist aber mit hohen Energie- und Investitionskosten verbunden.
Darüber hinaus sollen die Gaskraftwerke nicht mehr nur in sogenannten Dunkelflauten einspringen, wenn Wind- und Solarstrom ausbleiben. Vielmehr heißt es im Koalitionsvertrag: „Ein größeres Energieangebot dient der Stabilisierung und Reduzierung der Stromkosten. Dazu sollen künftig Reservekraftwerke nicht nur zur Vermeidung von Versorgungsengpässen, sondern auch zur Stabilisierung des Strompreises zum Einsatz kommen.“
Damit ändert sich die angedachte Rolle von Gaskraftwerken grundlegend: Sie sollen nicht nur als Reserve vorgehalten, sondern auch künftig aktiv zur Stromerzeugung eingesetzt werden. In der Vergangenheit kam es jedoch gerade deshalb zu starken Preisanstiegen, weil in großem Umfang Erdgas verstromt wurde.
Keine Rückkehr zur Atomkraft
Zur Entlastung der Industrie forderte Reiche eine Senkung von Stromsteuer und Gasspeicherumlage sowie einen europäischen Industriestrompreis. Eine Rückkehr zur Kernkraft lehnte sie ab. Der Ausstieg sei vollzogen, ein Wiedereinstieg angesichts fehlenden Vertrauens und fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz nicht realistisch. Im Wahlkampf hatte die Union die Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke im April 2023 noch als „Fehlentscheidung“ bezeichnet und eine Prüfung ihrer Wiederinbetriebnahme angekündigt.
Zugleich sprach sich Reiche für neue Freihandelsabkommen aus.
Deutschland brauche Handelsverträge mit Staaten wie Chile, Indien,
Australien und Mexiko – sowie ausdrücklich auch mit den USA.
Abschaffung des „Heizungsgesetzes“ angekündigt
Von Bedeutung dürfte auch die Zukunft des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) sein. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen.“ Der Begriff „Heizungsgesetz“ bezieht sich umgangssprachlich auf die Novelle des GEG, die unter Leitung des früheren Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) erarbeitet wurde und im Januar 2024 in Kraft trat.
Mit dem weiteren Anstieg des CO₂-Preises werden die Kosten für fossiles Heizen künftig deutlich ansteigen. Der Expertenrat für Klimafragen warnte aus diesem Grund zu Jahresbeginn davor, den unter der Ampelregierung geförderten Umstieg des Gebäudesektors rückgängig zu machen.
Fridays for Future planen Proteste
Die Klimabewegung Fridays for Future warf der neuen Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Untätigkeit
beim Klimaschutz vor und kündigte zahlreiche Protestaktionen
an. Es gebe einen Koalitionsvertrag, „der von fossilen Projekten nur so
wimmelt“, sagte Sprecherin Carla Reemtsma vor dem Bundeskanzleramt
in Berlin. Man bekomme das Gefühl, „diese Koalition hätte auf einem völlig anderen
Planeten verhandelt“, sagte sie. Die Regierung befinde sich im „schieren Gasrausch“, sagte Franziska Wild von Fridays for Future Bayern.
Die Bundesregierung
habe die Aufgabe, das Land durch die „heißeste Legislaturperiode der
Geschichte zu führen“, sagte Klimaaktivistin Luisa Neubauer. In den
ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit müsse die Regierung zahlreiche
Vorhaben beschließen und umsetzen, um der Erderwärmung entgegenzuwirken.
In diesem Zeitraum werde es 100 Protestaktionen in ganz Deutschland
geben, kündigte Neubauer an.
Vor ihrer Ernennung zur Wirtschaftsministerin war Reiche Chefin der E.on-Tochter Westenergie, bei dem schwedischen Energieunternehmen Ingrid Capacity saß sie im Aufsichtsrat. Von 1998 bis 2015 war Reiche Mitglied des Bundestags. Die Diplomchemikerin wechselte 2015 zur Hauptgeschäftsführerin des Verbands kommunaler Unternehmen, der viele Stadtwerke vertritt. Ihr Wechsel löste damals eine Debatte aus, ob es eine Übergangszeit für Abgeordnete geben sollte, die in die Wirtschaft wechseln.
Im Juni 2020 übernahm Reiche den Vorsitz im Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung.