Friedrich Merz muss in Brüssel zuerst einmal einige Dinge zurechtrücken. Die verstärkten Grenzkontrollen seien kein deutscher Alleingang, betonte der neue Kanzler zu Beginn seines Antrittsbesuches bei der Europäischen Union.
Auch wenn Deutschland Menschen zurückweise, arbeite man dennoch im Einklang mit europäischem Recht.
Danach wirkte er etwas genervt, als er noch Presseberichte dementieren musste. In der Bundesregierung habe niemand eine „nationale Notlage“ ausgerufen, „auch ich persönlich nicht“.
Holpriger Start
Dieser Einstieg zeigt, dass die neue Bundesregierung am dritten Tag der Regierungsübernahme vor allem mit diplomatischem Krisenmanagement beschäftigt war.
Der Grund: Die von Berlin angekündigten Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylbewerbern sind aus Sicht von Kritikern vermutlich nicht mit EU-Recht vereinbar und zudem eine Gefahr für den eigentlich grenzkontrollfreien EU-Binnenmarkt.
Die Stimmung bei der Merz-Visite in Brüssel war wegen des ungeschickten Vorpreschens in Sachen Asyl zwar etwas eingetrübt, dennoch war der Empfang überaus herzlich.
Brüssel hofft auf aktiveres Deutschland
In der Europäischen Union hatten viele den Wechsel im Kanzleramt geradezu herbeigesehnt. Denn der nun ehemalige Kanzler Olaf Scholz (SPD) blockierte mit seiner Passivität manche EU-Vorhaben.
Sein Nachfolger hatte schon bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags zwischen Union und SPD angekündigt, mit seiner Regierung dafür zu sorgen, dass Deutschlands „Stimme in Europa und in der Welt“ wieder gehört wird.
Friedrich Merz mit Antonio Costa, der Portugiese ist Präsident des Europäischen Rates.
© REUTERS/Piroschka Van De Wouw
Damit hatte er in Brüssel gepunktet und die bereits sehr hohen Erwartungen an den ehemaligen Europaparlamentarier Merz noch einmal gesteigert.
Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erklärte bei der gemeinsamen Pressekonferenz, dass sie den frühen Besuch des Kanzlers in Brüssel so verstehe, dass Europapolitik nun wieder „Chefsache“ sei.
Merz stellt Forderungen
Friedrich Merz nutzte die Gelegenheit seiner Visite allerdings nicht nur zum Kennenlernen, sondern auch, um einige Forderungen an die EU zu formulieren.
So kritisierte er die europäische Lieferkettenrichtlinie und forderte auf, sie abzuschaffen. „Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben. Ich erwarte auch von der Europäischen Union, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie wirklich aufhebt“, sagte der CDU-Politiker zu Ursula von der Leyen.
Er begrüße, dass die EU-Kommission systematisch Bürokratie abbauen wolle. Das werde die deutsche Bundesregierung unterstützen. „Wir werden auch Vorschläge machen, wie wir darüber hinausgehen können“, so Merz.
Schärferer Kurs gegenüber Russland
Deutlich beim Besuch des Bundeskanzlers wurde auch, dass sich der Kurs der EU und auch der USA gegenüber Russland verschärfen wird. In diesem Zusammenhang konnte Merz von einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump berichten, das er am Donnerstag geführt hatte.
Auch mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte ist der neue Bundeskanzler in Brüssel zusammengekommen.
© AFP/JOHN THYS
Im Nato-Hauptquartier erklärte Merz bei einer Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte, dass er Trump bei dessen Plan einer längeren Waffenruhe in der Ukraine unterstütze.
Es gebe eine Chance, „über dieses Wochenende hinaus zu einem 30-Tage-Waffenstillstand zu kommen“, betonte Merz.
Das sei der Testfall „für die Ernsthaftigkeit und für den Willen des russischen Präsidenten“ Wladimir Putin, ob er wirklich an einem Frieden interessiert sei.
Der Ball liegt jetzt in Moskau, nirgendwo anders.
Friedrich Merz bei der Pressekonferenz mit dem Nato-Generalsekretär
„Wenn dies nicht geschieht, werden wir nicht zögern, zusammen mit unseren europäischen Partnern und den Vereinigten Staaten von Amerika den Sanktionsdruck weiter zu erhöhen“, betonte der Kanzler in Brüssel. „Der Ball liegt jetzt in Moskau, nirgendwo anders.“
Optimistisch beim Blick auf die USA
Was die zukünftige Zusammenarbeit Europas mit den USA angeht, zeigte sich Friedrich Merz in Brüssel überraschend optimistisch. Noch im Februar hatte er nach der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt, der US-Regierung sei „das Schicksal Europas weitgehend gleichgültig“.
In Brüssel zeigte Merz sich nun nach seinem Telefonat mit Donald Trump erfreut, dass die Haltung der US-Regierung sich „offensichtlich verändert“ habe.
Washington erkenne an, „dass wir unsere Bemühungen erheblich ausweiten“. Dazu zählt auch, dass Europa seine Verteidigungsausgaben stark erhöht.
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Auffallend bei seinen Auftritten bei der EU und der Nato war, dass Friedrich Merz bei seinen Vorschlägen immer wieder die engen Absprachen mit den Partnern in beiden Organisationen hervorhob.
Von alleinigem Vorpreschen war keine Rede mehr. Der neue Kanzler scheint nach seinem ersten Stolpern im Amt die entsprechenden Schlüsse gezogen zu haben.