WERBUNG
Er war noch nie dort, aber Joachim Streit liebt Kanada. „Für mich ist es ein Traum von Freiheit und einem besseren Amerika“, sagte der Europaabgeordnete der liberalen Fraktion Renew gegenüber Euronews. „Ein Traum der Auswanderer, den viele andere gelebt haben.“
Streit liebt Kanada sogar so sehr, dass er das Land gerne in die Europäische Union aufnehmen würde. Klingt nach einem politischen Scherz, hat sich aber zu einer halbwegs ernsthaften Debatte entwickelt. Schuld daran: der Spott von US-Präsident Donald Trump, der Kanada zum 51sten Bundesstaat der USA machen will.
Den Plan von Trump wollen sich die Kanadier nicht bieten lassen. Mitte März brach Kanadas neuer Premierminister Mark Carney mit einer langen Tradition: Seine erste Auslandsreise im neuen Amt machte er, nein, nicht in die USA, sondern nach Paris. Kanada sei „das europäischste aller außereuropäischen Länder“, sagte Carney und spielte damit auf die französischen und britischen Wurzeln seines Landes an.
Fast die Hälfte der Kanadier für EU-Beitritt
Carney sprach damit vielen Kanadiern aus der Seele, denn laut Umfragen von Ende Februar befürworten 46 % der Bürger einen Beitritt Kanadas zur EU.
Einige in Brüssel fühlen sich nun ermutigt, mehr zu fordern, und Joachim Streit ist einer davon. Und so brachte er das Thema auch politisch vor die Europäische Kommission. In den sozialen Medien wurde da bereits fleißig diskutiert und viele in der Netzgemeinde befürworteten einen Anschluss des flächenmäßig zweitgrößten Landes der Erde an die EU.
Kanada und die EU – geht da was?
Brüssel fühlte sich bereits gezwungen zu reagieren. In einem Briefing im März verwies eine Sprecherin der Kommission auf Artikel 49 des Vertrags der Europäischen Union. Darin ist festgelegt, dass „jeder europäische Staat … einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen kann“ – mit anderen Worten: NUR europäische Staaten.
Und doch stellte Streit eine parlamentarischen Anfrage an die Kommission. Darin betonte er die dauerhaften Vorteile einer kanadischen Mitgliedschaft für die EU. Sie würde „ihren Binnenmarkt erweitern, Absatzmöglichkeiten schaffen, den Austausch von Waren und Dienstleistungen erleichtern und besser in der Lage sein, sich gegen drohende Zölle und globale Sicherheitsrisiken zu wehren.“ Streit fragte: Würde die Kommission eine rechtliche Überarbeitung von Artikel 49 vorschlagen, um eine kanadische Mitgliedschaft zu ermöglichen? Auf eine Antwort wartet er noch.
Der Begriff „europäischer Staat“ könnte rechtlich flexibel“ sein, sagte Streit gegenüber Euronews. Wie das Beispiel des EU-Mitglieds Zypern zeige. Denn technisch gesehen sei der Inselstaat südlich von Griechenland ein westasiatischer Staat, so Streit.
Und er führt noch weitere Gründe an: Es gebe französische und niederländische Territorien in der Karibik, spanische und portugiesische Inseln im Atlantik und Grönland, eine autonome Region des Königreichs Dänemark – und alle seien Teil der Europäischen Union.
Nur im Winter: Grönland und Kanada haben gemeinsame Grenze
Außerdem hätten Grönland und Kanada sogar eine gemeinsame Landgrenze zwischen Ellesmere Island und der nordwestlichsten Spitze Grönlands, die im Winter, wenn das Meereis fest gefroren ist, eine Landbrücke bildet, so Streit weiter. Kanda und die EU seien also direkte Nachbarn.
„Manchmal öffnen sich in der Geschichte Türen und schließen sich dann wieder. Und manchmal sind die Türen nur für einen kurzen Moment offen“, sagte Streit in einer Ausschussanhörung im Europäischen Parlament Anfang April.
„Politischer Erasmus-Rahmen“
Ende April schrieb Streit einen Brief an die beiden EU-Kommissare Roxana Minzatu und Ekaterina Zaharieva, die für soziale Rechte bzw. Forschung zuständig sind, und forderte sie auf, „einen Rahmen für den akademischen und beruflichen Austausch“ zwischen Kanada und der EU zu schaffen.
„Dies würde es den EU-Beamten ermöglichen, die Besonderheiten Kanadas besser kennenzulernen, und gleichzeitig könnten kanadische Beamte in den EU-Institutionen lernen, wie EU-Politik gemacht wird“, schrieb Streit in dem Brief, der Euronews vorliegt. Er nennt es einen „politischen Erasmus“-Rahmen.
Eine solche Initiative könnte ein Sprungbrett für Kanadas EU-Mitgliedschaft sein, hofft Streit. Wenn schon keine Vollmitgliedschaft, so doch zumindest eine enge Beziehung wie mit der Schweiz oder Norwegen.
„Schließlich sind wir Menschen gleicher Art mit den gleichen Werten. Wo sonst finden wir das?“