Barbi Marković, eine der spannendsten Autorinnen Wiens, hat sich an eine Poetikvorlesung gewagt. Warum Geniedruck kontraproduktiv ist – und sich Diebstahl in der Literatur oft lohnt.

Ihr neues Buch, „Stehlen, Schimpfen, Spielen“, ist das Produkt einer ehrwürdigen Literaturinstitution: der Poetikvorlesung. Was ist Ihr Bezug dazu?

Barbi Marković: Wer Literatur studiert, stolpert unweigerlich darüber. Aus der „Poetik“ von Aristoteles erfährt man, dass es darum geht, zu lehren, wie man schreiben soll. Wobei heutige Poetikvorlesungen nicht den Anspruch erheben, den „richtigen“ Zugang zu haben.

Welche Poetik liegt Ihnen am Herzen?

Ich finde, dass Kurt Vonnegut sehr schön über das eigene Schreiben geschrieben hat, auch wenn das eher Essays sind als Vorlesungen. Mich berührt, wie er vermittelt, dass Schreiben die Menschen erheben kann. Dabei bleibt er immer witzig, wird nie überheblich.

Haben Sie eine klare Vorstellung davon, wie und warum Sie schreiben?

Ich mache mir ständig Gedanken darüber, bei jedem Buch. Welches Material verwende ich, wie komme ich dazu, welche Regeln stelle ich mir auf? Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, wie ein Text aussehen kann, und man muss sich für ein paar davon entscheiden.

Wie war das beim aktuellen Buch?

Die Regel war, dass es eine „Notfallpoetik“ werden soll. Das heißt, dass alles hineinkommt – auch das, was auf den ersten Blick nicht hineingehört. Das kam auch vom Zeitdruck. Deswegen habe ich z. B. auch über eine Diskusverletzung geschrieben, die ich während der Arbeit an der Vorlesung hatte.

»Es ist immer ein Abwägen: Wo ende ich, wo fängt das Andere an?«

Barbi Marković

Standen die drei zentralen Schreibstrategien aus dem Titel vorneweg fest?

Das sind einfach drei Grundprinzipien meines Schreibens. Außerdem ergeben sie zusammen eine schöne Alliteration. Da musste ich nicht viel nachdenken.

Ist „Stehlen“ wirklich ernst gemeint? Wer Versatzstücke aus fremden Werken nutzt, ist nicht gleich ein Dieb.

Mein Thomas-Bernhard-Remix „Ausgehen“ hat Grenzen ausgelotet, inwieweit man sich ein Buch aneignen kann, ohne den eigenen Ausdruck zu verlieren. Da habe ich wirklich jeden Satz aus „Gehen“ genommen und nur einzelne Variablen geändert. Insofern kann man schon sagen, dass ich Bernhards Sprache und Melodie „gestohlen“ habe. Aber natürlich gab es immer schon Diskussionen darüber, wie viel man aus anderen Texten verwenden darf. Es ist immer ein Abwägen: Wo ende ich, wo fängt das Andere an?

In anderen Kultursparten ist das selbstverständlich, siehe Coverversionen im Pop. Warum nicht in der Literatur?

Weil hier immer noch der Geniedruck wirkt, dass jeder einen ganz eigenen Ausdruck aus dem Nichts zaubern muss. Natürlich wissen alle, dass das gar nicht möglich ist, aber viele finden diesen Umstand nicht erwähnenswert.

Was haben Sie noch so „gestohlen“?

In „Minihorror“ habe ich ein Konzept aus einem Workshop von Donna Haraway geklaut. Da werden Menschen genetisch mit einem Tier vermischt, das habe ich anders nacherzählt. Die Sprache habe ich aber nicht übernommen, da war ich eher unzufrieden mit der Ausführung. Und in meine Poetikvorlesung habe ich Prüfungsfragen eingebaut, diese Idee stammt aus „Robotka“ von Dragana Mladenović.

Sie haben die Vorlesung 2024 gehalten, an der Paris-Lodron-Universität in Salzburg. Haben Sie die Prüfungsfragen damals auch dem Publikum gestellt?

Ja, aber niemand hat geantwortet. Es war doch eher Frontalunterricht.

„Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, wie ein Text aussehen kann, und man muss sich für ein paar davon entscheiden“: Barbi Marković, Schriftstellerin.

„Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, wie ein Text aussehen kann, und man muss sich für ein paar davon entscheiden“: Barbi Marković, Schriftstellerin. Carolina Frank

Einer Ihrer Schreibtipps ist inspiriert von der Ordnungsberaterin Marie Kondo: „If it doesn’t spark joy – weg damit.“ Machen Kürzungen und Überarbeitungen jeden Text besser?

Bei mir ist das eine Notwendigkeit – alleine schon, weil Deutsch meine Zweitsprache ist, die ich erst im Alltag nutze, seit ich 25 bin. Ohne Korrektur geht da nichts. Aber ich war früher auch als Lektorin in einem Verlag tätig und habe diese Tätigkeit geliebt, weil ich gesehen habe, wie viel man aus einem Text herausholen kann, wenn man Längen entfernt. Ich bin als Leserin sehr leicht zu langweilen, daher streiche ich gern.

Streichungen können auch verzerren.

Ich glaube, es geht um die Qualität der Zusammenarbeit. Mein Lektor ist auch mein Mann, ich habe also einen Erstleser zu Hause, dem ich vertraue. Und auch bei Rowohlt sitzt derzeit eine tolle Lektorin. Das sind Leute, deren Korrekturvorschläge ich gerne annehme. Und wenn nicht, dann streiten wir.

Einmal waren Sie für ein Projekt Teil eines Schreibkollektivs mit Stefanie Sargnagel und anderen Autorinnen. Haben Sie sich gegenseitig lektoriert?

Wir waren damals auf Reise und haben dauernd geredet. Aber beim Schreiben wollten wir uns nicht einmischen, dafür hatten wir zu viel Respekt voreinander. Von Steffi Sargnagel habe ich mir übrigens auch etwas abgeschaut: Einen Feminismus, der eine Machtposition einnimmt, anstatt von unten zu klagen.

Wie fühlen Sie sich beim Schreiben?

Ich rege mich oft auf, steigere mich komplett hinein. Eine Zeit lang hatte ich eine Sportuhr und konnte sehen, wie mein Stresslevel steigt. Aber es gibt auch eine innere Stimme, die sagt: „Hihihi, das könnte ich jetzt auch noch schreiben!“ Es ist ein Krampf, der Spaß macht.

Ihre Figuren schwanken oft zwischen Ohnmacht und Größenwahn. Warum?

Mir war das schon bei „Ausgehen“ vertraut. Damals habe ich meiner Mutter einen inbrünstigen Vortrag darüber gehalten, wie revolutionär meine Idee ist, Bernhard zu remixen. Die Amplitude zwischen Höhen und Tiefen gibt es ja bei vielen Autoren: John Fante, Knut Hamsun. Ich finde das zum Teil sehr lustig, aber die Ohnmacht ist auch eine Art von Schutzpessimismus: Wer nicht zu viel hofft, wird auch nicht enttäuscht.

Sie sind in Belgrad aufgewachsen. Verfolgen Sie die aktuellen Proteste dort?

Ja, und ich finde sie sehr klug organisiert. Die Protestierenden sind unangreifbar, weil es keine Anführer gibt, alles wird im Plenum entschieden. Jetzt wollen sie Kandidaten für Parlamentswahlen vorschlagen. Natürlich reagiert die Regierung mit Repressionen, aber ich glaube, dass sie einen Weg finden.

Steckbrief

Barbi Marković wurde 1980 in Belgrad geboren. Seit 2006 lebt sie in Wien.

Ihr Debüt, „Ausgehen“, transferiert Thomas Bernhards „Gehen“ in die Clubszene Belgrads.

2024 wurde Markovićs Kurzgeschichtenband „Minihorror“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

Am 13. Mai erscheint der Text „Stehlen, Schimpfen, Spielen“ bei Rowohlt. Er basiert auf einer Poetikvorlesung, die Marković an der Paris-Lodron-Universi­tät Salzburg gehalten hat.

Am 3. Juni feiert Markovićs Stück „Deadly Poodles“ am Landestheater Linz Premiere.

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