Eurovision Song Contest

Französin Louane: «Ich möchte, dass meine Mutter diese Botschaft hört»

«Maman» war ein Lied der Trauer. Jetzt macht Louane es zu einem Lied der Hoffnung – und singt es für Frankreich am ESC. Ein Gespräch über Schmerz, Stolz und einen Auftritt, der drei Generationen verbindet.

Sie habe nicht vorgehabt, am ESC aufzutreten, sondern sei angefragt worden, erklärt Louane in der Lobby ihres Basler Hotels. Sie habe nicht vorgehabt, am ESC aufzutreten, sondern sei angefragt worden, erklärt Louane in der Lobby ihres Basler Hotels.

Bild: Roland Schmid

Als Louane Ende 2015 ihre Ballade «Maman» veröffentlichte, war die damals 19-Jährige gerade erst Vollwaise geworden: Ihre beiden Eltern waren kurz nacheinander gestorben. Sieben Alben und zehn Jahre später nimmt die französische Musikerin mit einer gänzlich neuen Fassung des Songs am ESC teil. Eine Teilnahme sei nie ein Traum von ihr gewesen, gesteht sie der bz beim Gespräch in ihrem Basler Hotel. Vielmehr habe die französische Delegation sie eingeladen, am ESC teilzunehmen.

Dein Songdebüt in Frankreich war spektakulär: Vor 80’000 Menschen schwebtest du in einem Stadion zwölf Meter über dem Boden. Kann dich der ESC überhaupt noch nervös machen?

Oh ja, definitiv. Der ESC ist eine völlig andere Erfahrung – und wahnsinnig nervenaufreibend. Heute Morgen musste ich nach den Proben sogar weinen. Der ESC ist unglaublich fordernd, in emotionaler Hinsicht weit mehr als in körperlicher. Der Auftritt im Stadion war ein Konzert, der ESC ist ein Wettbewerb – das löst ganz andere Gefühle aus.

Louane im Interview mit der bz.

Video: Florian Oegerli / Nora Hoffmann

Dein Song ist sehr persönlich – er erzählt vom Tod deiner Mutter und deiner eigenen Mutterschaft. Gleichzeitig stehst du damit für dein Land im Wettbewerb. Wie gehst du mit diesem Widerspruch um?

Für mich sind das zwei völlig verschiedene Ebenen. Emotional ist das für mich nicht schwer – ich schrieb schon immer sehr persönliche Songs, über meine tiefsten Gedanken und Gefühle. Ich bin es gewohnt, auch über sehr schmerzhafte Dinge zu singen. Zumal «Maman» kein trauriger Song ist, sondern ein hoffnungsvoller. Seine Botschaft lautet: Ganz egal, was du durchmachst – du wirst es überstehen. Vor Gefühlen habe ich keine Angst. Vor dem Wettbewerb schon, zumindest ein bisschen. Aber das ist normal – hoffe ich zumindest.

Louane präsentierte ihren Song erstmals während eines Rugbyspiels.

Quelle: Youtube

Du hast «Maman» bereits 2015 veröffentlicht und nun komplett umgeschrieben. An wen richtet sich der neue Song: an deine verstorbene Mutter, an dich selbst oder an deine fünfjährige Tochter?

Für mich ist das mehr als nur eine Version – es ist ein neuer, ganz anderer Song. Die einzige Gemeinsamkeit mit dem früheren Werk ist das Thema: ein Gespräch mit meiner Mutter. Die einzige Botschaft, die ich wirklich an sie richten möchte, ist diejenige aus dem aktuellen Song, eine Botschaft der Hoffnung. Der Song richtet sich zu gleichen Teilen an meine Mutter und meine Tochter. An mich selbst richtet er sich nicht – ich habe diese Themen inzwischen verarbeitet.

Du hast die alte Version von «Maman» von allen Streamingplattformen entfernen lassen. Warum? Wäre es nicht interessant, den alten Song als Teil deiner künstlerischen Entwicklung verfügbar zu halten?

Mag sein, dass der alte Song zu meiner künstlerischen Entwicklung gehört. Vor allem aber ist er Teil meines Lebens. Die damalige Zeit war für mich schmerzhaft – zu schmerzhaft. Deswegen möchte ich nicht, dass der Song weiter Teil meines Schaffens bleibt. Ich habe schon vor Jahren aufgehört, ihn zu singen, weil mir das zu fest wehtat. Ich glaube, dass meine Mutter an einem Ort ist, an dem sie Frieden gefunden hat. Und ich möchte, dass sie jetzt nur noch eine Botschaft von mir hört: nämlich, dass es mir gut geht und sie stolz auf mich sein kann. Mag sein, dass das egoistisch wirkt. Aber das ist mein persönlicher Weg und meine Entscheidung.

Louane posiert bei der ESC-Eröffnungszeremonie am 11. Mai vor dem Basler Rathaus. Louane posiert bei der ESC-Eröffnungszeremonie am 11. Mai vor dem Basler Rathaus.

Bild: Peter Schneider

Dein Song ist ruhig, fast intim – trotzdem giltst du damit bei den Buchmachern als Favoritin. Wie erklärst du dir die Resonanz des Songs?

Genau weiss ich es nicht. Aber ich glaube, es gibt zwei zentrale Botschaften. Die erste ist universell, weil sie von Mutterschaft handelt. Das ist ein Thema, mit dem sich viele identifizieren können. Zweitens geht es um Heilung: Wir alle müssen im Leben früher oder später einen Weg finden, unsere Wunden zu heilen – egal, ob es wie in meinem Fall um den frühen Tod beider Eltern geht oder etwas anderes. Das ist für mich die Kernbotschaft. Dieses Lied richtet sich an jene Menschen, die wir lieben, um ihnen zu sagen: Es war sehr schwer für mich – aber jetzt geht es mir endlich wieder besser.

Es gehe ihr viel besser als vor zehn Jahren, erzählt Louane beim Gespräch im Basler Hotel. Es gehe ihr viel besser als vor zehn Jahren, erzählt Louane beim Gespräch im Basler Hotel.

Bild: Roland Schmid / AUE

Wie hat das Mutterwerden deinen Blick auf deine eigene Musik und die Welt verändert?

In meiner Musik hat sich nicht viel verändert, ausser, dass ich jetzt ab und zu über meine Tochter singe. In meinem Leben dagegen hat sich einfach alles verändert. Wenn man ein Kind zur Welt bringt, es zum ersten Mal in Händen hält – das ist unbeschreiblich. Eine emotionale Achterbahnfahrt: Da ist viel Liebe, ganz viel Freude – aber auch Angst, weil plötzlich alles möglich scheint. Mutter zu sein – oder generell Eltern zu werden –, ist überwältigend. Die Geburt meiner Tochter ist das unglaublichste Ereignis meines Lebens. Meine Tochter ist meine Sonne.

Dein Auftritt wurde von Fredrik Rydman entworfen, der letztes Jahr Nemos Auftritt betreut hat. Wie war die Zusammenarbeit?

Fantastisch. Er ist ein Genie. Für das allererste Treffen hat er mich zu Hause besucht – und im Verlauf des Gesprächs sofort eine klare Vision für die Show entwickelt. Danach haben wir ständig in Schweden und Frankreich geprobt. Sand spielt bei der Show eine sehr grosse Rolle: Ich stehe in einer Sanduhr. Auf diese Weise möchte ich das Thema Zeit sichtbar machen.

Louane bei den Proben zu ihrem Auftritt. Louane bei den Proben zu ihrem Auftritt.

Bild: EBU/Sarah Louise Bennett

Ein ESC-Sieg wäre ein besonderer Moment – für dich, aber auch für deine Familie. Was würde er euch bedeuten?

Es wäre das schönste Geschenk, um meine verstorbene Mutter zu ehren. Und es wäre ein Weg, meinem Land zu danken. Meine Eltern waren keine Franzosen – mein Vater war Pole und Deutscher, meine Mutter Portugiesin und Brasilianerin. Ihre Familien sind nach Frankreich gekommen. Und ich bin dort aufgewachsen, in einem wunderbaren Land. Ein Sieg wäre meine Art zu sagen: Danke, dass ihr uns aufgenommen habt. Und was meine Familie angeht: Die wären einfach unfassbar stolz. Meine Schwester würde komplett ausflippen.

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