Seit April ist im H1 die Schau »So What!« mit den fesselnden Arbeiten von Susanne Junker zu sehen. Die im Landkreis Augsburg geborene Künstlerin lebt heute in Paris. Ein Interview

a3kultur: Susanne Junker, Sie sind Konzeptkünstlerin und Fotografin und haben als junge Frau Karriere als Model gemacht. War Kunstmachen für Sie ein Ventil, um mit dem Job vor der Kamera klarzukommen?

Susanne Junker: Ich empfinde, dass diese Modelzeit von 1989 bis 2001 eigentlich die absolute Basis meiner Arbeit ist. Und das Lustige ist, dass ich das lange Zeit verschwiegen habe. Ich bin keine studierte Künstlerin. Ich war nie auf der Kunsthochschule. Ich habe nicht diesen klassischen Weg eingeschlagen. Warum ich die Arbeiten heute mache, basiert eben auf meiner Zeit als Model. Während dieser Zeit selbst kreativ tätig gewesen zu sein, fühlte sich richtig und wichtig an, es war ein Ausgleich zum Modelalltag.

Sie bedauern es also nicht, mit 16 Jahren auf dem Laufsteg gelandet zu sein?

Ich war sehr jung, und das war toll. Ein Traum ging in Erfüllung. Aber es gab dann diesen einen Punkt, wo ich wusste, jetzt hat sich der Blick umgedreht. Nun bin ich mein eigenes Objekt und die Autorin meiner Arbeit.

Das sind sehr intime Arbeiten, die Sie hier zeigen. Die Besucher*innen im H1 nehmen sich Zeit für Ihre Texte. Viele dieser Einträge sind sehr persönlich, sehr offen und sehr brutal in ihrer Massivität. Sie handeln zum Beispiel von Belästigungen am Arbeitsplatz. Aber eben nicht nur durch Männer, Sie berichten auch von übergriffigen Frauen. Sind Sie damals etwas naiv an den Job herangegangen?

Völlig naiv. Ich war Realschülerin in Schwabmünchen und begeisterte Modezeitschriftenleserin. Mein ganzes Taschengeld ging dafür drauf. Und dann ist mir das absolut Verrückte passiert: 1989 wurde ich Dritte in einem Modelwettbewerb der Zeitschrift »Miss Vogue«. Das war ein paar Monate vor der Realschulabschlussprüfung. Ich war damals bereits für die Fachoberschule eingeschrieben.

Welcher Zweig? Kunst? 

Natürlich. Meine Eltern haben mir dann tatsächlich erlaubt, das Modeln mal für ein Jahr zu probieren. Schließlich sind zwölf Jahre daraus geworden. Mit 16 ist man noch nicht erwachsen, ich kam vom Land, ich konnte kaum Englisch. Es brach alles auf mich ein, als wäre ich in einer Fernsehserie und würde mir selbst zuschauen. Ich empfand es aber als schön, vor der Kamera zu stehen, nur alles andere war schwierig. Mit dem Fotografen ein schönes Bild zu kreieren, das war eben genau der Moment, für den sich alles gelohnt hat.

Haben Sie auch Kontakt zu Kolleg*innen aus der gegenwärtigen Modelszene? 

Ja, einige der Zitate, die hier zu finden sind, stammen nicht aus den 1990er-Jahren, sondern von Modelkol-leginnen von heute. Seit drei Jahren beschäftige ich mich mit dieser Art von Texten, die eigentlich auch ohne Fotos funktionieren. Speziell für diese Ausstellung habe ich Fotos mit solchen Textfetzen, wie ich das nenne, bestückt.

Sie verwenden dafür in Teilen eigene Tagebucheintragungen, greifen aber auch auf Erinnerungen Dritter zurück. Wollten Sie sich damit des selbst Erlebten vergewissern? 

Ich habe mich mit früheren Kolleginnen getroffen und sie gefragt, wie diese Zeit für sie war. Alle bestätigten, dass Belästigungen stattfanden, ohne dass man sich größere Gedanken darüber gemacht hätte. »Es war halt so«, hörte ich immer wieder, und ich kann das nur bestätigen.

Die Texte lassen an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig, nicht zuletzt die von Ihnen verwendeten Posts. Waren das an Sie persönlich adressierte Nachrichten? 

Sie entstammen einer Recherche, die zu Teilen persönliche Bezüge hat, aber auch Erfahrungen von anderen Frauen einbezog. Wenn ich recherchiere, dann begebe ich mich oft ziemlich tief in Abgründe hinein.  

Bekommen Sie eigentlich auch freundliche Post?

Jede Kritik hat etwas für sich. Oft liest man: Sie sind aber mutig, sich so bloßzustellen. Dabei bin ich von mir lediglich distanziert. Aber trotzdem ist es wichtig, dass ich das bin, die in den Arbeiten zu sehen ist. Obwohl es nicht um mich geht, sondern ich meinen Körper lediglich als Projektionsfläche nutze. Deswegen hängt in dieser Ausstellung auch ziemlich viel Text, der einen guten Zugang zu den Arbeiten ermöglicht. Es war mir extrem wichtig, sie für das Publikum nahbar zu machen, das habe ich kuratorisch ganz oben angesetzt und verteidigt.

Publizieren Sie denn auch längere Texte?

Mit dieser Ausstellung war ich ziemlich beschäftigt. Dadurch wurde ich tatsächlich aus der Arbeit an einem Manuskript herausgerissen, das jetzt auf meinem Schreibtisch liegt und auf mich wartet: ein Manuskript, das auch ohne Fotos funktioniert. Ich glaube, dass die Fotografie für mich ein großer Vorwand dafür war, erst einmal nicht zu schreiben, ich habe wahnsinnigen Respekt vor Texten. Dann passierte aber so viel Text, dass ich mich jetzt auch von der Fotoarbeit distanzieren kann.

Lässt ein Foto nicht mehr Spielraum für Interpretationen als ein Text?

Das kann man so nicht sagen. Sexualisierte Sprache zum Beispiel kann entweder von allen Beteiligten so gewollt oder reine Belästigung sein. Das lässt sich eben nicht eindeutig festlegen.

Es ist zuweilen schwer, in die Kommunikation zu gehen. Dennoch bietet uns die Kunst Möglichkeiten, Positionen zu vertreten und damit eine Verbindung herzustellen und Zugänge zu schaffen. Dazu kommt, dass das Vertrauen in Museen in unserer Gesellschaft extrem hoch ist.

Und so wird dann Gesellschaftskritisches samt dieser »Bubble-Vermischung« in einem Museum gezeigt. Wow, was für eine Verantwortung habe ich mir da selbst auferlegt.