Lüneburg. Benjamin Maack ist in Bardowick aufgewachsen, in Lüneburg zur Schule gegangen und arbeitet als Journalist in Hamburg. 2020 bringt er ein Buch heraus mit dem Titel „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“. Der 47-Jährige beschreibt darin schonungslos offen seine Depressionskrankheit. Angefangen von seinem Nervenzusammenbruch, über Klinikaufenthalte bis hin zu seinem emotionalen Balanceakt aus Hoffnung und Verzweiflung. Am 23. Mai liest er im Mosaique in Lüneburg. Der Abend verspricht, mehr als eine Lesung zu werden.
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Herr Maack, wie geht es Ihnen?
Benjamin Maack: „Das ist direkt eine komplizierte Frage. Aber ich beginne langsam, mich daran zu gewöhnen, dass mein Leben bzw. mein Kopf kompliziert ist wie fast immer. Ich nehme das aber als Herausforderung: Es ist kompliziert, aber es ist auch interessant.“
Was ist kompliziert in Ihrem Kopf?
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Maack: „Wir neigen dazu zu sagen, ‚normal zu sein im Kopf’. Wobei ‚normal‘ in jedem Kopf anders ist und wir alle unterschiedliche Herausforderungen haben. Deswegen kann ich gar nichts dazu sagen, was normal ist. Es gibt im Leben relativ einfache Herausforderungen wie arbeiten gehen, Kinder haben, Haus bauen, eine Beziehung führen. Alles Dinge, die man von außen sieht, die auch in Geschichten erzählt werden, wie im Fernsehen und in Büchern. Ich habe immer gedacht, dass ich das auch wollen oder können möchte. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich manches davon nicht so gut kann, weil mein Kopf komisch ist. Ich versuche jeden Tag, mich damit abzufinden. Ich versuche zu gucken, wo kann ich mit meinem Kopf hin und nicht, wie muss mein Kopf sein.
Ihr Buch heißt „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“. Wie kam es dazu?
Maack: „Das habe ich mir immerzu selbst gesagt. Häufig verbindet man Depressionen damit, dass die Betroffenen den ganzen Tag im Bett liegen, das Zimmer abgedunkelt, sie wollen mit niemandem reden. Ich dagegen bin hochfunktional-depressiv. Je schlechter es mir geht, desto länger werden die To-do-Listen, desto nützlicher will ich werden. Ich habe mal zu meinem Chef gesagt, ich muss sofort nach Hause, mein Kopf dreht durch. Und er sagte daraufhin, gerade heute wirkst du so strukturiert. Das ist dieses Funktionieren bis nichts mehr geht. Bei mir ist es so: Ich funktioniere richtig gut und irgendwann gehe ich ins Krankenhaus.“
Wie oft kam das vor?
Maack: „Sechs oder sieben Mal.“
Gab es schon in Teenagerzeiten solche Augenblicke?
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Maack: „Absolut. Wenn ich zurückblicke, kann ich sagen, dass in Bardowick in den 80er Jahren der Tenor herrschte, hier gibt es keine Depressionen, hier gibt es keine psychischen Erkrankungen. Deswegen hatte auch ich keine. Ich war halt komisch. Für meine Eltern, für andere Leute. Ich habe bei meinem Abi im Deutschunterricht zwei Punkte Abzug bekommen wegen meiner schlechten Rechtschreibung. Heute heißt das Legasthenie, damals hieß es, man ist zu dumm, um richtig zu schreiben.“
Was meinen Sie, Sie waren komisch?
Maack: „Ich war sehr in meinem Kopf unterwegs. Ich habe den Sommer im abgedunkelten Zimmer verbracht, ich bin an der Welt verzweifelt. Vielleicht war das auch ein klassischer Jugendweltschmerz. Im Rückblick wäre es vielleicht gut gewesen, mich schon früh zu einem Psychologen zu schicken, um zu gucken, ob das alles noch im Rahmen war.“
Wann kam die Diagnose Depression?
Maack: „Vor etwa zehn Jahren, als ich ins Krankenhaus bin, weil nichts mehr ging. Anfangs hieß es Burnout, heute heißt es Erschöpfungsdepression. Der Arzt sagte: ,Herr Maack, Sie haben da wirklich eine sehr schwere Depression.‘ Es war ein Moment der Erleichterung, eine Erklärung zu bekommen, dass da etwas nicht normal mit mir ist, dass mein Leben nicht so sein muss. Dass es eine Krankheit ist, das hat mir am Anfang sehr geholfen, weil das bedeutet, dass es kein Normalzustand ist. Heute würde ich sagen, meine Depression ist eine Behinderung.“
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Behinderung? Warum?
Maack: „Es gibt viele unterschiedliche Formen von Depressionen, so viele, wie es Menschen gibt. Ich habe einen Schwerbehindertenstatus und kann drei Tage die Woche arbeiten. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an meine Depression denke. Für mich ist das eher eine Behinderung. Bei einer Krankheit könnte man sagen, die geht vorbei, irgendwann ist wieder gut. Das funktioniert bei mir auf Dauer nicht.“
Ist es nicht auch eine Stärke, indem man Schwächen zugibt?
Maack: „Ich habe lange Zeit nicht geschafft, das zu erkennen. Der Gedanke, nicht mehr zu funktionieren, der war lange Zeit nicht möglich. Auch jetzt muss ich immer wieder gucken, was kann ich machen, was nicht und dann ehrlich zu mir selbst sein. Natürlich ist es cooler, wenn man funktioniert und ich bin jemand, der immer hilfreich und nützlich sein möchte. Aber das ist eine Einstellung, die funktioniert auf Dauer nicht.“
Ihr Buch ist schonungslos offen. War das Schreiben für Sie auch Therapie?
Maack: „Ich bin immer sehr offen. Ich finde es wichtig, ehrlich zu sein und nicht zu überlegen, was man sagt und was man nicht sagt. Die Idee zum Buch hatte ich, als ich im Krankenhaus war. Ich habe irgendwann angefangen, Sachen aus meinem Kopf zu schreiben. Das ist wie ein Einkaufszettel: Wenn man dauernd daran denkt, was man einkaufen muss, ist das ewig im Kopf. Hat man es notiert, ist man froh, es aus dem Kopf zu haben. So kam es zu den ersten Textfragmenten. Ich habe mir das angeguckt und gesagt, das ist vielleicht auch literarisch interessant. Ich wollte Worte finden für eine Sache, bei der viele Menschen nicht so richtig Worte finden. Depression ist häufig ein sprachloser Zustand, wo man in sich gefangen ist und das schwer jemanden erzählen kann.“
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Sind noch weitere Bücher geplant?
Maack: „Ich habe kürzlich, als es mir sehr schlecht ging, ein Depressionstagebuch geführt auf Instagram und Facebook. Das erscheint im nächsten Frühjahr quasi als das Geschwisterwerk. Darin beschreibe ich: Wie geht es mir? Wie schaffe ich was? Was ist wichtig? Was kann ich vernachlässigen?“
Sie haben mal gesagt, mit der Depression kam das Glück.
Maack: „Seit ich die Depression habe, bin ich ein Mensch, der zu Glück fähig ist. Früher war ich ein unglücklicher Mensch, der mit Glück überschüttet wurde. Jetzt kann ich tatsächlich Glück empfinden und das ist sehr schön. Das, wie mein Kopf ist, Depression zu nennen, hat mein Leben auf eine interessante Reise geschickt, um mich selbst besser zu verstehen.“
Was können die Gäste im Mosaique erwarten?
Maack: „Ich mache solche Leseabende sehr gerne. Wobei ich inzwischen immer weniger aus dem Buch vorlese, sondern mich immer mehr mit den Menschen unterhalte. Das finde ich viel schöner. Es sind sehr intensive und sehr schöne Abende. Ich bin neugierig, von den Besuchern zu lernen. Andere Köpfe, andere Gedanken kennenzulernen, das ist ein Geschenk.“
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Lesung im Mosaique
Die Lesung mit Benjamin Maack aus seinem Buch „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“, findet am Freitag, 23. Mai, um 19 Uhr im Mosaique (Katzenstraße 1) statt. Der Eintritt ist kostenlos. Veranstalterin der Lesung ist die Selbsthilfekontaktstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.
LZ/WA