Redakteurin Stella Brikey

Jede:r zweite Deutsche träumt davon ein Buch zu schreiben. Aber wie ist es wirklich als Schriftsteller:in zu arbeiten? Fünf Literaturprofis im Real-Talk

Die Hälfte der Deutschen träumt laut Umfragen davon, ein Buch zu schreiben. Hollywood befeuert die Vorstellung vom glamourösen Leben als Schriftsteller:in aktuell mit der Netflix-RomCom „Liebe in Marokko“ und in den sozialen Medien boomen Angebote für Schreib-Retreats oder Selfpublishing-Verlagen, die suggerieren: Jede:r kann ein Buch schreiben! Und später dann: ausverkaufte Lesungen, Signierstunden, Talkshows, Fame, Millionen. Gleichzeitig warf der Wutanfall von Clemens Meyer bei der Buchpreisverleihung, nachdem ihm die 100.000 Euro Preisgeld knapp durch die Lappen gegangen waren, ein etwas anderes Licht auf den Alltag von Schreibenden. Der Starautor klagte öffentlich über finanzielle Sorgen, nervliche Anspannung, Schulden, zu wenig Leser:innen – nachdem er (freiwillig wohlgemerkt) zehn Jahre lang an seinem 1000-Seiter „Die Projektoren“ gearbeitet hatte. Puh! Aber wie ist es denn nun wirklich ein Buch zu schreiben? Was braucht es, neben Talent, Disziplin, Durchhaltevermögen und Nerven wie Drahtseilen, um diesen Job machen zu können? Wir haben fünf Literatur-

Traumjob Schriftstellerin: Hände an der Schreibmaschine

Talent, Fleiß, Durchhaltevermögen und Nerven wie Drahtseile – das braucht es, um ein Buch (fertig) zu schreiben.

© Mirko Popadic / Adobe Stock

Profis gefragt:

Kann jede:r schreiben?

Eine, die es wissen muss, ist die Literaturagentin Anabelle Assaf von ConnACT aus Köln. Ihr Job ist es, neue Talente zu suchen, mit ihnen an Buchideen zu feilen und diese dann im besten Fall an einen großen Verlag zu verkaufen. Täglich landen zwischen drei und fünf initiativ eingesandte Manuskripte auf ihrem Schreibtisch. Davon seien nur etwa ein Prozent „potenziell erfolgversprechend“, erzählt Anabelle Assaf, die auf anspruchsvolle Belletristik und populäre Sachbücher spezialisiert ist. Oft hält die Literaturagentin deshalb auf Nachwuchswettbewerben, Lesebühnen oder anderen Veranstaltungen nach neuen Talenten Ausschau, weil dort bereits eine Vorauswahl getroffen wurde. 
Übrigens ein guter Selbsttest für Mutige: Wie kommen meine Texte bei einem unabhängigen Publikum an? Sinnvoll sei außerdem der Besuch von Workshops und Schreibschulen, um sich mit anderen Schreibenden auf Augenhöhe auszutauschen. 

Mein Job ist es, die Nadel im Heuhaufen zu suchen.
(Anabelle Assaf, Literaturagentin)

„Es heißt, jede:r kann schreiben“, sagt Anabelle Assaf. „Klar, jede:r kann auch irgendwie malen oder musizieren – aber das heißt noch lange nicht, dass all diese Leute in einer Band spielen oder Gemälde malen. Es erfordert unglaublich viel Ruhe und Konzentration, ein ganzes Buch zu schreiben. Sowas dauert oft Jahre.“ Talent allein reiche nicht. „Wer gelesen werden will, muss sich fragen: Was möchte das Publikum?“ 

Nicht die beste Freundin fragen, sondern Kritik auf Augenhöhe einholen

Ein Fehler, den viele Schreibende machen: „Sie gehen nur von sich aus, glauben, dass ihre eigene Lebensgeschichte oder die ihrer Familie interessant genug für den breiten Markt ist. Oder, weil die Freund:innen gut finden, was sie schreiben.“ Aber das reiche meist nicht. „Was gerade gut funktioniert ist erzählerische Lebenshilfe oder Trendthemen wie etwa der weibliche Körper, Ost/West oder Krieg“, verrät die Expertin. Diese Themen würden allerdings zu 85 Prozent von Journalist:innen verfasst – „also Expert:innen, deren Beruf es ist, zu schreiben und Deadlines einzuhalten“. Oft müsse es nämlich schnell gehen: „Je aktueller das Thema, desto größer die Gefahr, dass auch andere darauf kommen.“
Für Verlage sei auch entscheidend, wer das Buch am Ende kauft. „Das sind, Umfragen zufolge, meistens Frauen. Auch die meisten Buchhändler:innen sind Frauen.“ Und in den Bestsellerlisten seien ebenfalls fast nur noch Frauen vertreten. Anabelle Assaf vertritt deshalb vor allem Frauen mit Büchern, die eher von FLINTA gelesen werden.

Die Geheimnisse der Bestsellerautorinnen

Acht Bücher, acht SPIEGEL-Bestseller – einer davon sogar Platz eins: Meike Werkmeister zählt zu Deutschlands erfolgreichsten Unterhaltungsromanautor:innen. 

Acht Bücher, acht SPIEGEL-Bestseller – einer davon sogar Platz eins: Meike Werkmeister zählt zu Deutschlands erfolgreichsten Unterhaltungsromanautor:innen.

© Ulrike Schacht

Kein Wunder, dass Meike Werkmeister mit ihren Feel-Good-Liebesromanen derzeit zu Deutschlands erfolgreichsten Autorinnen im Unterhaltungsbereich zählt. Alle Romane der gelernten Journalistin standen auf der Bestsellerliste, „Am Himmel funkelt ein neuer Tag“ schaffte es in diesem Jahr sogar auf Platz 1. Aktuell schreibt und veröffentlicht Meike Werkmeister ein Buch im Jahr. Was ist das Geheimnis ihres Erfolgs? „Eine Mischung aus verschiedenen Elementen: Ein Verlag, der viel Zeit, Expertise und Geld in Marketing steckt. Ein richtig guter Vertrieb, der dafür sorgt, dass das Buch in so vielen Buchhandlungen wie möglich ausliegt. Eine Geschichte, die von den Leser:innen gemocht und weiterempfohlen wird – und eine ordentlichen Portion Glück“, sagt Meike Werkmeister. Ihrer Meinung nach sollte sich jede:r angehende:r Autor:in fragen: „Warum schreibe ich? Mache ich das, weil es mir Freude bereitet, weil ich einen inneren Drang danach verspüre, weil ich damit gern meine Zeit verbringe? Oder habe ich die Hoffnung, damit reich zu werden? Wenn Letzteres der Fall ist, würde ich abraten.“ Fakt sei nämlich: „Unter fünf Prozent aller Buchautor:innen in Deutschland können vom Bücherschreiben leben.“ 

Die größten Fehler, die Schreibende machen

Trotzdem ist wohl der größte Fehler, den Schreibende machen können, es gar nicht erst zu versuchen. „So viele sagen: Ich würde ja so gern, aber ich komme nicht dazu“, sagt Katja Lewina, die 2020 mit ihrem ersten Buch „Sie hat Bock“ direkt einen Bestseller landete und heute hauptberuflich Bücher schreibt und als freie Journalistin arbeitet. „Wenn du es wirklich willst, sorg dafür, dass du dazu kommst.“ Ihr Rat: „Die Dinge nicht zerdenken, sondern einfach loslegen, glattbügeln kann man am Ende immer noch.“ Und: Bloß nicht davon unterkriegen lassen, wenn Ideen abgeschmettert werden. Wir erinnern uns: J. K. Rowling wurde mit ihrem Manuskript für „Harry Potter und der Stein der Weisen“ mindestens zwölfmal abgelehnt. William Goldings „Herr der Fliegen“ erschien 1954, nachdem er zuvor 20 Absagen erhalten hatte. Manchmal lohnt es sich eben, für eine gute Geschichte zu kämpfen. 

Außerdem unterschätzen viele, wie viel Arbeit es wirklich ist, ein Buch zu schreiben. Und wie unglamourös ein Leben als Autorin am Ende ist.
(Meike Werkmeister)

Das weiß auch Schreibcoachin Christine Dohler, die andere bei ihren Projekten berät und unterstützt. Sie hat bereits sechs eigene Bücher geschrieben, zwei davon waren Bestseller (u.a. „Rauhnächte mit Kindern erleben“) und drei Ghostwritings für Promis. „Die erste Literaturagentin, bei der ich mich vorstellte, hat alle meine Ideen schlecht geredet“, erzählt Christine Dohler. „Sie meinte sogar zu mir: Ich traue ihnen die Langstrecke nicht zu, gehen sie in den Journalismus. Damals war ich jung und habe mich verunsichern lassen. Wahnsinn! Eine Freundin hat mich dann mit ihrer Agentin verknüpft und die hat sofort die Idee, die ich damals auch schon gepitcht hatte, mit mir umgesetzt – und wir haben Zusagen von sechs Verlagen bekommen.“ Ihr eindringlicher Rat: „Lasst euch nicht von einer Absage oder einem abwertenden Kommentar aufhalten!“

"Dranbleiben, Löschen, Neuschreiben, Verzweifeln, und wieder von vorn." So beschreibt die dreifache Bestseller-Autorin Katja Lewina (u.a. "Sie hat Bock") ihren Joballtag.

„Dranbleiben, Löschen, Neuschreiben, Verzweifeln, und wieder von vorn.“ So beschreibt die dreifache Bestseller-Autorin Katja Lewina (u.a. „Sie hat Bock“) ihren Joballtag.

© Julija Goyd

„Ich packe Ideen, die nicht verwirklicht wurden, nicht für immer weg“, sagt Katja Lewina. „Meistens kommt ein Thema nach ein paar Jahren zu mir zurück und ich kann mit den Textfragmenten oder der Recherche immer noch was anfangen.“ Manchmal lohnt es sich auch, eine besondere Idee weiterzuverfolgen: „Ich habe mir mit meinem aktuellen Thema, der Endlichkeit, echt keinen Selbstläufer gesucht“, so Lewina. In „Was ist schon für immer“ schreibt sie nicht nur über ihre eigene lebensbedrohliche Herzerkrankung, sondern auch über den Tod ihres siebenjährigen Sohnes. „Das ist für viele Menschen einfach zu krass, was ich gut verstehen kann“, sagt Katja Lewina. „Ich glaube aber, dass dieses Buch, wäre ich ein Mann, nochmal anders aufgenommen worden wäre. Ein Kollege hat das ungefähr so formuliert: „Wenn ein Mann sowas schreibt, ist es große Literatur. Wenn eine Frau das macht, hat es was von Homestory.“ Um herauszufinden, ob ein Thema gut ist, rät sie: „Anderen davon erzählen. Sagen sie: Geil, beschäftigt mich auch! Oder zucken sie mit den Schultern?“

Keine (Eigen-)Werbung, kein Erfolg

„Deine Reichweite ist inzwischen deine Währung, wenn du ein Buch veröffentlichen willst“, sagt Katja Lewina, die selbst rund 19.000 Follwer:innen bei Instagram hat. Ihr Eindruck sei häufig, dass Reichweite auch über Qualität gestellt werde. „Social Media ist eine gute Gelegenheit, mit den eigenen Leser:innen in Kontakt zu kommen. Gleichzeitig muss man auch viel Zeit investieren, um nicht im Algorithmus unterzugehen.“ Zeit, die sie oft lieber mit Schreiben verbringen würde. Meike Werkmeister (rund 6000 Insta-Follower:innen) bestätigt: „Im Bereich der jungen Romance-Reihen bekommen mittlerweile nur Autor:innen Verträge, die eine gewisse Anzahl an Follower:innen mitbringen und großen Einsatz zeigen, diese durch Eigen-PR zu bespielen.“ 

Christine Dohler Autorin

Christine Dohler, hier bei einer Lesung, ist zweifache Bestseller-Autorin (u.a. “Die weibliche Energie der Rauhnächte“) und Schreibcoachin.

© PR

Brauche ich eine Schreibroutine?

Wenn sich Christine Dohler in einer heißen (Abgabe-)Phase befindet, nimmt sie sich gerne mal für ein paar Tage raus und reist an einen inspirierenden Ort, um für ein paar Tage oder Wochen nur zu schreiben. „Alle Energie und aller Fokus auf das Buch!“ Ihre Routine: „Ich schreibe immer morgens, davor meditiere ich. Ich brauche dann Ruhe und muss allein sein. Wenn ich den Text dann später noch einmal durchgehe und überarbeite, sitze ich gern im Café in einer lebendigen Atmosphäre.“

Lasst euch nicht von einer Absage oder einem abwertenden Kommentar aufhalten!
(Christine Dohler)

Für Katja Lewina ist es durch ihre Kinder oder wenn sie sich auf Lesereise befindet extrem schwierig, Routinen zu verfolgen. „Am besten schreibt es sich für mich an einem Manuskript, wenn ich mich aus dem Alltag komplett ausklinken kann. Ein-, zweimal im Jahr gönne ich mir eine Woche auf dem Land oder am Meer, wo mich niemand stört und ich komplett in meiner Arbeit versinken kann. Dann schaffe ich richtig viel.“ Meike Werkmeister stimmt zu: Je mehr ich neben meiner Schreibtischarbeit erlebe, desto mehr Ideen sammele ich. Durch Musik, Konzerte, Zugfahrten, Gespräche mit Freund:innen, zufällige Alltagsbegegnungen, Reisen.“ 

Absage? Bloß nicht entmutigen lassen!

Übrigens, ein totales Klischee: „Dass Schriftsteller:innen alle vergeistigt sind und viel Zeit fürs Nichtstun haben oder chaotisch sind“, findet Christine Dohler. „Alle Autor:innen, die ich kenne, sind sehr fleißig, strukturiert und diszipliniert.“ So beschreibt auch Katja Lewina ihre Jobrealität: „Dranbleiben, Löschen, Neuschreiben, Verzweifeln und wieder von vorn. Ein Buch anfangen kann jeder, es zu Ende schreiben können nur wenige.“ Am schlimmsten sei, dass sie immer denke: „Jetzt kommt der große Durchbruch, und dann kommt er nicht. Das Schönste: Dass es jederzeit passieren kann.“ 

Verlag gefunden? Jetzt geht die Arbeit erst los!

Wir halten also fest: Nachdem man in einer Literaturagentur untergekommen ist, erfolgreich ein Exposé an einen Verlag verkaufen konnte und der erste Teil des Vorschusses auf dem Konto eingegangen ist, kann man schonmal die Korken knallen lassen. Die richtige Arbeit geht aber jetzt erst los: „Viele gehen davon aus, dass ihr Buch fertig ist, wenn sie sich an eine Agentur oder einen Verlag wenden“, sagt Meike Werkmeister. „Dabei muss man damit rechnen, dass in einem Text anfangs kein Stein mehr auf dem anderen bleibt, wenn ihn erst mal Profis in die Hände bekommen. Außerdem unterschätzen viele, wie viel Arbeit es wirklich ist, ein Buch zu schreiben. Und wie unglamourös ein Leben als Autorin am Ende ist.“ Schade, dann hat Netflix wohl Mist erzählt. 

Brigitte